• Trotz schwerster Missbrauchsvorwürfe hat der Sportgerichtshof CAS die lebenslange Sperre des ehemaligen haitianischen Verbandspräsidenten Yves Jean-Bart zurückgenommen.
  • Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und die Spielerinnen- und Spielergewerkschaft FIFPro reagieren entsetzt auf die Entscheidung. Potenzielle Zeuginnen seien eingeschüchtert worden.
  • Bleibt die vermeintliche Schreckensherrschaft von Jean-Bart ungesühnt?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sabrina Schäfer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Das ist keine Gerechtigkeit und es ist ein völliges Versagen an den Überlebenden, die sich getraut haben, als Zeuginnen in diesem Fall auszusagen." Mit diesen drastischen Worten reagiert Minky Worden von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch im "Guardian" auf eine Entscheidung des Sportgerichtshofs CAS vor wenigen Tagen.

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Der CAS hat die lebenslange Sperre für den ehemaligen haitianischen Fussball-Verbandspräsidenten Yves Jean-Bart aufgehoben. "Das Schiedsgericht ist der Ansicht, dass die gegen Yves Jean-Bart erhobenen Beweise in Bezug auf die Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs uneinheitlich, ungenau und widersprüchlich sind", heisst es in der Mitteilung des CAS.

Jean-Bart war vor über zwei Jahren von der rechtssprechenden Kammer der unabhängigen Ethikkommission der Fifa "des Missbrauchs seiner Stellung sowie der sexuellen Belästigung und des sexuellen Missbrauchs diverser, teilweise minderjähriger Fussballerinnen für schuldig befunden" worden. Der ehemalige haitianische Fussball-Verbandspräsident Jean-Bart habe gegen das Fifa-Ethikreglement verstossen.

Terror, Vergewaltigungen, Abtreibungen

Die Vorwürfe gegen Jean-Bart wiegen schwer. Mehrere Spielerinnen und Schiedsrichterinnen aus dem Nachwuchsleistungszentrum in Croix-de-Bouquet, einem Vorort von Port-au-Prince, hatten anonym im "Guardian" Stellung bezogen. Laut ihrer Aussagen soll "Dadou", Jean Barts Spitzname in Haiti, jahrelang Spielerinnen terrorisiert, vergewaltigt und bedroht haben. Die Überlebenden erzählen von erzwungendem Sex und erzwungenen Abtreibungen. Eine Zeugin erzählt: "Eine unserer besten jungen Spielerinnen verlor ihre Jungfräulichkeit an Dadou, als sie 17 war im Jahr 2018 und musste auch abtreiben. Diese Mädchen, die in dem Fifa Center leben ... es ist wirklich eine Schande, weil sie für das Land spielen wollen, aber wenn sie über ihre Situation sprechen, werden sie gefeuert. Sie sind Geiseln."

Dass die Spielerinnen anonym bleiben wollen, hat auch mit ihrer Furcht vor Jean-Barts langem Arm zu tun. "Ich habe solche Angst", sagt eine. "Dadou Jean-Bart ist eine sehr gefährliche Person. Es gibt viele Menschen, die reden wollen, aber sie haben solche Angst, vor allem um die Eltern, die noch in Haiti leben."

"Wir haben deinen Sarg schon vorbereitet"

Laut Worden von Human Rights Watch wurden die Spielerinnen, die sich bereits anonym gegen Jean-Bart gestellt hatten, eingeschüchtert und so von einer offiziellen Aussage abgehalten. "Fifa und Cas haben keine Bedingungen geschaffen, in denen es sicher für Whistleblowers und Überlebende gewesen wäre mit Beweisen für den schrecklichen Missbrauch an die Öffentlichkeit zu gehen." HRW habe Nachrichten von Dadous Handlangern gesehen, die Zeuginnen eingeschüchtert hätten: "Wir haben schon deinen Sarg vorbereitet."

Auch die Spieler- und Spielerinnengewerkschaft FIFPro zeigt sich "schwer enttäuscht" über die Entscheidung: "FIFPro hat in diesem Fall von Anfang an versucht Spielerinnen, die von Missbrauch berichteten, zu unterstützen. Die Reise der Spielerinnen und Whistleblower war jedoch unglaublich gefährlich und herausfordernd. Die aktuellste Entwicklung wirft weitere Fragen hinsichtlich der Möglichkeiten des Fussballs effektive Abhilfe bei ernsthafen Menschenrechtsverletzungen zu schaffen auf", heisst es in einem Statement.

Fifa-Strukturen erschweren Verfolgung von Missbrauch

Die Fifa schweigt bislang zum Urteil des CAS. Schon die gesamte Causa Jean-Bart wirft einmal mehr kein gutes Bild auf den Weltverband, der sich neben Kumpleien mit Jean-Bart unter anderem vorwerfen lassen muss, erst viel zu spät auf die Vorwürfe gegen Jean-Bart reagiert zu haben.

Die Strukturen der Fifa machen es zudem schwer für Überlebende und Opfer Missbrauch zu melden. "Es gibt eine Menge Hindernisse, wenn man Missbrauch melden will", erklärt ein Sprecher von FIFPro gegenüber unserer Redaktion. "Ein Punkt ist dieselbe Machtdynamik, die Missbrauch im Sport überhaupt erst möglich macht - Opfer, Überlebende und Whistleblowers glauben, dass es ihre beruflichen Möglichkeiten negativ beeinflusst." Zudem sei das Vertrauen in das Berichtswesen der Fifa nur gering, glaubt FIFPro. "In den Disziplinarverfahren der FIFA werden Opfer und Überlebende beispielsweise nicht als Teil des Verfahrens angesehen. Ihnen wird die Entscheidung gegen die Person, die sie angeklagt haben, nicht mitgeteilt und sie können keine Berufung einlegen, sollte ihre Klage abgewiesen werden."

FIFPro fordert Veränderungen in der Fifa

FIFPro sieht die Fifa in der Verantwortung, mehr zur Verhinderung von Missbrauch zu tun. Es brauche umfassende Schulungen, wie man Missbrauch verhindern und erkennen kann, für alle Akteure im Fussball, also Offizielle, Trainer und Spielerinnen und Spieler. Sicherheitsmechanismen sollten in Kraft gesetzt werden und auf jeden Report, jede Verdächtigung müsse schnell reagiert werden.

Dass die Machtpositionen bei der Fifa noch immer grösstenteils von Männern besetzt werden, ist ein weiteres Problem, wenn es um die Verfolgung von sexuellem Missbrauch im Fussballkontext geht. "Mehrere Studien haben gezeigt, wie sehr Organisationen von Vielfältigkeit auf Management-Ebene profitieren", meint FIFPro. "Die Ernennung von weiblichen Führungskräften bei der Fifa würde die Entwicklung von Fussball auf nationaler und internationaler Ebene voranbringen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Disziplinar- und Ethik-Ausschüsse, in denen über sexuellen Missbrauch entschieden wird, mit Männern und Frauen gleichermassen besetzt sind."

Human Rights Watch hat die Fifa bereits aufgefordert, Einspruch gegen das Urteil des Schiedsgerichts einzulegen und "unbedingt neue Massnahmen zum Schutz von Zeugen in Missbrauchsfällen in Haiti und weltweit" zu ergreifen. Es sei bewiesen, dass der CAS vor allem bei weiblichen Athletinnen nur unzureichend für Gerechtigkeit sorgt. Laut dem "Guardian" erwägt die Fifa diesen Schritt tatsächlich. Am Freitag (24. Februar) soll die Entscheidung fallen.

Haiti qualifiziert sich für Frauen-WM

Nur wenige Tage nach der Entscheidung des CAS rückte im haitianischen Fussball Dadou noch einmal in den Hintergrund. Erstmals ist es dem Frauen-Nationalteam Haitis gelungen, sich für eine WM zu qualifizieren. Eine Sensation! Für die Spielerinnen ist es wichtig, den Schatten von Dadou nicht übermächtig werden zu lassen. "Wir wollen die WM-Qualifikation für das ganze Land, um für einen frischen Wind zu sorgen und mal einen Schritt weg von allem anderen, was noch passiert, zu tun", erklärte Mittelfeldspielerin Danielle Etienne gegenüber ESPN kurz vor dem entscheidenen 2:1-Sieg gegen Chile. Das ist den Spielerinnen gelungen.

Quelle:
  • "Josimar": Hell on earth
  • "The Guardian": Fifa considers rare Cas appeal over lifting of Yves Jean-Bart’s lifetime ban
  • "The Guardian": Ruler of the ranch: the rise and fall of Yves Jean-Bart, Haiti's king of football
  • FIFPro: Statement: CAS decision on Yves Jean-Bart
  • Anfrage an FIFPro
  • Human Rights Watch: Haiti: FIFA Failing Sex Abuse Survivors
  • ESPN: 'Football is the joy' for Haiti's women's national team, who are just two games from the World Cup
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