• Lionel Messi gewinnt zum siebten Mal, Robert Lewandowski geht leer aus.
  • Die Ballon-d'Or-Wahl schlägt mal wieder hohe Wellen. Aber ist diese Art der Verleihung noch zeitgemäss?
  • Hatte Lewandowski überhaupt eine Chance? Und warum hat die Bundesliga einen klaren Nachteil?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit Montagabend schlägt ein Thema in den deutschen Sportmedien hohe Wellen: Lionel Messi hat den Ballon d'Or gewonnen, Robert Lewandowski nicht. Das können die wenigsten Beobachter hierzulande verstehen, weil Lewandowski doch in der Bundesliga einen Uralt-Rekord von Gerd Müller geknackt hat und die Über-Bayern mal wieder zur Meisterschaft geschossen hat. Und Messi: Hat auf Vereinsebene nur die Copa del Rey gewonnen mit dem FC Barcelona und reisst bei seinem neuen Klub in Paris bisher gar nichts.

Mehr News zum Thema Fussball

Deshalb ist gerade oft von einem "Skandal“ zu lesen, den sich das Gremium des Ballon d'Or da geleistet habe. Dabei könnte man ebenso die komplette Veranstaltung als solche hinterfragen. Eine Einordnung.

Der Stellenwert des Ballon d'Or und seine Schwachstellen

Das Überzeichnen von einzelnen Spielern und die Suche nach Helden und Versagern ist so alt wie das Spiel selbst. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern, im Gegenteil: Der Showgedanke, der unbedingte Drang, immer eine Überfigur zu finden und auch die Wucht der elektronischen Medien werden diese Entwicklung noch weiter befeuern. Die Gala am Montagabend wurde mal wieder über mehrere Stunden aufgeblasen, längst scheint so eine Wahl auch ein sportpolitisches Grossereignis.

Auf der Bühne strahlt und glitzert alles, hinter den Kulissen bleiben kaum zu lösende Probleme. Für die Vergabe der Preise bemüht das Fachmagazin "France Football" eine Journalisten-Jury, die aus je einem Vertreter der 53 Mitgliedsverbände der UEFA sowie 53 Juroren aus jenen aussereuropäischen Verbänden besteht, die an mindestens einer Weltmeisterschaftsendrunde teilgenommen haben.

Anders als die FIFA-Wahl zum Fussballer des Jahres ist der Ballon d'Or also eine reine Journalisten-Wahl. Cheftrainer oder Kapitäne der Nationalmannschaften sind ebenso nicht für die Stimmabgabe vorgesehen wie Fans. Es bleiben zwei grundsätzliche Probleme: Das Lagerdenken und die Vergleichbarkeit der Leistungen einzelner Spieler. Lewandowski mag bei den Bayern in einer der besten Klubmannschaften der Welt spielen - er spielt aber definitiv nicht in einer der besten Nationalmannschaften der Welt.

Wie sind seine Tore bei den Bayern - in einer Mannschaft, die in der heimischen Liga jeden Gegner grundsätzlich deklassieren kann - mit jenen in Polens Auswahl zu verrechnen? Wie Messis Tore bei einem strauchelnden Barca mit jenen in der argentinischen Nationalmannschaft? Wie sind die Erfolge der jeweiligen Teams mit der Leistung des Einzelspielers zu verknüpfen? Und warum braucht eine Mannschaftssportart überhaupt individuelle Auszeichnungen?

Im Vorfeld der Veranstaltung gab es ein wenig Streit zwischen Cristiano Ronaldo und "France Football"-Chefredakteur Pascal Ferre. Ronaldo warf dem Franzosen vor, gelogen und sich an seinem guten Namen bereichert zu haben. Alles im Sinne der grösstmöglichen Aufmerksamkeit für die anstehende Verleihung. Denn darum geht es im Grunde auch.

Es werden fast immer Offensivspieler ausgezeichnet

Und in diesem Jahr natürlich um die Frage, ob sich die Europa-Fraktion würde durchsetzen können. Schon die Geschichte des Wettbewerbs ist eigenartig und selektiv genug: Fast 40 Jahre lang wurde der Ballon d'Or nur an europäische Spieler verliehen. Dann erst öffnete sich das Gremium und liess alle in Europa tätigen Spieler zur Wahl zu. Lewandowski steht in Europa im Fokus, Messi aber gewann mit Argentinien die Copa America. Die wiederum spielt für europäische Beobachter kaum eine Rolle.

65-mal wurde der Ballon d'Or mittlerweile vergeben. Ganze dreimal holte sich die Auszeichnung ein Defensivspieler oder ein Torhüter: Der Russe Lew Jaschin, seiner Zeit einer der besten Keeper der Welt, gewann die Trophäe 1963. Matthias Sammer führte Deutschland 1996 als Libero zum EM-Titel und gewann die damals den zum "Europas Fussballer des Jahres“ umbenannten Titel. Und Fabio Cannavaro wurde 2006 als Innenverteidiger und Anführer von Italiens Weltmeistermannschaft gewählt.

Die anderen 62 Gewinner waren ausschliesslich offensive Mittelfeldspieler und Angreifer, vom ersten Gewinner Stan Matthews bis eben jetzt zum wiederholten Male Messi. Weil für die Essenz des Fussballs und die spektakulären Momente die Offensivspieler zuständig sind.

Es gibt gute Gründe für Robert Lewandowski und die Bayern, sich über die Wahl zu ärgern. Lewandowski spielte - mal wieder - eine herausragende Saison, knackte den angeblichen Jahrhundertrekord von Gerd Müller. Aber der 33-Jährige hatte zudem Pech: Im letzten Jahr fiel die Verleihung des Preise der Corona-Lage zum Opfer - just in den Wochen nach der erfolgreichsten Phase der Bayern in deren langer Klubgeschichte mit einem herausragenden Lewandowski.

"Ich finde, Robert, dass 'France Football' Dir den Ballon d'Or des vergangenen Jahres geben sollte. Wir alle wissen, dass Du ihn verdient hattest. Du warst der gerechte Sieger und es hat nicht sollen sein, wegen der Pandemie. Du solltest ihn auch zu Hause haben“, sagte Messi am Montagabend daher fast schon entschuldigend in Richtung Lewandowskis.

Es gibt gute Gründe für die Wahl von Messi

Lewandowski war in der deutschen Betrachtungsweise mit Abstand das Mass aller Dinge. Im internationalen Vergleich aber letztlich chancenlos gegen Messi und dessen Saison. Der Argentinier erzielte zwar im Abstimmungszeitraum insgesamt 14 Tore weniger als Lewandowski, war aber in allen anderen Bereichen dem Polen teilweise deutlich überlegen. Messi hatte doppelt so viele Torvorlagen, erzielte mehr siegbringende Treffer, sammelte mehr als viermal so viele erfolgreiche Dribblings und Pässe, wurde doppelt so oft zum "Man of the Match" gewählt und war auch in einer gerne übersehenen Kategorie um Längen besser als Lewandowski: Während der Pole 35 Grosschancen ungenutzt liess, erlaubte sich Messi nur deren zwölf.

Bei der Europameisterschaft führten sieben Spieler aus sieben Nationen die wichtigsten neun Ranglisten an: vom Torjäger (Ronaldo, fünf Tore) über den besten Vorbereiter (Steven Zuber, vier Assists) und den Spieler mit den meisten Pässen vor Grosschancen (Kevin de Bruyne, 16) bis hin zu jenem, der die meisten Torschüsse für seine Mitspieler auflegte (Pedri, 24). Robert Lewandowski war in diesen Listen nicht zu finden. Beim südamerikanischen Pendant zur EM, der Copa America, lag in denselben neun Kategorien jeweils nur ein Spieler vorn: Lionel Messi.

Das dokumentierte seinen Stellenwert für die Mannschaft bei diesem Turnier und erklärt, warum es Argentinien nach 28 langen Jahren wieder auf den Thron schaffte. In Europa und in Deutschland erfährt die Copa America wenig Beachtung, im weltweiten Vergleich ist das Turnier aber ein absolutes Highlight.

Der Gedanke führt über Umwege auch zu einem Problem, das die Bundesliga hat: Im Vergleich mit der Premier League und La Liga kann die höchste deutsche Spielklasse in der Gunst der Beobachter schlicht nicht mithalten. Während die Premier League die grösste, spektakulärste Liga der Welt ist und sein Publikum besonders auch im asiatischen Raum unterhält, ist die spanische Liga für Südamerika allein schon wegen der enormen Anzahl an Spielern von dort ungeheuer populär. Was in der deutschen Bundesliga passiert, interessiert da nur am Rande. Und daran wird sich auch in der Zukunft kaum etwas ändern.

Mehr Fussballthemen finden Sie hier

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.