Die Preise auf dem Transfermarkt im Fussball steigen weltweit seit Jahren an. Waren einst zweistellige Millionenbeträge nur für absolute Top-Spieler zu zahlen, gehören diese Summen heute zum Alltagsgeschäft der Manager. Doch nirgends tobt der Transferwahnsinn so wie in England. Warum eigentlich?
In diesem Sommer thronte der englische Vereinsfussball über allem. Liverpool schlug im rein englischen Champions-League-Finale Tottenham, Chelsea bezwang im rein englischen Europa-League-Finale Arsenal. Die spanische Dominanz schien endlich gebrochen. Mit ihrer Finanzkraft versuchten die englischen Clubs schon seit langem die Vormacht in Europa zurückzuerobern. Nur gelang ihnen das bis zuletzt nicht.
Dank zahlungskräftiger Investoren, lukrativer TV-Verträge und einem weltweiten Marketingsystem, das auch aufgrund der Verbreitung der englischen Sprache und einer modernen Präsentation der Premier League als Produkt in Nordamerika, Indien oder Südostasien viele Einnahmen beschert, kann niemand den Engländern das Wasser reichen, wenn es um Ablösesummen und Gehälter geht. Die Ressourcen scheinen zumindest noch unerschöpflich im Vergleich zu den anderen Top-Ligen in Europa.
Premier League: Eine Nachfrageinflation
Dass in England die Ausgaben für Spieler in der Liga steigen, hat seine spezifischen Gründe: Clubs haben schlichtweg mehr Geld, das sie ausgeben können. Nur liegt die Vermutung nahe, dass dieses zusätzliche Geld in hochklassige Spieler investiert wird. Die Realität sieht aber anders aus. Denn der Anstieg an Mehreinnahmen läuft nicht parallel zu einem etwaigen Anstieg an verfügbaren Weltklassespielern in Europa. Der Pool an Talenten bleibt mehr oder weniger gleich gross.
Aber aufgrund dieser Entwicklung sind jene, die höchste Qualität verkörpern noch mehr wert. Das entspricht einer Nachfrageinflation (demand-pull inflation). Die Nachfrage steigt schneller als das Angebot am Markt. Fussballer einer bestimmten Qualität können nicht einfach schneller und in grösserer Stückzahl "produziert" werden.
Deshalb werden auch durchschnittliche Spieler zu immer höheren Preisen verpflichtet. Allein in den letzten Wochen gab es dafür einige anschauliche Beispiele: Manchester United überwies 55 Millionen Euro an Crystal Palace für die Dienste von Aaron Wan-Bissaka, Southampton bezahlte Liverpool 22 Millionen für Danny Ings, Sheffield seinerseits 19 Millionen für Oliver McBurnie an Zweitligist Swansea und Aston Villa 22 Millionen für Tyrone Mings an Bournemouth.
Derartige Namen wecken im restlichen Europa nicht unbedingt Begehrlichkeiten und trotzdem wandern immense Summen vom Konto eines englischen Clubs auf das Konto eines anderen. Es ist hausgemachter Transferwahnsinn mit Durchschnittsspielern und jungen Talenten.
Kein nachhaltiges System auf dem Transfermarkt in England
Auf dem Transfermarkt gibt es keine regulative Behörde, welche die steigende Inflation unterbinden würde. Auf der einen Seite machen die Clubs momentan immer mehr Geld durch Verkäufe von Spielern. Aber das ganze System scheint nicht nachhaltig.
Irgendwann werden die grossen Fernsehanstalten und Streaming-Dienste nicht mehr in der Lage sein, ihre finanziellen Aufwendungen für Übertragungsrechte weiter zu steigern, was unweigerlich zur Desinflation und schlussendlich Deflation führt. Die Nachfrage nach Spielern wird zusehends einbrechen, während Clubs immer noch versuchen, ihre Fussballer für hohe Preise zu verkaufen. Schliesslich haben sie Jahre zuvor auch hohe Summen bei den Verpflichtungen bezahlt.
Schon jetzt deutet sich in England an, dass der Zenit bald überschritten ist. "Sky" und "BT", die beiden grossen Übertragungsanstalten, haben zuletzt für das Rechte-Paket umgerechnet rund 730 Millionen Euro weniger bezahlt als noch für die Periode von 2016 bis 2019.
Einfluss auf die Bundesliga
Die Entwicklung in England beeinflusst auch das Geschäft der Bundesliga. Gerade die kleineren Erstligisten auf der Insel können jetzt schon nur noch schwerlich die Preise für einheimische Spieler zahlen und schauen sich vermehrt in Deutschland, Frankreich und andernorts nach ähnlich starken Fussballern um, die aber bei weitem weniger kosten. Zugleich wirtschaftet die Bundesliga um einiges nachhaltiger und ist deshalb den erwähnten Marktschwankungen und im schlimmsten Fall einer Hyperinflation nicht ausgesetzt.
In den letzten Jahren profitierten viele Bundesligisten vom überhitzten englischen Markt. Erst in diesem Sommer verkaufte Hoffenheim Joelinton für 44 Millionen an Newcastle und Eintracht Frankfurt Sébastien Haller für 40 Millionen an West Ham. Bei Wechseln nach Spanien oder Italien hätten beide Clubs derartige Summen nicht generieren können. Der deutsche Fussball hat sich als Ausbildungsstätte für England etabliert.
Das gilt sogar für Borussia Dortmund, das durch den Abgang von Christian Pulisic rund 64 Millionen kassierte und in mehrere neue Spieler reinvestieren konnte. Ein Geschäftsmodell, das sich für viele Bundesligisten bewährt hat. Lediglich die Bayern werden durch die aktuelle Marktlage behindert, wie ihr Werben um Leroy Sané und das erforderliche Paket von Ablösesumme und Gehaltszahlungen im Bereich von insgesamt 200 Millionen verdeutlichte.
Aber das oft gepriesene Festgeldkonto des deutschen Rekordmeisters steht symbolisch für das solide Wirtschaften des Ligaprimus und der gesamten Bundesliga. Diese muss sich aktuell nur gedulden, bis der Transferwahnsinn in England ein Ende findet und die Clubs von der Insel ihre einst teuer eingekauften Durchschnittsspieler nicht mehr loswerden.
Verwendete Quellen:
- Bericht von Sky News zur Vergabe von TV-Rechten in der Premier League
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