Hansi Flick hat den FC Barcelona in nur wenigen Monaten erobert. Er lässt einen begeisternden, aber auch erfolgreichen Fussball spielen. Wie hat er es geschafft, dass ihm die Stadt schon jetzt zu Füssen liegt? LaLiga-Experte Jan Platte hat eine Theorie.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es gibt Trainer, die sind verbale Menschenfänger. Man hängt bei Pressekonferenzen an ihren Lippen und kann spüren, warum der Mann auf dem Podium sein Team hinter sich versammeln kann. Jürgen Klopp gilt in der Hinsicht als Paradebeispiel. Hansi Flick macht sich bei seinen medialen Auftritten hingegen nicht verdächtig, ein Feuerwerk abzubrennen. Trotzdem hat der 59-Jährige den FC Barcelona und das Umfeld des chaotisch-emotionalen Klubs "angezündet": Spieler und Fans sind Feuer und Flamme für den ehemaligen Bundestrainer.

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Die Zahlen sind ziemlich beeindruckend: 15 Pflichtspiele hat Barca unter Flick in dieser Saison absolviert, 13 davon wurden gewonnen. Darunter waren das 4:1 in der Champions League gegen den FC Bayern, ein 5:1 gegen den FC Sevilla, ein 4:0 im Clasico bei Real Madrid und am Wochenende ein 3:1 im Derby gegen Espanyol. 40 Tore in zwölf Ligaspielen sprechen eine deutliche Sprache.

"Wir haben den richtigen Flow"

"Als ich anfing, wollten wir eine Umgebung schaffen, in der die Spieler ihr Bestes geben können. Jetzt sind die Stimmung und die Einstellung des Teams hervorragend", sagte Flick zuletzt auf der Pressekonferenz nach dem Sieg bei Real: "Wir haben den richtigen Flow. Wir spielen gut, schiessen Tore. Als Trainer ist es ideal, zwei gute Spieler für jede Position zu haben."

Längst hat Flick die Zweifler, von denen es rund um seinen Amtsantritt einige gab, ruhiggestellt. Weil die Art und Weise, wie er Fussball spielen lässt und wie die Mannschaft Flick folgt, beeindruckend sind.

"Er hat in erstaunlich kurzer Zeit ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sich jeder wohlfühlt. Flick ist der perfekte Trainer, um eine Mannschaft, die hier und da mit ihren Unzufriedenheiten zu kämpfen hatte, sich selbst auch Rätsel aufgegeben hat, zu befreien", sagt LaLiga-Experte Jan Platte, der Barca und Co. für den Pay-TV-Sender DAZN regelmässig begleitet. Flick mache das in erster Linie mit einem Vertrauen, das er über seine Mannschaft ausschütte, so Platte, der zu den Zweiflern gehörte und mit diesem erfolgreichen Gesamtpaket Flick nicht gerechnet hatte.

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Wohlfühloase im Chaos-Klub

Doch Flicks Art schafft eine Wohlfühloase in einem Verein, in dem es eigentlich dauerhaft unruhig ist. Die Lage beim FC Barcelona ist traditionell durch die generell turmhohen Ansprüche und Erwartungen, ausgebremst durch wirtschaftliche Probleme und finanzielle Vorgaben und immer mal wieder befeuert durch einen unberechenbaren Präsidenten Joan Laporta in Teilen explosiv.

Es ist ein Umfeld, in dem man sich schnell verlieren, anecken oder Fehler machen kann. Doch Flick hat es mit seiner Offenheit und einem vertrauensvollen Verhältnis geschafft, eine Einheit zu formen, die ein bisschen Anlaufzeit benötigte, sich jetzt aber tatsächlich in den von Flick erwähnten Flow gespielt hat.

Was in einem Klub wie Barca nicht alleine durch den menschlichen Faktor machbar ist, sondern auch ein klares sportliches Konzept benötigt. Flick gilt als detailversessen, legt den Fokus auf Nuancen, auf Gespräche. Im Umgang gilt er als streng, aber respektvoll, mit einer klaren Erwartungshaltung.

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Mehr Disziplin unter Flick

Zudem hat er für deutlich mehr Disziplin gesorgt. Der Franzose Jules Kounde fand sich auf der Ersatzbank wieder, nachdem er zu einer Besprechung zu spät gekommen war. Flick geht als Beispiel voran, ist mit seinem Team um Marcus Sorg, Heiko Westermann und Toni Tapalović Stunden vor der Mannschaft am Trainingsgelände. All das steigert die Glaubwürdigkeit eines Trainers enorm.

Ein essenzieller Faktor sind zudem die Athletik und Fitness, für die sich Julio Tous verantwortlich zeichnet. Er sorgt mit seinem Team dafür, dass die Mannschaft über 90 Minuten und länger den eigenen Power-Fussball zelebrieren kann. Netter Nebeneffekt: Altstars wie Robert Lewandowski erleben noch einmal einen fussballerischen Frühling. "Flick legt grossen Wert darauf, dass ein Team fit ist und nicht regelmässig nach 70 Minuten einbricht. Barca hat mehr Ballbesitz, hat mehr Vertikalität, hat immer mehr Torschüsse als der Gegner. Und ist schlicht fitter", sagt Platte.

Taktisch wie beim FC Bayern – aber anders

Taktisch setzt Flick bei den Katalanen wie einst beim FC Bayern auf ein 4-2-3-1 und ein frühes Pressing, viel Aktivität und ein hohes Risiko gegen den Ball mit der letzten Linie, die sich an der Mittellinie orientiert. "Und sie fühlen sich wohl mit der Art und Weise Fussball zu spielen", sagt Platte, der regelrecht ins Schwärmen gerät, den besten Fussball seit Ex-Trainer Ernesto Valverde (2017 bis 2020) beobachtet und betont, dass Barca wieder einen Fussballstil hat, "der dich mitnimmt, der dich mitreisst, der die Leute träumen lässt, weil er bei all dem Risiko zum Erfolg führt".

Mehr noch, denn bei Barca geht es neben dem Erfolg immer auch um die Philosophie, um die Identifikation: "Du hast wieder das, wofür Barca ja auch qua eigenem Selbstverständnis stehen möchte", erklärt Platte. Man habe Fussball, der die Leute dazu anrege, noch tagelang darüber zu reden und sich darauf zu freuen, das nächste Spiel zu sehen, so der Experte: "Die Stadt liegt in fussballerischer Hinsicht, zumindest was die Barca-Anhänger betrifft, Hansi Flick definitiv ein Stück weit zu Füssen."

La Masia im Mittelpunkt

Denn aus der finanziellen Not heraus setzt Flick auch auf junge Spieler, auf den Nachwuchs aus der eigenen Akademie "La Masia", auf die sie bei Barca besonders stolz sind und die Flick ein wenig ehrfurchtsvoll "Schatz" nennt. Ob nun Pau Cubarsí (17), Alejandro Balde (21), Pedri (21), Marc Casado (21), Lamine Yamal (17), Ansu Fati (22), Gavi (20), Fermín López (21), der verletzte Marc Bernal (17) oder Pablo Torre (21) – "er hat viele Spieler in kurzer Zeit nach vorne gebracht und ihnen durch sein Vertrauen auch ganz klar das Fundament gegeben, um die Leistungen zu bringen, die sie jetzt alle bringen", sagt Platte. "Sie wissen, dass sie Fehler machen dürfen, weil alle füreinander einstehen." Und sie wissen, dass Flick auf Leistung setzt, keine Unterschiede zu etablierten Spielern macht und sie fordert und fördert.

Stellt sich die Frage: Kann diese Jugendlichkeit des Kaders dazu führen, dass es in absehbarer Zeit zu einem allgemeinen Durchhänger kommt? Ungewöhnlich wäre das in dem Alter keinesfalls.

Doch Platte rechnet nicht damit. "Selbst wenn es mal drei gleichzeitig ‚erwischen‘ sollte, gibt es Spieler, die das auffangen können", meint Platte. In dem Zusammenhang "wäre es von enormer Wichtigkeit, dass der Kader über einen längeren Zeitraum zum Grossteil verletzungsfrei bleibt. Dann können sich die Jungstars auch mal ihre Pausen gönnen." Damit Barca unter Flick im Flow bleibt.

Über den Experten:

  • Jan Platte ist als Kommentator unter anderem für DAZN tätig und dort vor allem in der spanischen Liga, aber auch in der Champions League im Einsatz. Ab EA Sports FC 25 bildet er zudem mit Florian Schmidt-Sommerfeld das neue Kommentatoren-Duo.
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