"Du schwule Sau" oder "Du Schwuchtel" wird jeder Fussball-Fan im Stadion schon einmal gehört haben. Das Wort "schwul" wird im Fussball als Verhöhnung der Gegner eingesetzt. Im Gegensatz zur Politik oder der Unterhaltungsbranche scheint der deutsche Fussball eine schwulenfreie Szene zu sein. Wir sprachen mit Mario Weisse, dem Chef des schwulen/lesbischen Fanklubs "Queerpass Bayern" über homosexuelle Fans, Outing und die Probleme in deutschen Stadien.
Frage: Herr Weisse, wurden Sie im Stadion schon mal beschimpft?
Weisse: Ich selbst nicht, weil man sieht es mir glaube ich wirklich nicht an, dass ich schwul bin. Ich reagiere schon darauf oder früher habe ich darauf reagiert, wenn einer beschimpft wurde "Hey Schwuchtel geh schneller". Dann habe ich mich umgedreht und gefragt "Meinst du mich?". Oder man fragt "Hast du was gegen Schwule?" Das ist so, dass die Leute das aus einer Emotion heraus schreien, ohne jetzt gross nachzudenken.
Frage: Wie ist es heute im Stadion?
Weisse: Mittlerweile reagieren andere, die um uns herum sind. Da sind die Ultras (Ultras sind Vereinstraditionalisten, die im Gegensatz zu Hooligans nicht gewalttätig sind. Anm. der Red.), die sagen "Hey das wollen wir hier nicht hören" oder "Sag irgend ein anderes Schimpfwort." Das finde ich ganz gut, dass wir das gar nicht mehr machen müssen, dass sie das von sich aus machen. Das ist aber auch diese Ultra-Kultur, die prinzipiell sehr viele Werte haben, die wir auch haben. Im Prinzip ist Ultra auch eine Randgruppe, wenn man sie von der Masse, die im Stadion ist, betrachtet. Das ist irgendwie auch ein Solidaritätspakt, den man da eingeht. Wir haben viele Themen, die die aufgreifen, die uns auch interessieren. Irgendwann ist das Thema Homophobie durch und dann machen wir uns überflüssig. Wir wollen ja nach wie vor aktiv in der Kurve sein und Spass haben. Da geht’s über Ticketpreise bis zu Pyrotechnik, Gewalt.
Frage: Kommen auch Sprüche von gegnerischen Fans?
Weisse: Vergangenes Jahr (2011) waren wir beim Derby Bayern München gegen 1860 im Grünwalder-Stadion. Da gab es einen Vorfall mit den "Löwen"-Fans. Die 60er haben noch ein ganz anderes Problem mit sich. Die sind der Meinung, es gibt keine schwulen Löwen-Fans. Absoluter Bullshit. Ich kenne genug schwule 1860-Fans. Jedenfalls waren wir im Stadion und da hielten sie ein riesiges Plakat über die gesamte Gästekurve auf dem stand: "Fussball ist ein Männersport" und in rot geschrieben: "Ihr schwulen Fotzen". Das war damals natürlich nicht auf uns gemünzt, aber an die Ultras gerichtet, weil sie sich mit uns verbünden oder die Themen aufgreifen.
Frage: Wie wurde darauf reagiert?
Weisse: Wir haben dann gesungen: "Ihr seid so lächerlich, ihr seid so lächerlich…." Man darf das auch nicht zu sehr an sich ranlassen. Das ist natürlich schon provozierend und pöbelnd. Muss man anscheinend beim Fussball, aber das macht ja auch die Würze aus.
Frage: Gibt es eine schwul-lesbische Fan-Szene in Deutschland?
Weisse: Beim "Queer Football Fanclubs" (QFF) sind 22 Fanklubs vertreten, davon 18 aus Deutschland, drei aus der Schweiz und einer aus Barcelona. Die Vernetzung läuft über Social Network oder QFF. Eine nicht zu unterschätzende Zahl, die durchaus auch Gehör findet, nicht nur beim DFB, sondern auch bei Vereinen. Man tauscht sich aus. Es ist richtig vernetzt das Ganze.
Frage: Der DFB hat mehrere Aktionen gestartet, um das Thema "Homosexualität" besser zu integrieren. Gibt es schon erste Fortschritte?
Weisse: Ich kann nur sagen, wie es bei uns in der Kurve ist. Man hat schon gemerkt, dass da ein Aktionismus vorliegt. Aber wenn man ein bisschen ausserhalb der Kurve ist, da ist das Thema glaube ich noch nicht wirklich angekommen. Man muss bei dem Thema dranbleiben und den Finger in die Wunde reinhalten. Wir wollen eben auch, dass das "Kind beim Namen" genannt wird und nicht nur unter dem Obergriff Diskriminierung.
Frage: Wird in den Vereinen etwas gegen Homophobie getan?
Weisse: Im Rahmen unseres QFF-Treffens im vergangenen Jahr hatten wir auch ein Treffen mit den Fanbetreuern des FC Bayern. Wir dachten, dass es bestimmt sehr verkrampft wird. Wir wurden dann aber total überrascht, dass sie mit dem Thema sehr offen umgegangen sind und dass sie auch das Wort "schwul" sagen konnten ohne irgendwie abzuwarten. Allerdings ist das Thema so gering in ihren Augen, dass es im Promillebereich liegt. Sie haben eher andere Probleme: Ultras, Torwartverpflichtung, etc..
Frage: Kennen Sie schwule Fussballprofis?
Weisse: Kann schon sein (lacht). Es ist jedermanns eigene Sache, sich zu outen oder nicht. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe sehe ich eher darin, das Umfeld für das Thema zu sensibilisieren, damit es ihnen irgendwann leichter fällt, sich zu outen. Dann wäre es meines Erachtens wesentlich angebrachter, wenn es nicht einer allein tut, sondern dass es fünf oder sechs gleichzeitig machen.
Frage: Sollten es aktive Profis sein?
Weisse: Das ist eigentlich egal. Das kann auch einer nach seiner Karriere machen. Es ist ja immer davon die Rede, dass sie Angst haben, im Stadion ausgebuht zu werden. Ich glaube eigentlich nicht, dass dies passieren würde. Dem Operettenpublikum, das nicht hinter dem Tor steht und ausrastet und die nur klatschen, ist das eigentlich egal.
Frage: In England hat sich der Rugbyspieler Gareth Thomas geoutet. Das wurde dort sehr begrüsst und ist auch gut angekommen. Glauben Sie, dass wenn sich ein Profi in Deutschland outen würde, die Reaktionen ähnlich wären?
Weisse: Ich sehe darin nicht das Problem, dass sich die Leute outen. Egal ob Werbeverträge oder Sonstiges. Dann macht man eben einen anderen Vertrag. Es gibt immer Leute, die dein Gesicht vermarkten wollen. Ich kann mir schon vorstellen, dass es neue Werbekunden geben würde.
Frage: Deutschland hat einen schwulen Aussenminister, einen schwulen Bürgermeister in Berlin. Woran liegt es, dass sich bisher noch kein aktiver Fussballprofi getraut hat, sich zu outen?
Weisse: Es ist schon sehr auffällig, wenn du mit Leuten ins Gespräch kommst, dass sie sagen: "Ich habe nichts gegen Schwule, auch wenn ihr bei uns mitspielt, aber mit dem Duschen ist das schon ein Problem." Da denke ich immer: Diese Duschnummer. Immer davon auszugehen, dass jeder dir an den Arsch will. Es ist immer so eine Geschichte des Männlichkeitsempfindens. Ich kann mir einen Guido Westerwelle oder Klaus Wowereit bei einer Blutgrätsche nicht vorstellen. Da ist dieses Bild vom rauen, harten Männlichkeitsding in den Köpfen. Die Leute können sich nicht vorstellen, dass es auch Schwule gibt, die laut werden können.
Frage: Warum ist es bei Frauen kein Problem? In Deutschland haben sich Nationalspielerinnen wie Ursula Holl oder Nadine Angerer (bisexuell) geoutet.
Weisse: Fussballerinnen werden häufig als lesbisch eingestuft, egal ob sie es sind oder nicht. Es ist ein Mann-Frau-Ding, was in den Köpfen so drin ist. Wir sind ebenso aufgewachsen: Fussball ist ein Männersport, Frauen sind beim Standarttanz oder Eiskunstlauf.
Frage: Das Thema Burn-out war lange ein Tabu. Viele Profis haben nach dem Tod des damaligen Nationaltorhüters Robert Enke ihre Krankheit öffentlich gemacht. Unter anderem Trainer Ralf Rangnick oder Hannovers Torwart Markus Miller. Beide Themen werden häufig in Verbindung gebracht. Wie denken Sie darüber?
Weisse: Gerade nach dem Tod von Robert Enke wurden viele Menschen sensibilisiert. Wir wurden auch kontaktiert. Da habe ich klar gesagt, dass eine ist eine Krankheit und das andere ist eine Lebenseinstellung. Man wird da in eine Schublade zusammengesteckt, weil beides Tabu-Themen sind.
Frage: Gibt es bei den Themen Parallelen? Muss da was passieren, damit man auf das Thema sensibilisiert wird?
Weisse: Das ist das, was ich sage: Brauchen wir einen schwulen Märtyrer, der sich quasi vor den Zug wirft? Ich brauche es nicht. Ich brauche auch keinen, der sich outet. Das würde an meinem Fan-Sein nichts ändern. Ich bin nicht Fan einer Mannschaft oder des Sport, weil sich einer geoutet hat.
Frage: Aufgrund der prominenten Fälle ist Thema Burn-out nun enttabuisiert. Wird das irgendwann auch beim Thema "schwul" so sein?
Weisse: Ich glaube schon, dass sich das normalisieren wird. Dass es nicht mehr diesen Medienhype geben wird, wenn der Erste sich geoutet hat oder die Ersten. Gut, was dann? Die Leute werden sich ein neues Thema suchen, das noch krasser ist.
Zur Person: Mario Weisse (39) ist Gründungsmitglied und sitzt im Vorstand des Fanclubs "Queerpass Bayern". Der Fanclub wurde zunächst als Interessengemeinschaft auf einer Internetplattform (GayRomeo) gegründet. Nach einem halben Jahr kam die Idee auf, einen schwulen-lesbischen-Fanclub zu gründen. Am 6. Dezember 2006 wurde "Queerpass Bayern" offiziell im Fanclub-Register aufgenommen. Dieser hat zurzeit 43 Mitglieder aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Australien. (mac)
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