Wenn der Thomas Tuchel bei einer Mannschaft loslegt, kann er richtig biestig werden. Genau das brauchen die Engländer.

Pit Gottschalk
Eine Kolumne
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Dass die Engländer auf die Idee kommen, ihre Nationalmannschaft in die Hände eines Deutschen zu übergeben, war dann doch verwunderlich. Nicht weil Thomas Tuchel ein schlechter Trainer wäre, das gewiss nicht. Aber haben sie keine eigenen Trainer, die das Zeug zum Nationalcoach haben? Mit Gareth Southgate auf der Trainerbank wurde England immerhin zweimal Vize-Europameister.

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Schnell bekommt man den Eindruck, dass Deutschlands Fussballtrainer auf der Insel einen Ruf geniessen, der über die Etiketten "Erfolg" und "Disziplin" hinausgeht. Das mag an Jürgen Klopp liegen. In der Premier League holte er in den 334 Spielen mit dem FC Liverpool einen Punkteschnitt von 2,11. Das ist, gar keine Frage, sensationell. "Made in Germany" wurde wieder zum Exportschlager.

Deutsche Trainer haben Erfolg in England

Die sechs anderen deutschen Trainer, die sich in der Premier League versucht haben, kommen zwar nicht an Klopps Ausbeute heran. Aber zumindest Thomas Tuchel, einst beim FC Chelsea, liegt mit 1,94 Punkten pro Spiel nicht zu weit hinter ihm. Bei der Gelegenheit: Ralf Rangnick, eine Saison bei Manchester United, ist mit 1,54 Punkten pro Spiel auch besser als sein Ruf dort.

Drei andere gaben kurze Gastspiele: Daniel Farke bei Norwich City, Felix Magath beim FC Fulham und Jan Siewert bei Huddersfield Town. Aktuell begeistert Fabian Hürzeler Brighton & Hove Albion. Grosszügig dürfen wir Deutschen sogar den Deutschamerikaner David Wagner und den Österreicher Ralph Hasenhüttl für uns beanspruchen; sie haben ihr Handwerk in der Bundesliga gelernt.

Die Schlagzeilen verheissen nichts Gutes

Aber was heisst das schon? Die Schlagzeilen, die Thomas Tuchel in Grossbritannien empfingen, lassen nichts Gutes ahnen. Die Zeitungen werden jedes Länderspiel in den 18 Monaten bis zur WM 2026 danach beurteilen, wie ernst er seine Aufgabe nimmt. Die Engländer werden sich noch wundern. Und nicht nur, weil er ihnen Leidenschaft im Job versprochen hat.

Thomas Tuchel wird seine Aufgabe als Nationaltrainer sehr ernst nehmen und ihnen zum Beispiel zeigen, wie man Torjäger Harry Kane mit taktischen Mitteln besser in Schussposition setzt. Oder wie Jude Bellingham noch mehr Nutzen aus seinem unbestreitbaren Talent zieht. Das ist Tuchel: ein Bessermacher. Seine Akribie für die Three Lions wird ihnen noch auf die Nerven gehen.

Tuchel ist keiner, der Rücksicht nimmt

So war das in Mainz, so war das in Dortmund, und so war das zuletzt bei Bayern: Tuchel nahm selten Rücksicht auf die Befindlichkeiten in der Chefetage oder sein öffentliches Erscheinungsbild. Die Pressekonferenz, als er sich mit aller Sympathie und Bescheidenheit vorstellte, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er für jedes Inch Eigenverantwortung kämpfen wird.

England lernt jetzt Tuchel richtig kennen. Mit 51 wird er sich von niemandem die Chance nehmen lassen, Historisches mit England zu leisten. Bei PSG hat er gelernt, mit Superstars umzugehen. In München, wie er der Presse nette Sprüche auftischt. Training und Taktik: Beides konnte er eh schon immer. Tuchel ist jetzt das faszinierendste Experiment des internationalen Fussballs.

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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