Vinicius Junior glänzt in der Champions League gegen Borussia Dortmund, kommende Woche soll der Real-Star den begehrten Ballon d'Or gewinnen. Der Brasilianer polarisiert – und das liegt nicht an seinem fussballerischen Können.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Früher war es beispielsweise Oliver Kahn, zuletzt unter anderem Neymar und Cristiano Ronaldo: Es gibt immer wieder Fussballprofis, die polarisieren, die die Massen entweder begeistern oder zu Tode nerven. Entweder liebt oder hasst man sie – dazwischen gibt es eigentlich keinen Spielraum.

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Der neueste und möglicherweise polarisierendste "Fussball-Polarisierer" ist Vinicius Junior. Der Real-Star ist ohne Zweifel der Spieler, der die Fussballwelt aktuell spaltet wie kein anderer. Was für den enormen Kontrast sorgt, ist der Unterschied zwischen Vinicius' fussballerischem Können auf dem Platz und seinen Aktionen abseits des reinen Fussballspielens.

Der laut "transfermarkt.de" aktuell wertvollste Spieler der Welt (200 Millionen Euro Marktwert) gehört zu den derzeit grössten Stars des Milliarden-Business Profifussball. Mit den Jahren bei den "Königlichen" – der Brasilianer spielt dort seit 2018 – erarbeitete sich Vinicius ein immer grösseres Standing im Star-Ensemble, inzwischen ist er aus dem Team nicht mehr wegzudenken.

Vinicius-Gala gegen Borussia Dortmund

Erst vor wenigen Tagen machte er eindrucksvoll deutlich, welch wichtige Säule er bei Real Madrid ist. Beim Champions-League-Duell mit Borussia Dortmund steuerte er in der zweiten Hälfte drei Tore bei und war massgeblich dafür verantwortlich, dass aus dem anfänglichen 0:2 zur Halbzeit noch ein fulminanter 5:2-Sieg wurde.

Der 24-Jährige hing sich rein und war sich auch nicht zu schade dafür, in der 86. Minute zum grossen Sololauf über 70 Meter anzusetzen und anschliessend eiskalt zu verwandeln. Anschliessend zog sich Vinicius sein Trikot aus und warf sich vor den heimischen Fans in oberkörperfreie Siegerpose. Ein exzentrischer Jubel für einen exzentrischen Spieler, typisch Vini Jr. eben. Dass der Brasilianer auch nach zwei Toren nicht weniger hungrig ist, zeigte er dann in der dritten Minute der Nachspielzeit, als er zum 5:2-Endstand einnetzte.

Vinicius Junior
Real-Star Vinicius Junior jubelt nach seinem zweiten Tor gegen Borussia Dortmund. © IMAGO/Newscom World/Senis-Cebolla/ALFAQUI

Die spanischen Medien jubelten ihn nach der Gala-Halbzeit zum "besten Fussballer der Welt" hoch. Real-Ikone Emilio Butragueno verglich ihn kurzerhand mit Pelé, dem wohl grössten Fussballspieler aller Zeiten. Und auch Vinicius' Trainer war voll es Lobes: "Es kommt selten vor, dass ein Spieler so eine Halbzeit spielt", sagte Carlo Ancelotti im Anschluss an den Sieg in der "Königsklasse".

Bericht: Vini Junior ist Favorit auf den Ballon d'Or

Sein Fabel-Jahr mit dem Gewinn der Champions League und der spanischen Meisterschaft wird Vinicius Junior wohl am kommenden Montag krönen. Die spanische "Marca" berichtete bereits vor einigen Wochen davon, dass der Brasilianer den begehrten Ballon d'Or gewinnen wird. Die anderen Favoriten, unter anderem Spaniens Europameister Rodri und England-Star und Vini-Kollege Jude Bellingham, sollen demnach leer ausgehen.

Angesichts der gezeigten Leistungen in der vergangenen Saison wäre der goldene Ball für Vinicius durchaus verdient. Der 24-Jährige erzielte in 39 Pflichtspielen 24 Tore, elf weitere Treffer legte er auf. Vor allem in der Champions League glänzte er, traf unter anderem im Halbfinal-Hinspiel gegen den FC Bayern zweimal, zudem war er im Endspiel gegen Borussia Dortmund einmal erfolgreich. "Der Brasilianer erschien, als seine Teamkollegen ihn am meisten brauchten, um der Welt zu zeigen, warum er den Ballon d'Or mehr verdient als jeder andere", schrieb Reals Hausblatt "Marca" nach dem Spiel gegen Dortmund in dieser Woche.

Und auch Ancelotti ist sich im Hinblick auf den goldenen Ball bereits sicher: "Er wird den Ballon d'Or gewinnen, aber nicht für das, was er heute Abend getan hat, sondern für das, was er in der Vergangenheit getan hat und was uns geholfen hat, die Champions League zu gewinnen", erklärte der Italiener auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Dortmund. Vielmehr würden ihm die drei Tore gegen den BVB beim Ballon d'Or 2025 helfen, erklärte Ancelotti weiter.

Einzig was das sportliche Bild etwas trübt, ist die Leistung des Offensivstars in der brasilianischen Nationalmannschaft, die sich seit geraumer Zeit in der Krise befindet. Einer Krise, der selbst Ballkünstler Vinicius aktuell nichts entgegenzusetzen hat.

Vinicius liebt es, zu provozieren

Trotz allen sportlichen Erfolgs gibt es aber noch eine andere Seite des Real-Spielers. Die Seite nämlich, wegen der Vinicius Junior dermassen polarisiert und die Fussballwelt spaltet. Denn er liebt es zu provozieren, vor allem auf dem Platz.

Ein Beispiel: Im Halbfinal-Rückspiel gegen die Bayern in der vergangenen Saison verhöhnte Vinicius Gegenspieler Joshua Kimmich auf durchaus provokante Art und Weise. Als die Madrilenen zu Hause mit 2:1 vorne lagen und einen Einwurf bekamen, wollte Kimmich ihm schnell den Ball geben. Doch der Brasilianer dachte gar nicht daran, die Kugel entgegenzunehmen, stattdessen liess er sie einfach fallen und davonrollen. Daraufhin drückte Kimmich ihm nochmal den Ball an die Brust, diesmal vehementer – doch wieder machte der Real-Star keine Anstalten, den Ball entgegenzunehmen, wieder liess er ihn fallen, diesmal rollte er ihn sogar aktiv weg.

Real-Star hat immer wieder mit Rassismus zu kämpfen

Nach dem Spiel machte ein Clip der Szene die Runde in den sozialen Medien – häufig mit dem Zusatz versehen, dass Vinicius doch "einfach nur Fussball spielen wolle". Eine Anspielung auf eine Pressekonferenz des Brasilianers vom vergangenen März. Nach rassistischen Beleidigungen zeigte er sich dort höchst emotional und erklärte unter Tränen, dass er einfach nur Fussball spielen wolle. Angesichts seiner häufig provozierenden Art auf dem Rasen glaubte ihm das im Anschluss nicht jeder Fussballfan.

Reals Vinicius Jr. wird häufig mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert.
Reals Vinicius Junior bei der Pressekonferenz im März. © IMAGO/ZUMA Wire/Oscar J. Barroso

Was jedoch auch zur Wahrheit gehört: Kaum ein Spieler wird so häufig mit rassistischen Vorfällen konfrontiert wie Vinicus Junior. Immer wieder kommt es in den Stadien – vor allem in Spanien – zu rassistischen Angriffen, die Vinicius als Ziel haben.

Erst kürzlich hat die spanische Polizei die vier Hauptverantwortlichen einer Hasskampagne im Netz gegen Vini Jr. festgenommen. Das teilte sie in einem Post auf der Plattform X mit, ohne ausdrücklich den Namen des betroffenen Spielers zu nennen. Doch spanische Medien assoziierten die Festnahmen mit der Kampagne gegen den 24-Jährigen.

Die vier Männer sollen im Internet vor dem Stadtderby der beiden Madrider Spitzenvereine am 29. September Fans aufgerufen haben, im Stadion gegen Vinicius rassistische Beleidigungen anzustimmen. Zudem stifteten sie laut der Zeitung "El País" dazu an, maskiert in das Stadion zu kommen, um nicht identifiziert zu werden. Der Zeitung zufolge wurde der dafür kreierte Hashtag millionenfach aufgerufen. Die vier Festgenommen seien zwischen 24 und 26 Jahren alt.

Ein völlig unnötiger, unangebrachter und respektloser Vorfall, der leider auch zeigt, wie unbeliebt Vinicius bei vielen Fussballfans vor allem in Spanien ist.

Vieles deutet darauf hin, dass sich Vinicius Junior am kommenden Montag im Théâtre du Châtelet in Paris mit dem Ballon d'Or krönen wird. Aus rein sportlicher Sicht wohl eine nachvollziehbare Entscheidung. Inwiefern der Brasilianer durch seine anderweitigen Showeinlagen auf dem Platz jedoch seiner Vorbildfunktion gerecht wird, darf durchaus diskutiert werden.

Eines jedenfalls ist jetzt schon sicher: Sollte Vinicius den Ballon d'Or erhalten, wird er dadurch in Zukunft nicht weniger polarisieren, ganz im Gegenteil. Er wird die Fussballwelt weiter – und vielleicht sogar noch mehr – spalten. Ob es das wirklich braucht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

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