• Cristiano Ronaldo wechselt für sehr viel Geld zu Al-Nassr nach Saudi-Arabien.
  • Der Sport spielt in dem Land eine grosse Rolle, die Marke CR7 ist ein wichtiger Baustein beim Thema Sportswashing.
  • Ein Sportpolitik-Experte erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion die Hintergründe.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Cristiano Ronaldo darf mit seiner Freundin Georgina Rodriguez zusammenleben. Was sich wie eine Selbstverständlichkeit anhört, ist in Saudi-Arabien eine Nachricht. Denn normalerweise müssen Paare verheiratet sein, um in dem Golfstaat unter einem Dach zu leben. Bei CR7 werden die Behörden aber ein Auge zudrücken, glauben Juristen laut der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Natürlich werden sie das, denn der Wechsel des portugiesischen Superstars hat vor allem sportpolitische Gründe, und negative Schlagzeilen passen nun mal nicht zum Sportswashing. Denn nichts anderes ist Ronaldos Engagement in Saudi-Arabien beim Klub Al-Nassr. Neben den wirtschaftlich sehr einträglichen Auswirkungen für den Superstar selbst, der dort mit 37 Jahren seine glanzvolle Karriere ausklingen lässt.

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Der Ronaldo-Wechsel ist aber eben auch "Bestandteil einer in Saudi-Arabien schon länger gepflegten Strategie, sich den Sport zunutze zu machen für eine grundsätzliche Weiterentwicklung des eigenen Staatswesens", sagt Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag unserer Redaktion: "Es ist ein Baustein in dem Entwicklungsplan 'Vision 2030', in dem Sport eine ganze zentrale Rolle spielt." Denn bis dahin möchte sich der Golfstaat dank diverser milliardenschwerer Grossprojekte, zu dem auch der Sport gehört, ein neues Image verpassen, ein auf Hochglanz poliertes. Geld spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Diverse milliardenschwere Grossprojekte

Und mit Stars wie Ronaldo, einem Klub wie Newcastle United, Events wie der Formel 1 oder den asiatischen Winterspielen 2029 will man von den Missständen im eigenen Land ablenken. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Verpflichtung Ronaldos scharf, denn sie füge sich in ein breiteres Muster von Sportswashing in Saudi-Arabien ein, so Dana Ahmed, die Nahost-Expertin von Amnesty International. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die saudischen Behörden Ronaldos Anwesenheit im Land als Mittel zur Ablenkung von der erschreckenden Menschenrechtsbilanz des Landes nutzen werden."

Saudi-Arabien hat erst vor ein paar Jahren und damit vergleichsweise spät begonnen, den Sport zu nutzen, um "die Stärke und die Kraft des eigenen Regimes und Potenzials zum Ausdruck zu bringen", erklärt Mittag. Dabei findet zwischen den Golfstaaten Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar ein regelrechter Sportswashing-Wettbewerb statt. Ein Beispiel aus dem Fussball verdeutlicht dies: Die VAE unterstützen seit Jahren Manchester City, Katar wiederum Paris St. Germain, und Saudi-Arabien inzwischen Newcastle United. Mit viel Geld werden Topstars gelockt, und so traurig das ist: Der sportliche Erfolg gibt dieser Strategie in den meisten Fällen recht.

Auch Katar betreibt Sportswashing

Viele Fans dürften das Thema sowieso noch kennen, denn WM-Gastgeber Katar wurde ebenfalls vorgeworfen, den fragwürdigen Umgang mit Menschenrechten oder Diskriminierung mit Sportswashing zu kaschieren. Was man im Hinblick auf die WM unter dem Strich als durchaus gelungen bezeichnen kann, denn die Diskussionen wurden mit zunehmender Dauer des Turniers leiser, der Sport rückte mehr und mehr in den Vordergrund. Dass Saudi-Arabien auf diese WM mit dem CR7-Deal antwortete, ist kein Zufall, sondern wohl auch Teil der Bestrebungen, 2030 gemeinsam mit Griechenland und Ägypten ebenfalls die Fussball-WM auszurichten.

Im direkten Vergleich mit Katar ist Saudi-Arabien aber noch einmal "eine ganz andere Hausnummer, denn es hat eine viel kritischer zu bewertende Dimension als in Katar", sagt Mittag und weiter: "Es ist eines der Länder der Welt, in dem die meisten Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Das Land ist viel restriktiver und nach westlichen Massstäben weitaus problematischer zu sehen, denn die Missstände sind drastischer und die Veränderungen weitaus geringer als in anderen Golfstaaten". Saudi-Arabien sei in der Hinsicht ein Problemfall mit sehr langen Veränderungsperspektiven, betonte der Experte von der Deutschen Sporthochschule in Köln.

Harsche Kritik von Amnesty International

Weltweites Aufsehen erregte zum Beispiel der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi 2018. Im vergangenen Jahr wurden an einem Tag 81 Menschen hingerichtet, "viele von ihnen in grob unfairen Prozessen", kritisiert Menschenrechtlerin Ahmed. "Die Behörden gehen auch weiterhin hart gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor und verurteilen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtler und andere politische Aktivisten zu hohen Haftstrafen".

Viele Veränderungen sind daher eher oberflächlich und nicht nachhaltig. Wie das geduldete Zusammenleben Ronaldos mit seiner Freundin. "Das ist eine symbolträchtige Aktion, das dürfte in der Bevölkerung zu keinen Veränderungen führen oder für Liberalisierungstendenzen in der Breite stehen", sagt Mittag.

Ahmed nimmt deshalb Ronaldo direkt in die Pflicht. "Anstatt Saudi-Arabien unkritisch zu loben, sollte Ronaldo seine beachtliche öffentliche Plattform nutzen, um auf die Menschenrechtsprobleme in dem Land aufmerksam zu machen", fordert Ahmed. Er solle nicht zulassen, dass sein Ruhm und sein Prominentenstatus zum Werkzeug des saudischen Sportswashing werde: "Er sollte seine Zeit bei Al-Nassr nutzen, um sich zu den unzähligen Menschenrechtsproblemen in dem Land zu äussern."

Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben, denn das ist der Knackpunkt, den man im Zusammenhang mit Sportswashing immer wieder beobachtet: Kritische Worte von Beteiligten hört man so gut wie keine, ob nun bei der WM, der Formel 1 oder bei den Klubs, die den Sponsoren dankbar sind, weil sie den Erfolg bringen. Ronaldo soll angeblich 200 Millionen Euro pro Jahr kassieren, 75 Millionen Euro davon sind das Gehalt, der Rest Einnahmen aus Sponsoring und Werbung. Wer erwartet da ernsthaft eine kritische Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen und anderen Missständen?

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fliessen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäss dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Ronaldos Wechsel hat Image-Schaden angerichtet

"Ich denke nicht, dass er als gesellschaftspolitisch sensibler Akteur in Erscheinung treten wird", sagt Mittag. "Er wird vermutlich das eine oder andere weichgespülte Statement zum Ausdruck bringen, das ihm wenig Schaden bereitet." Für den hat der Wechsel selbst schon gesorgt, glaubt Mittag. "Sein Bild in den Geschichtsbüchern wird Schaden erlitten haben, weil ihm das Geld offenkundig wichtiger ist als die sportliche Ehre. Und Saudi-Arabien auch nicht die beste Entscheidung, die er in dem Zusammenhang treffen konnte." Fest steht aber: Ronaldo wird nicht der letzte sportpolitische Coup gewesen sein.

"Wir werden die arabischen Länder als sportpolitische Akteure noch stärker ins Blickfeld nehmen müssen und damit auch veränderte Akzente in sportpolitischer Dimension. Dem Sport kommt eine immer grössere Bedeutung zu", sagt Mittag. Saudi-Arabien werde sich dabei als Akteur noch stärker präsentieren und positionieren: "Das macht deutlich, dass das Land Ernst macht und eine langfristige Strategie verfolgt." Leider nicht in Menschenrechtsfragen.

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Über den Experten: Jürgen Mittag ist als Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Der Titel der Professur "Sportpolitik" passt perfekt zu seinem Werdegang. "Für mich eine ziemlich perfekte Quintessenz meiner bisherigen Studien und Stationen", sagt Mittag. Das Institut des 52-Jährigen trägt den Titel eines Jean-Monnet-Lehrstuhls und zielt damit auf ein besseres Verständnis der Europäischen Union ab, indem verstärkt europäische Themen in die Lehre implementiert werden.

Verwendete Quellen:

  • Amnesty International: Saudi Arabia: At Al-Nassr, Cristiano Ronaldo should draw attention to human rights issues
  • sport.bild.de: Saudi-Arabien duldet wilde Ronaldo-Liebe
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