- Aus Sicht des brasilianischen Fifa-Schiedsrichters Igor Benevenuto, der vor einigen Wochen sein Coming-Out hatte, halten viele Menschen im Fussball ihre Homosexualität verborgen.
- Ob er anderen Menschen auch zu einem Coming-Out raten würde, hänge von der jeweiligen Situation, erklärt der 41-Jährige.
Der brasilianische Fifa-Schiedsrichter Igor Benevenuto hat nach seinem Coming-Out eine überraschende These aufgestellt. "Wenn wir alle Beteiligten – Funktionäre, Trainer, Spieler, Schiedsrichter – zusammennehmen, dann sind 30 bis 40 Prozent homosexuell, bisexuell oder hatten mal etwas mit einem Mann", sagte der 41-Jährige im Spiegel-Interview. "Man würde sich wundern, wer alles in dieser Branche homosexuell ist."
Benevenuto hatte in einem Podcast seine Homosexualität öffentlich gemacht - als erster Fifa-Schiedsrichter. Er stand auf der Liste der potenziellen Videoschiedsrichter für die WM in Katar, wurde aber nicht nominiert. "Ich glaube daran, dass eine WM auch die Chance zur Verbesserung bietet. Vielleicht können sich Sitten und Regeln ändern", sagte er angesprochen auf die WM in einem Land, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften verboten sind.
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Auch in seinem Heimatland sorgte das Coming-Out für Aufruhr: "In Brasilien galt Homosexualität als eine Krankheit wie Alkoholismus, die man überwinden könne. Und ich habe das jahrelang geglaubt. Ich litt unter Depressionen und durchlebte dunkle Stunden, abends betete ich zu Gott: Erlöse mich von der Krankheit."
Benevenuto zur Lage in Brasilien: "Einstellung hat sich noch nicht geändert"
Benevenuto ist seit 24 Jahren im Schiedsrichtergeschäft. Nun will er Vorreiter sein, andere motivieren, den gleichen Schritt zu gehen. Es gebe immer noch Vorurteile, sagte er. "In Brasilien müssen Homosexuelle fürchten, nicht nur mit Worten, sondern auch körperlich angegriffen zu werden. Die Einstellung hat sich noch nicht geändert." Er "werde es nicht mehr erleben, dass sich die Situation komplett ändert."
Ob er anderen Menschen auch zu einem Coming-Out raten würde, hänge von der jeweiligen Situation und vom Umfeld desjenigen ab. "Es sollte nicht einfach aus dir herausbrechen, dann könnte der Schaden grösser sein als der Nutzen. Ich habe lange gebraucht, um zu mir selbst zu finden", sagte Benevenuto. "Es ist ein Prozess, aber wenn du es geschafft hast, dann kannst du – um im Fussballjargon zu bleiben – frei aufspielen. Ich wünsche allen, dass sie sich befreien können. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als für andere und nicht für sich selbst zu leben." (AFP/dpa/lh)
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