- Als der 1. FC Nürnberg nach einem Elfmeterschiessen gegen Fortuna Düsseldorf ins Viertelfinale des DFB-Pokals einzog, freute sich im fernen Vancouver auch Julian Gressel mit.
- Der gebürtige Franke verfolgt den Fussball in seiner Heimat ganz genau. Der Traum, mal in der Bundesliga aufzulaufen, lebt.
- Gressel aber hat sich in Nordamerika einen anderen Traum erfüllt.
- Mit 29 Jahren wurde er US-Amerikaner und Nationalspieler der USA.
- Im exklusiven Interview mit unserer Redaktion schildert er seine Gefühle und nächsten Ziele.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Gressel. Mit 29 Jahren sind Sie jetzt Nationalspieler der USA.
Julian Gressel: Danke schön.
Wenn Ihnen das vor ein paar Jahren jemand prophezeit hätte, was hätten Sie der- oder demjenigen geantwortet?
Gute Frage. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht daran geglaubt. Es war ein langer Weg, erst zur Staatsbürgerschaft, und dann habe ich auch noch auf dem Platz meinen Beitrag leisten müssen. Es ist ein richtig schönes Gefühl und macht mich stolz auf den Weg, den ich gegangen bin und was ich erreicht habe. Es geht nicht nur um das, was ich hier in der MLS in den letzten sechs Jahren geleistet habe. Ich bin Riesenschritte gegangen, weg aus Deutschland, ans College.
Sie haben innerhalb von drei Tagen ihre ersten beiden Länderspiele für die USA bestritten. Waren Familienangehörige aus Deutschland im Stadion?
Leider nein. Das Timing war ein bisschen doof. Sie waren kurz vorher hier, haben über den Jahreswechsel mit mir Urlaub in den USA gemacht, mussten dann aber wieder arbeiten. Deswegen habe ich auch gesagt, dass diese beiden Länderspiele nicht meine einzigen bleiben dürfen, damit meine Familie dafür nochmal kommen kann.
Wie aufgeregt waren Sie vor ihrem Debüt?
Natürlich war ich ein bisschen angespannt, aber nicht wirklich aufgeregt. Ich habe mich darauf gefreut, weil es ein besonderes Spiel war. Die Vorbereitung hat viel Spass gemacht. Das Trikot anzuziehen, war ein schönes Gefühl und eine besondere Erfahrung.
Sie kannten in besagtem Spiel gegen Serbien einen Mitspieler auf der Gegenseite besonders gut: Ranko Veselinovic ist ihr Kollege bei den Vancouver Whitecaps. Da blühte doch sicher schon Tage vorher zwischen ihnen beiden der Flachs.
Auf jeden Fall. Wir haben natürlich Spässe gemacht, als feststand, dass wir beide spielen würden. Es war eine gute Erfahrung, gegen ihn zu spielen. Er war nach zwei Jahren Pause auch erst das zweite Mal bei der Nationalmannschaft dabei. Weil er mit Serbien gewonnen hat, hat er gerade ein bisschen Oberwasser. Unser Fokus aber gilt jetzt wieder Vancouver und den Whitecaps.
Veselinovic hat gewonnen. Sie aber haben das Führungstor der USA vorbereitet.
Das stimmt. Als wir eine Ecke hatten, hat Ranko schon direkt im Spiel zu mir gesagt: 'Gute Flanke, gute Vorlage.' Es war ein schönes Gefühl für mich, dass gleich im ersten Spiel das so gut geklappt hat, was für mich in den letzten Jahren typisch ist. Ich habe in der MLS schon viele Tore mit Flanken vorbereitet.
Haben Sie insofern als rechter Aussenverteidiger ihre Position gefunden? Eigentlich gelten Sie als Allrounder.
Ein Allrounder werde ich auch immer bleiben. In der Nationalmannschaft nehme ich die Rolle als Rechtsverteidiger aber gerne an. Generell jedoch spiele ich dort, wo der Trainer mich sieht und ich dem Team am besten helfen kann. Und wenn das als Rechtsverteidiger ist, dann als Rechtsverteidiger.
Julian Gressels Nationaltrainer ist suspendiert
Das Thema Trainer ist in der US-Nationalmannschaft nach der WM ein schwieriges. Sie stossen in einer Phase dazu, in der nicht klar ist, ob Gregg Berhalter angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen angeblicher häuslicher Gewalt im Amt bleiben wird. Anthony Hudson vertritt ihn derzeit. Wie beurteilen Sie für sich die Situation?
Derzeit befindet sich der ganze US-Verband in einer Phase des Umbruchs. Wir haben keinen Sportdirektor, keinen General Manager, und der Trainer ist auch weg. Man muss schauen, wie es weitergeht. Ich kann nur bei Vancouver gut spielen und abwarten, wie die Situation im März ist, wenn die nächsten Länderspiele anstehen. Im Sommer findet dann auch der Gold-Cup in den USA statt. Wir werden sehen, wer dann der Trainer ist. Über diese Dinge habe ich keine Kontrolle.
Sprechen Sie darüber auch mit Sebastian, Gregg Berhalters Sohn? Er ist ihr Mannschaftskollege in Vancouver.
Nicht viel. Hier und da reden wir mal im Training über seinen Vater, aber nicht im Detail. Selbst Sebastian weiss über die Situation nicht viel mehr. Er hat mir zum Debüt in der Nationalmannschaft gratuliert und gesagt, dass ich es mir verdient habe. Er würde sich wünschen, dass sein Vater mich in der Nationalmannschaft trainiert. Ich hoffe, es kommt dazu.
Wenn Sie als gebürtiger Deutscher in Ihrer Heimat spielen würden, würden Sie auf die Heim-EM 2024 hinfiebern. So können Sie sich auf die WM in Kanada, Mexiko und den USA im Jahr 2026 freuen.
Genau. Die WM 2026 ist zwar noch ein paar Jahre weg, und ich bin dann auch wieder ein bisschen älter. Aber die WM hier in den USA zu haben, ist eine schöne Sache, und es ist ein grosses Ziel von mir, daran teilzunehmen. Es wäre überragend, wenn das klappen sollte. Ich habe allerdings gerade erst zwei Länderspiele bestritten, eines von Anfang an, und die in Europa angestellten US-Spieler waren nicht dabei.
Wie sehr haben sie denn gefehlt? Gegen Serbien gab es ein 1:2, gegen Kolumbien ein 0:0. Hätten Sie mit den Spielern aus Europa beide Spiele gewonnen?
Natürlich fehlen Spieler dieser Qualität. Es war aber von vornherein klar, dass im Januar die jungen Spieler zum Zug kommen würden, weil es kein offizielles Fifa-Abstellungsfenster ist. Wir hatten aber gerade gegen Serbien mehr verdient. Ich finde, dass wir ordentlich gespielt haben. Wir hatten mehr Chancen als Serbien, haben aber nicht getroffen. Dafür haben wir zwei blöde Gegentore kassiert, durch einen Freistoss und nach einem Abstimmungsfehler. Wir stecken noch mitten in der Vorbereitung. Die Saison in der MLS startet erst Ende Februar.
Sie waren ein 29-jähriger Debütant, also schon vom Alter her sehr erfahren, aber eben erstmals dabei. Wie haben Sie Ihre Rolle innerhalb der Mannschaft gesehen?
Ich hatte eine ganz interessante Rolle. Ich war der Drittälteste in unserem Trainingscamp, was komisch für mich war. Ich habe mich aber schnell eingelebt und gleich versucht, die jüngeren Spieler mit zu führen. Ich habe gemerkt, dass sie ein bisschen nervös waren. Wir hatten immerhin zwölf Debütanten im Kader. Ich habe versucht, den Jungs Sicherheit zu geben, ihnen zu vermitteln, dass sie rausgehen und auf dem Platz ihr Ding machen. Ich habe sie zu leiten versucht, war aber deshalb nicht gleich ein Führungsspieler.
Gressel: "Die deutschen WM-Spiele habe ich im Trikot geschaut"
Beim Blick auf den Verlauf der WM in Katar muss man sagen: Sie haben völlig richtig entschieden, für die USA zu spielen und nicht für Ihr Geburtsland Deutschland.
Das stimmt. Bei dieser WM sind die USA weiter gekommen als Deutschland. Ich würde mir wünschen, beide Teams kämen weit. Diese Verbundenheit zu Deutschland besteht definitiv noch. Ich habe bei der WM die deutschen Spiele im Deutschland-Trikot geschaut, obwohl ich schon US-Amerikaner war.
Ihre Entscheidung für die USA ist aber gefallen. Sind Ihre Chancen dort einfach grösser?
Ich stehe hier in der MLS einfach mehr im Fokus. Es ist leichter, berufen zu werden. Vom US-Verband habe ich einen Anruf bekommen, aus Deutschland nicht. Ich gehe auch nicht davon aus, dass Hansi Flick für seinen Umbruch einen 29-Jährigen aus der MLS braucht. Der Pool an Nationalspielern in den USA ist grösser, weil die in Europa angestellten Spieler nicht immer dabei sind, so wie jetzt bei den Spielen im Januar. Insofern sind meine Chancen auch grösser, öfter dabei zu sein und sich in einen Kader wie für die Copa America oder die WM hereinzuspielen.
Wenn sich schon der DFB noch nicht bei Ihnen gemeldet hat: Haben denn schon Vereine in Deutschland bemerkt, dass Sie offenbar ganz ordentlich Fussball spielen?
Loses Interesse gab es in den letzten fünf, sechs Jahren immer mal wieder. Konkretes aber ist nie zustande gekommen. Ich bin hier sehr glücklich, habe immer sehr schnell neue Verträge unterschrieben. Meine Frau stammt aus den USA, meine Tochter ist hier geboren. Der Gedanke, nach Deutschland zurückzukehren, ist aber immer wieder da. Ich gehe hier in Vancouver in mein letztes Vertragsjahr. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, habe an jedem Wochenende die Bundesliga geschaut. Es würde sich ein Traum erfüllen, dort aufzulaufen.
In den 70-er Jahren verspottete der DFB die damalige Profiliga in den USA, in die Stars wie Pelé, Franz Beckenbauer, Johan Cruyff und Gerd Müller wechselten, aufgrund des Spielniveaus als "Operettenliga". Das ist vorbei. Wie beurteilen Sie das heutige Niveau des US-Fussballs im Vergleich?
Die Nationalmannschaft spielt inzwischen auf hohem Niveau, die Liga aber hat noch einige Wege zu gehen. Die MLS wächst und gewinnt jedes Jahr an Qualität. Es kommen immer wieder junge, willige Spieler hinzu, die den nächsten Schritt in eine der europäischen Topligen machen wollen.
Ein prominentes Beispiel dafür ist Vancouvers Ex-Spieler
Definitiv. Hätte Kanada sein erstes Spiel gegen Belgien gewonnen, was möglich war, hätte es für die Mannschaft für das weitere Turnier anders ausgeschaut. Und auch die USA haben gut gespielt und im Achtelfinale mit den Niederlanden mitgehalten. Mit Blick auf die WM 2026 geht es immer wieder darum, aus der MLS junge Talente in die Bundesliga, nach England, Frankreich oder Spanien zu bringen.
Nehmen wir den Kevin Paredes. Mit dem habe ich bei Washington D.C. United zusammengespielt. Er ist als 18-Jähriger zum VfL Wolfsburg gegangen und hat dort nach einem halben Jahr Fuss gefasst. Er kommt jetzt mit 19 Jahren immer wieder von der Bank zu Bundesligaminuten. Er wird in den nächsten Jahren einen Riesenschritt machen. Davies, Brenden Aaronson oder Tyler Adams sind weitere Beispiele, die die Liga weiterbringen, weil einerseits die Welt mehr auf die MLS schaut. Andererseits bringen solche Transfers Geld in die MLS, das investiert werden kann, um bessere Spieler zu holen.
Zu denen gehört der bundesligaerfahrene Alessandro Schöpf, einst ausgebildet beim FC Bayern München. Wie empfindet er das Spielniveau nach seinem Wechsel aus Bielefeld nach Vancouver?
Ich glaube, er hat sich gut eingelebt und ihm gefällt es bei uns ganz gut. Er erlebt hier eine andere Mentalität, wie er selbst sagt. Es herrscht durch die fehlende Abstiegsregelung nicht dieser Existenzdruck wie in der Bundesliga. Es gibt auch keine Fans, die einen nach Niederlagen jagen.
Und diese Mentalität gefällt Ihnen und Schöpf.
Ja, es lässt sich so befreiter Fussball spielen. Die MLS bewegt sich vom Niveau her zwischen der ersten und zweiten Bundesliga in Deutschland. Jede Mannschaft hier hat individuelle Qualität und Spieler, die locker in der Bundesliga mithalten können. Was fehlt, ist die Tiefe im Kader, 17, 18 oder 19 gleichwertige Spieler zu haben.
Gressel: "Die Bayern schaue ich schon um 6:30 Uhr in der Früh"
Welchen Klub verfolgen Sie in Deutschland intensiv? Sie stammen aus Franken und haben in der Jugend für die SpVgg Greuther Fürth gespielt.
Ich verfolge alle Vereine aus Franken, vor allem den 1. FC Nürnberg und Fürth. Ansonsten war ich schon immer Bayern-Fan. Die kommen hier auch öfters im Fernsehen. Dann schaue ich schon früh um 6:30 Uhr zu.
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