Als Jürgen Klopp den FC Liverpool im Sommer verliess, da kamen beim Klub von der Merseyside leichte Zukunftängste auf. Der neue Trainer Arne Slot hat diese in Windeseile verschwinden lassen. Wie haben er und der Klub das geschafft?

Eine Analyse
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Es ist nicht leicht, Jürgen Klopp als Trainer zu verlieren. In Mainz und Dortmund weiss man das schon länger. Denn der Abschied von Klopp, der seine 23 Jahre als Trainer nur drei Vereinen widmete, ist nicht nur ein sportlicher Verlust, sondern besonders ein emotionaler. Beim FC Liverpool musste man diese Erfahrung im Mai 2024 machen. Mit Bannern, Gesängen, Applaus und vielen Tränen verabschiedeten sich die Fans des FC Liverpool von ihrem Klopp.

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Neun Jahre hatte der deutsche Startrainer den traditionsreichen Klub von der Merseyside aus dem biederen Tabellenmittelfeld der Premier League zu mehreren Titeln geführt und die Fans dabei mit seiner Emotionalität und seinem Charisma eingenommen. Liverpool ohne Klopp, das konnten sich viele Fans der "Reds" nach dieser langen Zeit eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Der verhasste Rivale Manchester United war nach dem Ende der Ära von Alex Ferguson 2014 in ein tiefes Loch gefallen, aus dem der Klub nie wieder so richtig herausfand. Drohte Liverpool ein ähnliches Schicksal?

"Niemand ist verfügbar, der Klopps Aura, Autorität und natürliche Bindung mit den Fans nachahmen könnte", haderte auch Liverpool-Ikone Jamie Carragher noch Ende April 2024 in der britischen Zeitung "The Telegraph" mit dem Abschied der Vereinslegende. Mit Klopp sei der Trainer gegangen, der am fähigsten dazu gewesen sei, mit der Mannschaft in der nächsten Saison wieder anzugreifen. "Mit Slot wird dieser absolute Glaube der Hoffnung weichen." Denn Klopps Nachfolger, der Niederländer Arne Slot war ein Trainer, der zwar in den Niederlanden 2023 mit Feyenoord Rotterdam überraschend die Meisterschaft geholt hatte, aber auf internationaler Bühne noch kaum für Aufmerksamkeit gesorgt hatte.

Wer war nochmal Jürgen Klopp?

Jetzt, nicht einmal ein halbes Jahr später, sieht die Welt in der Arbeiterstadt im Nordwesten Englands schon wieder anders aus. Seit dem Sommer hat Slot den Trainerposten in Liverpool übernommen - und wie. Fünf der ersten sechs Ligaspiele haben die Reds zu Beginn der Saison gewonnen, darunter ein deutliches 3:0 im Derby gegen Manchester United. Noch vor Guardiolas Manchester City grüsst Liverpool aktuell von der Tabellenspitze, auch im Ligapokal und in der Champions League gegen den AC Milan gelang der Auftakt souverän. Und wer war nochmal Jürgen Klopp?

"Slot lässt die beängstigende Aufgabe, von einer so ikonischen Figur wie Klopp zu übernehmen, leicht aussehen", schwärmte auch die BBC schon nach dem Derbysieg gegen United über den neuen Liverpool-Trainer. Manche sehen den eigentlich bislang als Zweikampf zwischen Arsenal und Manchester City ausgemachten Titelkampf in der Premier League schon jetzt wieder als Dreikampf. Slot selbst aber möchte die Lobhudeleien zu diesem Zeitpunkt noch nicht zulassen. "Ich weiss, wie gut wir sind, aber wir müssen immer noch einiges beweisen", erklärte er.

Tatsächlich hat der FC Liverpool beim schwierigen Übergang auf den neuen Trainer vieles richtig gemacht. Denn auch wenn Slot nicht Klopp ist und das auch von Anfang an betont hat, hat der Klub einen Trainer gefunden, der ihm in seiner Spielweise sehr ähnlich ist. Beide Trainer lieben starkes Pressing und das Spiel mit hoher Intensität.

Slot konnte taktisch also wirklich genau da anknüpfen, wo sein Vorgänger aufgehört hatte und tut das auch. Der 46-Jährige trägt die jahrelange, kontinuierliche Entwicklung des Spielsystems weiter und ergänzt sie mit seinen taktischen Vorlieben. So rückt der Ballbesitz unter Slot nun auch beim FC Liverpool mehr in den Fokus – eine Kombination aus Guardiola- und Klopp-Fussball, sagen manche.

In einem Punkt kann Slot Klopp nicht ersetzen

Auch charakterlich tickt Slot anders als sein Vorgänger und macht daraus keinen Hehl. "Ich bin kein Klon von Jürgen", stellte Slot gleich zu Beginn seiner Amtszeit klar. Der Niederländer ist in der Tat deutlich zurückhaltender als sein Vorgänger, verfolgt die Spiele seines Teams am Seitenrand meist mit nachdenklicher, versteinerter Miene. So sehr man es bei Klopp oft wusste, was er über das Spiel oder den Schiedsrichter dachte, so wenig weiss man es beim neuen Liverpool-Trainer.

Auch die emotionalen Siegesfeiern aus der Ära Klopp gehören erstmal der Vergangenheit an. In den Pressekonferenzen schlägt Slot als Klopp-Kontrast sehr ruhige und sachliche Töne an und sorgt damit für viel weniger Schlagzeilen, als es sein Vorgänger mit markigen Zitaten tat. Die Fans akzeptieren das. Denn ob beabsichtigt oder nicht, ist es wohl die beste Art, wie man an das Erbe eines so geliebten Trainers herangeht: Man versucht besser gar nicht, ihn in emotionaler Hinsicht zu ersetzen. Fürs Erste gilt in Liverpool deshalb wieder: Die sportliche Leistung der Mannschaft steht im Vordergrund. Ob das auch in schlechteren Zeiten ausreicht, wird sich zeigen.

Klopps Erbe war wohldurchdacht

Dass es aktuell so gut klappt, ist am Ende auch wieder ein bisschen Slots Vorgänger zu verdanken. Denn dass der Übergang nach seinem überraschend frühen Aus in Liverpool so gut gelang, dafür hat die Trainerlegende des FC Liverpool selbst mit Gewissenhaftigkeit gesorgt. Klopp hinterliess keinen Scherbenhaufen, sondern eine perfekt zusammengesetzte Mannschaft mit hungrigen und jungen Spielern. Den Übergang zum neuen Trainer versuchte er so leicht wie möglich zu machen und sprach ihm bereits bei seinem eigenen Abschied die Unterstützung aus.

Da Klopp, anders als es in der Premier League lange Zeit üblich war, nicht alleine über Transfers und Kaderplanung entschied, kann nach einem Abschied auch auf dieser Ebene kontinuierlich weitergearbeitet werden. Geschäftsführer Michael Edwards, der Klopp jahrelang als Sportdirektor zuarbeitete, bleibt dem Verein etwa in wichtiger Funktion erhalten und kann sein Erbe weitertragen. Denn auch der neue Trainer weiss: So ganz ohne Klopp ginge es in Liverpool dann doch noch nicht.

Verwendete Quellen:

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