Real Madrid hat nach nur 14 Spielen seinen Trainer entlassen. Aber Julen Lopetegui ist nur das Bauernopfer einer völlig verkorksten Planung. Und für die ist der mächtige Patron Florentino Perez verantwortlich.

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In einer unaufgeregten Welt wäre die Nachricht gar keine gewesen, sondern halt das übliche Tagwerk eines Angestellten.

Dass Madrid-Trainer Julen Lopetegui noch das montägliche Training leiten durfte, war in diesem Fall jedoch sehr wohl etwas Besonderes - weil der Profifussball eigenen Gesetzen folgt und weil Real Madrid gemäss Selbstverständnis der schillernste und prächtigste Klub der Welt ist.

Real Madrid hat El Clasico mit 1:5 verloren, und beim ewigen Rivalen FC Barcelona hatte Leo Messi sogar noch verletzungsbedingt gefehlt.

Manch ketzerischer Kritiker schrieb danach von der durchaus realistischen Möglichkeit, dass erstmals überhaupt ein Vergleich mit den Katalenen zweistellig hätte verloren gehen können für Real - wenn Messi denn auch noch dabei gewesen wäre.

Es war der bisherige Tiefpunkt einer an schmerzhaften Erfahrungen nicht armen Saison für die Königlichen. Insofern war die Tatsache, dass Lopetegui nicht direkt nach dem Desaster beurlaubt wurde, schon aussergewöhnlich.

Ganz banal und erwartbar folgte die Reaktion auf die schlimmste Vereinskrise seit Jahren dann aber am späten Montagabend: Real hat sich nicht nur von seinem Trainer getrennt, sondern den hochkant rausgeworfen.

In einer wenig schmeichelhaften Presseerklärung setzten die Bosse ihren wichtigsten Angestellten vor die Tür und liessen dabei keine Möglichkeit aus, die Schuldfrage eindeutig zu klären.

“Es besteht ein Missverhältnis zwischen der Qualität des Personals, das mit acht Spielern für den Goldenen Ball nominiert ist - etwas, das in der Klubgeschichte noch nie passiert ist - und den bisherigen Ergebnissen”, war dort unter anderem zu lesen.

Was nicht weniger bedeutet als: Die Mannschaft ist weltklasse. Der Trainer ist es nicht.

Historisch schlechte Zahlen

Das grosse Real Madrid liegt in der Primera Division nach zehn Spieltagen schon sieben Punkte hinter Barca und auf Platz neun, es ist der schlechteste Start seit 17 Jahren.

14 Gegentore sind die Bilanz eines Abstiegskandidaten, schon vier Niederlagen leisteten sich die Königlichen in dieser Spielzeit. Neulich blieb die Mannschaft 481 Minuten in Folge in allen Wettbewerben ohne Tor, die längste Serie der 116-jährigen Klubgeschichte. Verantwortlich für diese schlechten Zahlen war in der Tat Lopetegui.

Wenige Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft im Juni entfachte Real-Präsident Florentino Perez einen Sturm der Entrüstung im spanischen Fussball. Der allmächtige Real-Boss überredete Lopetegui, ab dieser Saison doch die Geschicke seiner Mannschaft zu übernehmen und Nachfolger des zurückgetretenen Zinedine Zidane zu werden.

Dumm nur, dass Lopetegui in diesen Tagen damals eigentlich einen ganz anderen Job zu verrichten hatte: Spaniens Furia Roja in Russland wieder zum Weltmeister zu machen.

Es folgte eine wilde Schlammschlacht, alle Beteiligten schoben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe und am Ende folgte der Rauswurf Lopeteguis aus der Nationalmannschaft.

Kein Nachfolger für CR7

Vier Monate später hat die grösste Trainerhoffnung des Landes einen nächsten Rauswurf in seiner Vita stehen. Die Frage in Madrid war dabei längst nicht mehr, ob Lopetegui bald seinen Job verliert, sondern wann.

Jetzt ist das Himmelfahrtskommando so geendet, wie es zu erwarten war.

Lopetegui ist in Spanien als ehemaliger Trainer der U-21-Nationalmannschaft vielleicht ein überragender Ausbilder von Talenten - beim grössten Klub der Welt als Nachfolger von Zidane anzuheuern, war jedoch wohl eine Nummer zu gross für den Coach.

Dabei war der Start in Madrid durchaus vielversprechend. Die Mannschaft spielte phasenweise wie entfesselt, variabel, frisch.

Ohne Cristiano Ronaldo im Angriff ordnete sich die Hierarchie in der Mannschaft neu, andere Spieler rückten in den Vordergrund und es sah tatsächlich danach aus, als könne Real den prominenten Abgang über mehrere Schultern verteilt abfangen.

450 Pflichtspieltore hatte CR7 in seinen neun Jahren in Madrid erzielt, also im Schnitt 50 pro Saison. Nahezu die komplette Zeit musste die Mannschaft für Ronaldos grosse Momente mitschuften, der Superstar hatte seine Wasserträger und Lakaien im Team.

Nachdem die Liaison merklich erkaltet war zwischen Spieler und Klub sowie den Fans, die Ronaldo mehr als einmal nach einem seiner Tore provozierte, war der Wunsch nach einer Veränderung greifbar.

Perez war derjenige, der sich kurz vor dem Lopetegui-Ritt auch in der Causa Ronaldo in den Wind stellte. Für den Patron war CR7 ein Auslaufmodell mit einem für Real waghalsigen Preis-Leistungs-Verhältnis.

Leo Messi ist nicht zu bekommen, ParisNeymar aber wäre durchaus für ein Engagement in Madrid zu begeistern. So hatte sich Perez das jedenfalls in den Kopf gesetzt.

Auf dem Transfermarkt war Real erstaunlich moderat unterwegs, offenbar hatte Perez bis zum Schluss die fixe Idee, Neymar für rund 300 Millionen Euro nach Madrid zu holen.

Stadionbau hat oberste Priorität

Nun spielt Neymar immer noch in Paris, Ronaldo schiesst seine Tore mittlerweile für Juventus und Perez’ Trainerhoffnung Lopetegui ist Geschichte.

Der Klub-Boss hat es binnen weniger Wochen tatsächlich geschafft, zwei Drittel der spanischen Fans gegen sich aufzubringen: Die Anhänger der Nationalmannschaft verzeihen ihm den Streit vor der WM nicht, jene von Real die Installation Lopeteguis.

Aber Perez, kritikresistent wie eh und je, fährt weiter seinen Gigantismus-Kurs: Real will das Santiago Bernabeu in das modernste Stadion der Welt umbauen. Nur 800 Plätze mehr sollen entstehen, die Baukosten sind mit rund 600 Millionen Euro veranschlagt.

Perez soll wie vernarrt sein in den Gedanken, als Initiator des "New Bernabeu" in die Geschichte einzugehen. Der Präsident habe sich auf der Suche nach immer neuen Superlativen verloren und das Tagesgeschäft vergessen, heisst es in Spanien.

Und wo die Krise nun da ist und es massiven Gegenwind von allen Seiten gibt, hat sich auch aus dem fernen Turin der ehemalige Liebling zu Wort gemeldet.

Ronaldo tritt nach

In einem Interview mit dem Magazin "France Football" trat Ronaldo nochmal kräftig gegen Perez nach.

"Perez hat mich niemals als etwas anderes angesehen als einen Teil einer Geschäftsbeziehung. (...) Für Perez war ich nicht mehr länger unverzichtbar."

Real Madrid hat eine ganze Reihe an Problemen zu lösen. Binnen zwei Wochen muss laut Statuten der spanischen Liga eine endgültige Entscheidung auf der Trainerbank präsentiert werden. Santi Solari gilt nur als Übergangslösung.

Wunschkandidat Antonio Conte aber zögert - wohl auch, weil einige wichtige Spieler ihre Bedenken angemeldet haben.

Dazu kommt die unklare strategische Ausrichtung: Was passiert im kommenden Sommer? Die Finanzkraft der Scheichs von Paris oder Manchester hat Real nicht, selbst die Bayern haben ein wenig gespart, um 2019 kräftig zuschlagen zu können.

Reals wichtigste Spieler sind deutlich gealtert und bringen nicht den Wiederverkaufswert, der für eine echte Transferoffensive nötig wäre. Und der Stadionbau soll im kommenden Jahr ja auch beginnen und belastet die Ausgabenseite enorm.

Real Madrid hat sich binnen weniger Monate in eine äusserst pikante Situation manövriert. Zinedine Zidane und Cristiano Ronaldo sind die grossen Gewinner, Lopetegui und Perez die Verlierer. Einer aus dem Quartett ist noch da. Und der muss jetzt die Scherben zusammenkehren.

Quelle:

France Football: Interview exclusive de Cristiano Ronaldo

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