Der FC Barcelona steht vor einer Zerreissprobe: Der Klub benötigt dringend den längst fälligen Umbruch, zerfleischt sich derzeit in kleinen und grossen Scharmützeln aber selbst. Und über allem steht die Frage: Was passiert mit Lionel Messi?

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Hätten sie Cedric Bakambu mal besser einfliegen lassen. Der Kongolese war quasi schon auf dem Weg nach Barcelona, hatte bei seinem chinesischen Arbeitgeber gerade die Freigabe erwirkt. Als Bakambu sich im Flieger nach Hongkong befand und schon über die Zukunft bei seinem Traumklub sinnierte, wurde im fernen Barcelona dann aber doch noch der Daumen gesenkt. Der Klub hatte plötzlich keine Verwendung mehr für den 28 Jahre alten Stürmer.

Die Posse war eine der bunten Geschichten der letzten Transferperiode. Man kann darüber schmunzeln oder den Kopf schütteln und vermutlich würde man ein Gebaren wie dieses einem Mittelklasse-Klub aus einer weniger beachteten Liga noch zugestehen. Einem der grössten und schillerndsten Vereine der Welt aber eher nicht.

Der FC Barcelona wankt derzeit wie ein angeschlagener Boxer durch die Gegend, die Episode um Bakambu ist nur eine unter vielen, die den katalanischen Riesen in einem zweifelhaften Licht dastehen lassen.

Quique Setien: Chance oder Risiko?

Es läuft nicht rund bei Barca, weder auf dem Rasen noch hinter den Kulissen. Die Blaugrana sind ein Pulverfass, das jeden Moment explodieren könnte. Vor ein paar Wochen wurde Trainer Ernesto Valverde entlassen, die Entscheidung der Verantwortlichen ist bis heute ein Politikum innerhalb des Klubs und in dessen Umfeld.

Es gab triftige Gründe, sich von Valverde zu trennen. Die technokratisch-pragmatische Spielweise der Mannschaft, die Probleme mit einzelnen Spielern, mit den Fans, mit Sportdirektor Eric Abidal.

Nach dem Remis im Derby gegen Espanyol – Barca war damals noch Tabellenführer, der Stadtrivale abgeschlagener Letzter – musste Valverde gehen. Eine umstrittene Entscheidung, wie auch aus Kreisen der Mannschaft zu vernehmen war. Ehemalige Barca-Stars schalteten sich in die Debatten ein, übten teils heftige Kritik an Abidal und Klubboss Josep Bartomeu.

In Quique Setien präsentierte Barca schnell einen Nachfolger. Setien ist ein Taktikgenie, wird öfter in einem Atemzug mit Besessenen wie "El Loco" Marcelo Biela, Diego Simeone oder Antonio Conte genannt. Ein Arbeiter, der etwas entwickeln kann. Aber eben auch einer, der noch nie bei einem grossen Klub gearbeitet hat, ein unbeschriebenes Blatt. Ein Risiko.

Das Ende einer Ära

Seit einigen Monaten, Kritiker würden behaupten seit einigen Jahren, ist jedes einzelne Spiel die reinste Mühsal für die Mannschaft. Vom beschwingten Barca, das durch die Wettbewerbe pflügt und mit seinem Fussball selbst gegnerische Fans und Mannschaften erfreut, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Eine Ära geht zu Ende, aber das wollen sich Klubführung und auch die meisten Fans wohl nicht eingestehen.

Barca kommt aus der erfolgreichsten Dekade seiner Klubgeschichte, hatte mit Xavi, Andres Iniesta und Leo Messi die besten Spieler und in Pep Guardiola den besten Trainer der Welt. Geblieben ist nur Messi und ein künstlich aufrechterhaltenes Gerippe.

Mit wahnwitzigen Summen versuchte Barca auf dem Transfermarkt gegenzusteuern. Mit viel Geld, aber ohne die grossen Ideen. Im Hintergrund stellt sich der Klub längst neu auf mit seinem Barca-Lab und taucht ein in die Welt der Wissenschaft.

Der breiten Öffentlichkeit präsentiert sich aber eine Mannschaft, die kaum noch eigene Talente aus La Masia nachhaltig einbaut und ihre Identität nach und nach verloren hat. Weil natürlich auch – oder gerade – ein Klub wie Barca unter dem Diktat des kurzfristigen Erfolgs steht. Dabei bedarf es derzeit wohl eher eines radikaleren Umbruchs als ihn sich die Verantwortlichen eingestehen wollen.

Was passiert mit Messi?

Die Veteranen sind müde, Spieler wie Sergio Busquets, Ivan Rakitic, Gerard Pique, Jordi Alba haben ihren Zenit überschritten. Einzelne Glanzlichter sind noch möglich, aber eine ganze Saison auf höchstem Niveau? Messi ist immer noch ein Unterschiedspieler, derzeit aber auch in einer kleinen Sinnkrise.

Im Sommer 2021 läuft sein Vertrag aus und die Frage steht tatsächlich im Raum, ob der dann 34-Jährige bereit ist für einen Neuanfang – oder ob Messi im Herbst seiner Karriere nicht doch noch etwas anderes erleben möchte. Man mag es kaum formulieren, aber selbst der vermutlich Beste aller Zeiten könnte dem dringend notwendigen Umbruch im Weg stehen.

Messi ist nicht nur der wichtigste Spieler der Klubgeschichte, der Kapitän der Mannschaft, die Identifikationsfigur. Er ist auch ein Politikum für sich. Keine wichtige Entscheidung im Klub wird an ihm vorbei getroffen, streng genommen agiert Messi unsichtbar auf einer Stufe mit Bartomeu - und über Abidal.

Seinen ehemaligen Mitspieler kritisierte der Argentinier ungewöhnlich scharf. "Ich bin der Meinung, dass jeder selbst die Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen muss. Ich finde, wenn so über Spieler gesprochen wird, sollten auch Namen genannt werden. Denn wenn nicht, werden alle beschmutzt und Kommentare genährt, die nicht wahr sind", schrieb Messi in einem brisanten Eintrag auf seiner Instagram-Seite.

Sportdirektor Abidal im Fokus der Kritik

Zuvor hatte Abidal den Spielern Einstellungsprobleme vorgeworfen. Der Zeitung "Sport" erklärte er den Trainerwechsel damit, dass unter Valverde "viele Spieler nicht zufrieden" gewesen seien und "nicht hart gearbeitet" hätten. "Auch in der internen Kommunikation gab es Probleme. Die Beziehung zwischen dem Trainer und der Mannschaft war immer gut, aber es gab Dinge, die ich als Ex-Spieler spüren konnte."

Unterstützung bekam Messi ein paar Tage später von Teamkollege Alba, der ebenfalls heftig gegen seinen Vorgesetzten schoss. "Jeder hat seine eigene Meinung. Aber es wird schon genug Dreck von draussen auf uns geschmissen, also sollten wir nicht selbst auch noch Dreck auf uns werfen. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen." Nur ist davon derzeit wenig zu sehen. Im Gegenteil.

In den Turbulenzen des Trainerwechsels verhedderte sich Abidal phasenweise komplett, legte sich am Ende auch mit Ikone Xavi an. Der soll einer der möglichen Nachfolgekandidaten Valverdes gewesen sein. Xavi hatte das Barca-Angebot sogar selbst bestätigt - wogegen sich sein einstiger Teamkollege Abidal entschieden wehrte: "Wenn er eine Offerte hat, soll er sie allen zeigen!"

Er sei eben "noch nicht so erfahren", sagte Abidal dann noch – als wäre der Sportdirektor, gerade mal seit 2018 im Amt, ein Routinier im Geschäft.

Tabellenführung futsch und Pokal-Aus

Sportlich rumpelt sich die Mannschaft nur von Spiel zu Spiel. Die Tabellenführung in La Liga ist längst futsch, neulich ereilte Barca das Aus in der Copa del Rey. Luis Suarez fehlt verletzt an allen Ecken und Enden, Antoine Griezmann ist immer noch nicht richtig angekommen, Ousmane Dembele fällt mit einer schweren Muskelverletzung ein halbes Jahr aus. Barca hat mindestens ein veritables Sturmproblem, vielleicht auch eines mit seiner medizinischen Abteilung.

Dembele wird seit seinem Wechsel von Dortmund nach Barcelona weit mehr als 70 Pflichtspiele wegen Muskelverletzungen verpasst haben. Beim BVB war der Franzose kein einziges Mal verletzt. Weder er, noch Griezmann oder der nach München geflüchtete Philippe Coutinho – die drei teuersten Transfers der Klubgeschichte mit einem Gesamtausgabewert von 380 Millionen Euro – können oder konnten die strategischen Fehler der Bosse bisher ausgleichen.

Stattdessen steht ein Kader auf dem Hof, der ziemlich schief und ziemlich dünn besetzt ist. Ein neuer Angreifer wäre für das Erreichen der kurzfristigen Ziele eine ziemlich gute Idee gewesen. Aber Cedric Bakambu durfte Barcelonas Flughafen El Prat ja gar nicht erst anfliegen.

Verwendete Quellen:

  • Sport.es: Abidal: "Tras el clásico empezamos a concretar la marcha de Valverde"
  • Kicker.de: Aufregung bei Barca: Messi geht Sportdirektor Abidal an
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