Wieder einmal erweist sich Real Madrid als schlechter Verlierer, der Konflikt der Königlichen mit den Schiedsrichtern geht in eine neue Runde. Die Strategie dahinter ist nicht neu, erreicht in diesen Tagen aber eine neue Qualität.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In den Sekunden vor Barcelonas Führungstreffer im Finale der Copa del Rey machte es sich Jude Bellingham im Mittelfeld als stiller Beobachter gemütlich. Bellingham reagierte nicht auf den Ballverlust seiner Mannschaft, verpasste den Moment des Gegenpressings komplett - weil er stattdessen über den schlampigen Pass des Mitspielers lamentierte - und nahm dann nicht den Laufweg seines eigentlich direkten Gegenspielers Pedri auf.

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Während Bellingham also im Schritttempo Richtung eigenes Tor schlenderte, sprintete ihm Pedri mühelos davon und setzte den Ball wenige Sekunden später in den linken Winkel. Diese passive Nebenrolle passte zu Bellinghams und Reals Auftritt in der ersten Halbzeit der Partie, umso erstaunlicher war dann, dass sich der Engländer auf dem Weg in die Kabine lautstark in eine Hauptrolle zürnte.

"Alles wird für sie gepfiffen, jede 50:50-Entscheidung läuft in ihre Richtung", motzte Bellingham deutlich vernehmbar, der Schuldige für Reals 0:1-Rückstand war also flugs ausgemacht. Es war die erste, aber nicht die letzte unangenehme Episode, die Real Madrid einem an Intensität, Spannung und Dramatik kaum zu überbietenden Finale beisteuerte. Und mal wieder zielte die geballte Ladung Frust dabei auf den Unparteiischen ab.

Tränenreicher Appell

Schon im Vorfeld der Partie hatte es in Spanien und auch darüber hinaus einmal mehr grossen Aufruhr gegeben: Real Madrid und die Schiedsrichter - das bleibt offenbar eine endlose Geschichte. Eigentlich hält sich ja hartnäckig das Gerücht, dass es die Blancos sind, die seit Jahrzehnten von den Schiedsrichtern des Landes im Zweifel latent bevorzugt werden. In Madrid sieht man das aber offenbar völlig anders.

Nicht zum ersten Mal sind in den Tagen vor dem Finale im klubeigenen TV Szenen eines Unparteiischen mehr oder weniger wahllos aneinandergeschnitten worden, die zeigen sollen, wie viele Fehlentscheidungen dem Referee unterlaufen seien. Diesmal erwischte des Ricardo de Burgos Bengoetxea, der vom Verband angesetzte Schiedsrichter des Copa-Finales.

Dass unter anderem auch die Siegquoten von Real und dem FC Barcelona bei Spielen unter der Leitung des Basken ausgerechnet wurden, erhöhte den Druck auf den 39-Jährigen derart, dass der sich auf einer Pressekonferenz vor dem Endspiel in Tränen aufgelöst an die Öffentlichkeit wandte.

"Wenn Ihr Kind in die Schule geht, und andere ihm sagen, sein Vater sei ein 'Dieb', und es dann weinend nach Hause kommt, dann ist das krass. Ich sage meinem Sohn immer, dass sein Vater ehrlich ist, und dass er Fehler machen darf, so wie jeder Sportler."

Real forderte Absetzung des Final-Schiedsrichters

Reals Replik darauf war nicht etwa eine Entschuldigung, sondern eine erneute Attacke gegen Bengoetxea, dessen Verhalten als "inakzeptabel" eingestuft wurde, und einer Forderung an den spanischen Verband RFEF und die Schiedsrichtervereinigung, Bengoetxea durch einen anderen Unparteiischen zu ersetzen.

"Angesichts der Schwere der Vorfälle hofft Real Madrid, dass die Verantwortlichen des RFEF und der Schiedsrichtervereinigung entsprechend handeln und die notwendigen Massnahmen ergreifen, um das Ansehen der Institutionen, die sie vertreten, zu schützen", liess Real Madrid wissen. Die Forderung liess der Verband unbeachtet, Bengoetxea durfte das Finale schliesslich leiten.

"Die Maschinerie läuft schon seit Wochen"

Diese Art der öffentlichen Diffamierung war nicht neu, zuletzt sorgte im Februar eine ähnliche Strategie Reals für grosses Aufsehen. Damals traf es mehrere Schiedsrichter, auch sie wurden bei "realmadrid tv" regelrecht vorgeführt. Am schlimmsten erwischte es damals Jose Luis Munuera Montero.

Der hatte Jude Bellingham vom Platz gestellt, nachdem dieser "F**k you" in Richtung des Schiedsrichters gesagt haben soll. Bellingham und Real beriefen sich darauf, der Spieler habe lediglich "F**k off" gesagt, und das an sich selbst adressiert.

Die Folge war ein wilder, in der Öffentlichkeit ausgetragener Streit zwischen mehreren Parteien: Real Madrid, das mit einer Serie an Publikationen im Haus-Sender Stimmung gegen Munuera Montero gemacht hatte, dem Verband, dem Schiedsrichterwesen, LaLiga-Präsident Javier Tebas und auch Reals Stadtrivalen Atletico.

Angeblich soll Munuera Montero mit seinem Unternehmen geschäftliche Beziehungen zu mehreren Sportverbänden und auch Klubs halten - unter anderem Atletico. Die wehrten sich dann allerdings vehement gegen die Anschuldigungen. "Die Maschinerie läuft schon seit einigen Wochen und zermalmt alles, was sich ihr in den Weg stellt", schrieb Atletico bei "X" und fügte an: "Mal sehen, wer es wagt, Recht zu sprechen, weil er weiss, dass er der Nächste sein könnte ..."

Munuera Montero durfte unmittelbar danach keine Spiele der spanischen Liga mehr pfeifen. Nur langsam glätteten sich die Wogen in den Wochen danach. Bis nun rund um das Copa-Finale alles wieder auf die Tagesordnung kam.

Nur noch schlechte Verlierer?

Die Vorkommnisse vor, während und nach dem Spiel sorgen weiter für Verwunderung und Kopfschütteln. Unrühmlicher Tiefpunkt war der Platzverweis für und folgende Ausraster von Antonio Rüdiger, der gleich von mehreren Teamkollegen und Staff-Mitarbeitern zurückgehalten werden musste.

Vor der verbalen Tirade hatte der bereits ausgewechselte Rüdiger einen Kühlbeutel auf den Platz und in Richtung Schiedsrichter geworfen. Nun droht dem deutschen Nationalspieler eine wochenlange Sperre, womöglich ist seine Saison frühzeitig beendet.

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Für das "Werfen eines Gegenstandes" sieht die spanische Sportgerichtsbarkeit vier bis zwölf Spiele Sperre vor, die auch in der Liga gelten. Dort sind noch fünf Spieltage zu absolvieren - die Real nun in der ohnehin schon angespannten Personallage in der Innenverteidigung sehr wahrscheinlich ohne ihren Abwehrchef spielen muss.

Für Real Madrid mit all seinem Pathos und der Grandezza, bleibt indes nur noch die Rolle des besonders schlechten Verlierers. Aber auch das ist vom Klub der Königlichen mittlerweile keine besonders neue Erkenntnis mehr: Als im Herbst durchsickerte, dass nicht Real-Star Vini Jr., sondern Rodri von Manchester City mit dem Ballon d’Or ausgezeichnet werden sollte, boykottierte Real Madrid die Veranstaltung kurzerhand.

Verwendete Quellen: