Lars Mrosko ist Inklusionsbeauftragter beim Fussball-Landesverband Brandenburg. Im Interview spricht er über das schwierige Thema Inklusion im Fussball und gibt Einblicke, welche Profivereine vorbildhaft vorangehen.

Ein Interview

Lars Mrosko, Sie sind Landesauswahltrainer in Brandenburg für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, dazu auch Inklusionsbeauftragter beim Fussball-Landesverband Brandenburg. Wie inklusiv ist der deutsche Fussball?

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Lars Mrosko: Er ist ganz klar zu wenig inklusiv. Es ist noch zu viel Trittbrettfahrerei dabei. Ein Foto mit Rollstuhlfahrern vor dem Mannschaftsbus ist wenig Inklusion. Es gibt Vereine, die in dem Bereich relativ viel machen, aber leider wird es manchmal nicht so kommuniziert. Ich finde, damit kann man ruhig nach aussen gehen und sagen: 'Wir machen was'. Das liegt aber auch daran, dass der Bereich der Inklusion noch zu oft ein Tabuthema ist. Es ist kompliziert und alles, was mit Inklusion zu tun hat, hat natürlich auch mit Verständnis und Arbeit zu tun. Daher passiert noch viel zu wenig im Bereich der Inklusion.

Warum ist Inklusion ein Tabuthema?

Es gibt noch viele Berührungsängste, die gar nicht mehr sein müssten. Wenn man sieht, wie der Behindertensport gelebt wird, wenn man sieht, was für Leistungen gebracht wurden bei den Paralympics, dann kann man das eigentlich fast noch höher bewerten als den Sport von Menschen ohne Handicap.

Diese Berührungsängste kommen dann aber von den Menschen ohne Behinderung, oder?

Ja. Aber oft ist es auch so, dass Eltern von Kindern, die eine Behinderung haben, Berührungsängste zeigen. Weil sie ihren Kindern das gesellschaftliche Leben nicht zutrauen, weil sie den Kindern nicht zutrauen, dass sie in inklusiven Sportgruppen genau die gleiche Leistung bringen wie Menschen ohne Handicap. Man kann auf beiden Seiten noch Aufklärung betreiben und damit Ängste und Vorurteile abbauen.

Hertha könnte der inklusivste Fussballverein in Deutschland sein

Wenn Sie Trittbrettfahrer ansprechen, geht es da vornehmlich um Imagepflege. Warum wird nicht mehr gemacht?

Das ist viel Arbeit, viel Organisation, bedarf aber auch ganz viel Feingefühl, Geduld und Zeit. Das hat man im Tagesgeschäft aber nicht. Hertha BSC ist in Deutschland ein absolutes Vorzeigebeispiel, die machen in der Hinsicht schon sehr viel, gehen damit aber viel zu wenig an die Öffentlichkeit. Die könnten theoretisch der inklusivste Fussballverein in Deutschland sein. Hertha BSC ist da schon sehr weit und setzt gute Projekte um.

Warum hält sich Hertha damit zurück?

Mein Bekannter Andreas "Zecke" Neuendorf meinte, Hertha mache viel, aber immer noch zu wenig. Zu wenig, um damit rauszugehen. "Zecke" ist Schirmherr beim Behinderten- und Rehabilitationssportverband Berlin und beteiligt sich aktiv im Behindertenfussball. Er nimmt sich die Zeit, er lebt es und das merkt man. Er sagt, Hertha muss offen sein für alle. Man habe noch an diesem Big-City-Club-Image zu arbeiten und momentan an finanziellen Baustellen, trotzdem wolle man das Thema Inklusion unbedingt weiterverfolgen. Es fehlt aber das Personal, um das momentan nachhaltig auf die Beine zu stellen. Der Weg, den die Hertha geht, ist richtig. Sie müssen aber auch darüber sprechen. Das Motto muss sein: Tue Gutes und sprich darüber. Da müssen wir irgendwann hinkommen. In Deutschland machen wir allgemein noch zu wenig. Der DFB schafft es regelmässig, ehemalige Nationalspieler, die noch nie etwas als Trainer geleistet haben, ausser Fussball zu spielen, als Co-Trainer Deutschlands höchster Mannschaften einzustellen. Aber um die Themen, die an der Basis wichtig sind, wird sich zu wenig gekümmert. Und das interessiert auch oft grosse Vereine nicht. Jeder Verein bräuchte einen hauptamtlichen Inklusionsbeauftragten, der nur für diesen Bereich zuständig ist. Das müsste eigentlich Pflicht sein.

Warum ist es das nicht?

Das ist am Ende auch eine Kostensache. Wobei ich glaube, dass jeder Verein durch EU-Gelder einen Inklusionsmitarbeiter finanziert bekommen würde. Aber es ist sehr, sehr viel Arbeit. Zuletzt war das Thema Nachhaltigkeit im Trend, und alle sind aufgesprungen und haben was gemacht. Leider war das Thema Inklusion noch nicht genug im Trend.

Was macht der DFB aktuell?

Der DFB deckt mit der Sepp-Herberger-Stiftung die Bereiche Behindertensport und Inklusion ab. Die Leute dort sind auch sicher sehr engagiert. Aber wir haben uns zum Beispiel in Brandenburg aus der Stiftung zurückgezogen, da wir eine andere Strategie verfolgen. In Brandenburg geht es uns um Nachhaltigkeit und die Umsetzung eigener Überzeugungen aufgrund von Erfahrungswerten. Es bedürfte eines ganzheitlichen Konzepts für sämtliche Verbände, einer einheitlichen Struktur zur Erlangung von nachhaltigen Umsetzungen, mit evaluierbaren Ergebnissen.

Reicht dem DFB die Sepp-Herberger-Stiftung?

Warum ist der DFB da so zurückhaltend?

Ich glaube, dass für den DFB die Sepp-Herberger-Stiftung ausreichend ist. Lass den DFB hochgerechnet 500.000 Euro für Inklusion und Behindertensport zahlen, vielleicht auch das Doppelte. Und dann stellen wir die Aufwandsentschädigung, die ein Fussballer bekommt, der zur Nationalmannschaft abgestellt wird, in Relation dazu. Da ist eine Woche mit der Nationalmannschaft teurer als die gesamte Inklusions- und Behindertenarbeit eines ganzen Jahres. Da ist noch deutlich Luft nach oben und nicht nur mit Geld, sondern auch mit überzeugtem Engagement! Der DFB kann sicherlich sagen, 'Wir haben eine Stiftung, wir machen was, wir halten ein Banner hoch, Inklusion ist wichtig'. Aber für diese Macht, die sie eigentlich hätten, machen sie viel zu wenig. Sorry, auch wenn ich jetzt wieder zur Persona non grata werde.

Wie sind die Vereine denn aufgestellt?

Das ist unterschiedlich. Hertha habe ich schon genannt. Ich finde, dass Bayern München im Allgemeinen sehr, sehr viel macht, die sind auch ein absolutes Vorzeigebeispiel. Auch der FC St. Pauli engagiert sich in diversen Bereichen. Viele andere Klubs haben soziale Projekte, aber es gibt bei den Profiklubs immer noch mehr Spielraum.

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Und im Breitensport? Sie haben mal gesagt, man brauche Mut, um die Menschen mit Handicap zu integrieren. Wie mutig sind denn die kleineren Klubs?

Ich glaube, hinter jedem Klub, der sich engagiert, brauchst du immer eine starke Persönlichkeit, die das Thema umsetzen will. Die Frage ist, wie viele Möglichkeiten es gibt und da geht es vor allem oft um das Finanzielle. Wie viel kommt in den Kommunen von der Politik? Was für Möglichkeiten hat man? Wie viel ist am Ende auch immer ein politisches Thema? Viele stossen an die Grenzen, weil in der Kommune oder in der Region die Politik nicht mitspielt oder verschiedene Leute im Verein sagen, wir müssen mit unserer Mannschaft aufsteigen. Aber das Thema Inklusion spielt erstmal keine Rolle. Das ist auch immer eine vereinspolitische Geschichte. Aber es gibt viele Vereine, die da sehr bemüht und aktiv sind.

Welche Punkte sind wichtig, damit mehr Tempo in das Thema kommt?

Ich glaube, dass jeder Verein von der Bundesliga bis zur 3. Liga einen hauptamtlichen Inklusionsmitarbeiter braucht. Ich glaube zusätzlich, dass auch der DFB ein zusätzliches Team braucht an Inklusionsmitarbeitern und eine nachhaltige Strategie entwickeln muss. Du brauchst einfach Manpower und Leute, die darauf Bock haben. Und du brauchst natürlich eine Spitze in den Vereinen, beim DFB und auch bei der DFL, durch die das Thema Inklusion gefördert wird.

"Gebt ihm die Chance, einen Fehler zu revidieren"

Der Inklusionsbeauftragte Lars Mrosko über Luke Mockridge.

Es gab jüngst die Diskussionen um Comedian Luke Mockridge und dessen Aussagen. Hilft so etwas möglicherweise sogar, indem Aufmerksamkeit erzeugt wird oder macht das einfach unfassbar viel kaputt?

Das kommt immer darauf an, von welcher Seite aus man die Aussagen sieht. Natürlich kann man Luke Mockridge an die Wand nageln. Natürlich echauffieren sich Menschen über die Aussagen. Die Aussagen waren unangebracht, dämlich und es hatte wenig mit künstlerischer Freiheit zu tun, dennoch ist es nicht der richtige Weg, ihn jetzt "kaputt zu machen" und ihm schaden zu wollen. Gebt ihm die Chance, einen Fehler zu revidieren. Genauso schlimm sind die Menschen, die sich nun medienwirksam echauffieren, die man aber vorher im Bereich der Inklusion, des Behindertensports noch nie gehört oder gesehen hat. Wie oft haben sich die Politiker vorher zu diesem Thema geäussert oder Interesse gezeigt? Aber ich wette, dass man die Politiker, die sich jetzt alle dazu geäussert haben, in ein paar Wochen nicht mehr dazu hört. Oder dass sie eine Initiative übernommen haben oder mehr Aufklärungsarbeit leisten, weil sie wollen, dass endlich mehr passiert. Ja, Luke Mockridge hat schon eine Lunte gelegt, dass überhaupt über dieses Thema gesprochen wird. Leider wird es denjenigen, die es betrifft, nicht helfen, weil die Leute aus der Politik das Thema in zwei Wochen vergessen haben.

Inklusionsarbeit ist ehrlicher

Sie waren lange Jahre im Profifussball und machen jetzt Inklusionsarbeit. Wie unterscheiden sich die Arbeitsplätze?

Die Arbeit mit meinen Jungs aus der Landesauswahl für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist ehrlicher. Die Jungs wissen noch alles zu schätzen. Die freuen sich, wenn sie mal ein T-Shirt bekommen von Adidas, wenn sie ein paar Schuhe bekommen oder Bälle.Die freuen sich, wenn sie normal behandelt werden. Der Bestverdiener in unserer Mannschaft bekommt für acht Stunden Arbeit am Tag in der Werkstatt 239 Euro. Die können sich nicht einfach mal Schuhe kaufen, die 220 Euro kosten. Meine Jungs lieben das Spiel, und die Freude sieht man auf und neben dem Platz.

Wie ist das bei der Arbeit auf dem Platz?

Der Fussball ist anders, aber nicht das Spiel. Man muss schon viel mehr erklären und kann nicht so viel voraussetzen. Aber den grossen Unterschied auf dem Platz gibt es eigentlich nicht. Ausser, dass die Menschen ohne Handicap die Übung sauberer machen und schneller umsetzen. Aber es ist bei den Menschen mit Behinderung mehr Herz dabei, mehr Leidenschaft. Und es geht mehr um das Spiel. Das eine ist Identität mit dem Sport aufgrund von Überzeugung und Leidenschaft. Und das andere ist Identität aufgrund des Traumes, Profifussballer zu werden, aber auch aufgrund der finanziellen Möglichkeiten. Profifussball ist aber zeitlich begrenzt.

Über den Gesprächspartner:

  • Lars Mrosko erlangte Bekanntheit durch das Buch "Mroskos Talente" von Ronald Reng, in dem er seine Erfahrungen als Scout teilte. Heute ist Mrosko Landesauswahltrainer in Brandenburg für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, dazu auch Inklusionsbeauftragter beim Fussball-Landesverband Brandenburg.
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