Benevento Calcio ist nun auch offiziell das schlechteste Team der Geschichte in Europas Top-5-Ligen. Der Underdog aus Kampanien wird wohl nur diese eine Saison in der Serie A mitspielen dürfen. Wirklich traurig sollte das die eigenen Tifosi aber nicht machen.

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Auch die schönsten Märchen halten der harten Realität meist nicht stand.

Benevento Calcio hat ein solches modernes Fussballmärchen geschrieben, der kleine Klub aus der Provinz Kampanien an der Westküste Italiens ist von der Serie C (3. Liga) bis hinauf in die Serie A marschiert und gilt als einer der sensationellsten Aufsteiger überhaupt in der langen Geschichte von Italiens höchster Spielklasse.

Keine sechs Monate später ist vom Zauber des Sommers in dem 60.000-Einwohner-Städtchen nichts mehr übrig geblieben.

Benevento Calcio hat dafür auf anderem Weg grössere Berühmtheit erlangt: als der schlechteste Klub der Geschichte in Europas Top-5-Ligen.

Kein Punkt und ein katastrophales Torverhältnis

Nach zwölf Spieltagen hat Benevento noch keinen einzigen Punkt geholt - und weist ein Torverhältnis von 5:31 auf.

Damit haben "Le Streghe", die Hexen, einen Uralt-Rekord von Manchester United geknackt.

Die Red Devils starteten ebenfalls mit zwölf Niederlagen in eine Saison, das ist allerdings bereits 87 Jahre her.

Positiv auffällig wurde Benevento in den vergangenen Wochen allenfalls noch durch einen Dopingfall.

Anfang Oktober gab es eine gross angelegte Razzia beim Aufsteiger, nachdem Kapitän Fabio Lucioni Spuren des anabolen Steroids Clostebol nachgewiesen wurden.

Die Geschäftsstelle und ein Hotel in Rom wurden daraufhin durchsucht, der Spieler suspendiert, während der Teamarzt alle Schuld auf sich nahm.

Kurz danach wurde Aufstiegstrainer Marco Baroni gefeuert, auch Sportdirektor Salvatore di Somma musste gehen.

Kuriose Aufstiegsregelung hilft Benevento

Sie waren die Architekten des Wunders von Kampanien. Nun ist davon nur noch eins blasse Kopie übrig.

Dabei hatte es im Sommer so rosig ausgesehen in Benevento. Als erstem Klub überhaupt gelang der Durchmarsch von der dritten in die erste Liga, das Stadion Ciro Vigorito bebte Anfang Juni, als im Playoffspiel gegen Carpi der entscheidende Sieg gelang.

Nach Jahrzehnten des Scheiterns, dem Abrutschen in die Viertklassigkeit, mehreren Insolvenzverfahren und dem Bankrott im Jahr 2005 schaffte Benevento tatsächlich auf höchst kuriose Weise den Sprung in die Serie A.

Dass es überhaupt so weit kommen konnte, verdankt der Klub auch der bizarren Aufstiegsregelung in Italien.

Aus der Serie B gibt es zwei feste Aufsteiger, die Dritt- bis Achtplatzierten spielen dagegen in drei Playoff-Runden den letzten möglichen Platz unter sich aus.

Benevento rutschte als Fünfter also noch mit einer kleinen Chance rein in die Ausscheidungsspiele und behielt zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten endlich kühlen Kopf.

Dank der Heimstärke lief alles wie am Schnürchen und gegen Carpi reichte ein 1:0, um den Traum wahrwerden zu lassen.

Die Tifosi versuchen wirklich alles

Mit rund 20 Millionen versuchte Klub-Boss Oreste Vigorito im Sommer, dem Kader wenigstens einigermassen an Serie-A-Standards anzupassen.

19 Spieler kamen, 14 mussten gehen. Die hohe Fluktuation hat aber rein gar nichts bewirkt.

Wirkliches Serie-A-Format haben Inter-Leihgabe George Puscas, Serie-B-Torjäger Fabio Ceravolo und Amato Ciricetti, der einst bei der Roma als grosses Talent galt.

Der Marktwert des Kaders beläuft sich auf rund 40 Millionen Euro. Eine nahezu lächerliche Summe im Vergleich zu den von Investoren und Mäzenen aufgepumpten Grosskalibern der Liga.

Da der Trainerwechsel von Baroni zu Robert de Zerbi nicht fruchtete, versuchten es die leidgeprüften Tifosi schon mit ein bisschen Voodoo.

Im Oktober forderten sie die Unterstützung eines Exorzisten an, der Verein sei schliesslich vom Dämon besessen und verdammt.

Schliesslich hatte die Mannschaft bei Cagliari Calcio in der vierten Minute der Nachspielzeit zum 1:1 getroffen, der erste Punkt war fast schon in der Tasche.

Vom Anstoss weg kam Cagliari aber noch ein letztes Mal vor Beneventos Tor, Schuss von Leonardo Pavoletti, drin, 1:2, wieder kein Punkt.

Die gross angelegte Spendenaktion, um dem Klub auf anderen "Wegen" wenigstens einen einzigen Punkt zu schenken, verlief bisher auch erfolglos.

Das Versprechen ist eingelöst

Dieses eine Jahr in der Serie A sollte zu einer rauschenden Fahrt werden, ganz egal wie die Ergebnisse am Ende lauten sollten. Das war der Plan.

"Der Aufstieg in die Serie A war ein Versprechen, das sich zwei Menschen gegeben haben. Zwei Menschen, die als Brüder geboren wurden und dann Freunde wurden. Ciro und ich haben uns immer wieder gesagt, dass wir es für immer versuchen werden. Und nun sind wir da", hatte Präsident Oreste Vigotiro im Sommer erzählt.

Dessen Bruder Ciro war vor einigen Jahren gestorben, als Mitinitiator des Wunders von Benevento trägt das Stadion seit 2010 seinen Namen.

Was also wird bleiben nach einem Jahr des Höhenflugs? Dass Benevento im Mai wieder runter muss in die Serie A gilt als sicher.

Acht Punkte beträgt der Rückstand auf das rettende Ufer bereits und es gibt keine grossen Aussichten auf Besserung.

Also wollen die Spieler, Fans und Verantwortlichen des Klubs jetzt jedes Spiel in vollen Zügen geniessen.

Vielleicht wird diese neue Lockerheit ja auch zu einer mentalen Befreiung. Das grösste Spiel der Saison ist zwar längst vorbei, die Auswärtsfahrt ins 70 Kilometer benachbarte Neapel zum ersten kampanischen Derby der Serie A seit 30 Jahren endete in einer fürchterlichen 0:6-Abreibung gegen Napoli.

Aber jetzt am Wochenende, ausgerechnet bei der historischen zwölften Niederlage, gegen das übergrosse Juventus war diese neue Leichtigkeit schon zu erkennen.

Benevento führte beim turmhohen Favoriten sogar. Dann zog Juventus kurz die Zügel an und siegte mit dem für Benevento zynischsten aller Ergebnisse, am Ende hiess es 1:2 aus Sicht des Aufsteigers.

Das ist aller Ehren wert, weil es so knapp war. Aber am Ende war es wieder einmal: eine Niederlage. "Wenn du dort bist, in der Serie A, willst du nicht wieder runter. Wir bevorzugen es, im Paradies zu bleiben", sagte Boss Vitorio vor der Saison. Dieser eine Wunsch wird ihm wohl nicht mehr in Erfüllung gehen.

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