Die Fans lieben ihn, die Bosse vertrauen ihm und seine Mannschaft folgt ihm - trotzdem könnten die Voraussetzungen für Jürgen Klopp beim FC Liverpool noch besser sein. Der Trainer steht vor einer sehr entscheidenden Saison bei den Reds.

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Draussen in Melwood ist die Welt noch in Ordnung. Der Trainingsplatz im Osten der Stadt ist abgeschottet, kein Zutritt für niemanden. Hier sind die Bediensteten der Reds noch unter sich, ein Refugium der Ruhe - während direkt vor den grossen Stahlgittern eine fussballverrückte Stadt vor sich hin tobt.

Der FC Liverpool ist mehr als nur ein Fussballklub. Er ist eine Institution, Lebensinhalt und Religion für Millionen von Menschen, in Liverpool selbst, in England, auf der ganzen Welt. Was es heisst, für die Profimannschaft dieses Klubs verantwortlich zu sein, kann man sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen.

Jürgen Klopp ist der Verantwortliche dieser Mannschaft, er ist die wichtigste Person in einem Verein, der schon Ikonen wie Bob Paisley und Bill Shankly geboren hat. Sie sind die Urväter eines Mythos und für alle ihre Nachfahren auch so etwas wie eine imaginäre Linie: Ob man will oder nicht, am Ende wird jede Saison mit jenen der grossen Erfolge von Paisley und Shankly verglichen.

Der letzte grosse Titel liegt bereits zwölf Jahre zurück. Es war eine letzte Reminiszenz an den Pathos, der diesen Klub durchflutet: Das Wunder von Istanbul, der Sieg über den AC Milan in der Champions League, im wahnsinnigsten Endspiel aller Zeiten. Seitdem hangeln sich die Fans von Saison zu Saison und von Enttäuschung zu Enttäuschung.

Reicht "gut" aus?

Die letzte Meisterschaft ist 27 Jahre her, und in dieser Zeit hat Manchester United die Reds als englischer Rekordmeister abgelöst. In den 70er und 80er Jahren hat Liverpool den Weltfussball dominiert. Momentan sind die Fans schon froh, wenn überhaupt die Qualifikation zur Königsklasse gelingt. Kaum eine andere Stadt aus Europas grossen Ligen lechzt derart nach Erfolgen wie Liverpool.

Und mit Klopp, der vor knapp zwei Jahren seine Mission an der Mersey begonnen hat, sollte diese Sehnsucht endlich erfüllt werden. Das Problem ist dabei nur, dass derzeit wenig darauf hindeutet. Die abgelaufene Saison hat Liverpool mit 17 Punkten Rückstand auf die Spitze absolviert, im Jahr davor waren es sogar 21 Punkte.

Die letzte Saison war ein klarer Fortschritt, Klopps Ideen und Vorgaben griffen immer besser, vereinzelt gab es sogar echte Highlights mit Siegen gegen die grossen Mannschaften. Ein Problem waren die Spiele gegen die vermeintlichen Underdogs, wenn etwas mehr Spielkontrolle und Eigeninitiative gefragt waren und weniger Konterfussball.

Hier setzt nun die veränderte Ausrichtung des Deutschen in seiner dritten Saison bei den Reds an. Mit klassischem Gegenpressing-Konter-Fussball ist die Premier League nicht zu gewinnen. Klopp hat die Defensive einigermassen stabilisiert, von 50 Gegentoren auf 42 runtergeschraubt. Das ist ein solider Wert, aber er reicht nicht für die Spitze.

Zweifel an Strategie auf dem Transfermarkt

Die Mannschaften aus London und Manchester sind den Reds enteilt, sowohl sportlich als auch finanziell. Nun ist der FC Liverpool keine arme Kirchenmaus, seine amerikanischen Besitzer könnten schon, wenn sie denn wollten.

Aber am ganz grossen Rad wollen die Reds offenbar gar nicht mitdrehen. Der Kader ist solide, vielleicht auch gut genug für einen erneuten Einzug in die Königsklasse. Aber der Titel?

250 Millionen hat ManCity bisher auf dem Transfermarkt ausgegeben, 170 Millionen Manchester United, 140 Millionen der FC Chelsea. Lediglich Arsenal pflegt bisher einen ähnlich zurückhaltenden Stil wie die Reds. Beide Klubs liegen bei rund 50 Millionen Euro Ausgaben - 42 Millionen hat Liverpool dabei für einen einzigen Spieler ausgegeben: Mohamed Salah vom AS Rom.

Überhaupt sind bisher nur dieser Flügelspieler, ein -vergleichsweise unbekannter - linker Verteidiger und ein Mittelstürmer aus dem Chelsea-Nachwuchs gekommen. Das ist angesichts der aufrüstenden Konkurrenz und der hausgemachten Probleme fast gar nichts.

Liverpool verfolgt da eine andere Philosophie als die meisten anderen grossen Klubs. Hier wird dem eigenen Nachwuchs mehr Zeit zugestanden. Und Spieler bekommen in Liverpool tatsächlich auch ihre Chance. In der letzten Saison musste der Klub angesichts von mehreren Pokalwettbewerben und einer langen Verletztenliste vermehrt auf Spieler der zweiten Mannschaft und der A-Jugend zurückgreifen.

Das war ohne den ganz grossen Qualitätsverlust nur möglich, weil Liverpool auf diesen Unterbau auch grossen Wert legt. Zumindest, seit Klopp das Sagen hat.

"Wir wollen den Jungs ein Umfeld geben, in dem sie sich zu allererst einmal, bis zu einem gewissen Alter, nicht unter Druck fühlen. Die Persönlichkeitsentwicklung fängt nicht damit an, dass man sich schon im Kindesalter durchsetzen muss", hat er mal in einem Interview mit dem "Kicker" erklärt.

Zurückhaltung auf dem Transfermarkt

Im derzeitigen Kader tummeln sich einige interessante Spieler wie Angreifer Sadio Mané, Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold oder Mittelfeldtalent Marco Grujic. Aber da ist auch noch einiges an gehobenem Mittelmass unterwegs, gerade in der Defensive.

Warum Klopp nicht darauf gedrängt hat, in diesem Bereich personell nachzulegen, ist eine der zentralen Fragen, die Liverpool auch in der Saison begleiten werden. Die drei Gegentore zum Ligaauftakt gegen das Mittelklasseteam aus Watford verschärfen die Debatten nur noch.

Noch ist nicht klar, ob Liverpool gegen Hoffenheim überhaupt die Champions League erreicht. Es wäre ein nächster wichtiger Schritt auf einem mühsamen Weg zurück nach ganz oben. Es ist auch noch nicht klar, was mit Spielmacher Philippe Coutinho passiert.

Aber die spannendste aller Fragen ist die, ob Jürgen Klopp im dritten Jahr seiner Amtszeit endlich ganz oben wird angreifen können. Ob die eher behutsame Herangehensweise wirklich der richtige Weg ist.

Für Klopp wird es das bis dato wichtigste Jahr seines Schaffens in England. Die Fans lieben ihn, die Besitzer vertrauen ihm, die Mannschaft folgt ihm. Aber am Ende ist das alles ohne den entsprechenden Erfolg wenig wert. Und der definiert sich gerade in Liverpool nunmal über Silberware.

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