Der FC Liverpool setzt mit dem Kauf von Virgil van Dijk eine Debatte in Gang, in deren Mittelpunkt auch Trainer Jürgen Klopp steht. Der sportliche Wert des Transfers eines 26 Jahre alten Innenverteidigers steht schon jetzt in Frage.
Virgil van Dijk ist kein hoffnungsvolles Talent mehr, dafür ist er mit 26 Jahren schon deutlich zu alt.
Und der Niederländer ist auch keiner der Spieler, die man im obersten Regal des Weltfussballs verorten würde, in die 1A-Kategorie jener Spieler, die über allen anderen schweben.
Streng genommen ist Van Dijk ein relativ unbekannter Spieler, 16 Länderspiele leicht, seit zwei Jahren in der Premier League für den FC Southampton unterwegs. Auch das ist ein Mittelklasse-Team.
Seit Mittwochnachmittag trägt der Innenverteidiger aber den zweifelhaften Ruf, der teuerste Abwehrspieler der Geschichte zu sein.
Unglaubliche 84 Millionen Euro inklusive aller Prämien soll der FC Liverpool für Van Dijk überweisen, eine Summe fern jeder Vorstellungskraft selbst für betagte Experten der Szene im Wunderland des Fussballs.
Der ganz grosse Schock blieb zwar aus, vielmehr goutieren die meisten Fans diesen Irrsinn wohl nur noch mit einem Achselzucken.
Dafür ist zu viel passiert auf dem Transfermarkt der vergangenen Jahre, das Geld aus England, Katar oder China überschwemmt den Markt weiterhin.
Zuliefererbetrieb FC Southampton
Und doch hat der Wechsel eines begabten, aber doch nicht eines Weltklasse-Verteidigers von Southampton nach Liverpool eine gewisse Sprengkraft.
Da steht der Vorwurf im Raum, die Reds bedienten sich nicht nur erneut bei den Saints, sondern formulierten die Geschichte vom ganz persönlichen Ausbildungsklub nochmal neu.
Mit Van Dijk wechselt nun schon der fünfte Spieler binnen kürzester Zeit an die Mersey, davor waren es schon Ricky Lambert, Adam Lallana, Dejan Lovren und Sadio Mané.
Das Transfervolumen hat die 200-Millionen-Euro-Grenze nun deutlich überschritten, bis zu 240 Millionen Euro hat Liverpool inklusive der Van-Dijk-Gelder nun nach Southampton überwiesen.
Das ist der Lauf der Dinge, sagen die einen. Andere sehen darin aber auch eine grosse Gefahr für die angeblich beste Liga der Welt.
Wenn sich die Top-Klubs noch weiter abkapseln und der Konkurrenz enteilen, leidet die Attraktivität der Liga automatisch. "Ein Argument, wieso die Premier League weltweit so beliebt ist, ist ihre Ausgeglichenheit. Darauf wurde diese Liga aufgebaut. Aber ich frage mich: Wird das so bleiben, wenn die Elite enteilt? Das wird für die Liga ein trauriger Zustand", ist sich selbst die Liverpool-Legende Jamie Carragher sicher.
Besonders brisant wird Van Dijks Transfer aber auch deshalb, weil Jürgen Klopp nun die Geister der Vergangenheit wieder einholen - beziehungsweise einige forsch formulierte Ansichten.
Als Paul Pogba vor anderthalb Jahren für die damalige Rekordsumme von 105 Millionen zu Liverpools ewigem Rivalen Manchester United wechselte und damit erstmals die Schallmauer einer dreistelligen Millionen-Ablöse im Weltfussball durchbrach, schwang sich
Klopp in der Kritik
"Wenn der Fussball eines Tages nur noch so funktioniert, dann werde ich meinen Beruf nicht mehr ausüben. Andere Klubs geben immer mehr Geld für einen Topspieler aus. Ich will einen anderen Weg einschlagen, selbst wenn ich so viel Geld zur Verfügung hätte", sagte Klopp damals auf eine sehr ausführlichen Pressekonferenz, auf der er unbedingt auch auf die Gefahren solcher Blockbuster-Deals hinweisen wollte.
"Wenn sich ein Spieler für 100 Millionen verletzt, raucht das ganze Geld zum Kamin hinaus. Wenn ich Geld ausgebe, dann um eine Mannschaft aufzubauen, ein echtes Team. Denn es geht immer darum, zusammenzuspielen."
Diese durchaus provokanten Aussagen kommen nun wie ein Boomerang auf Klopp zurück, in England wird Liverpools Coach als Heuchler und Schwätzer dargestellt, die sozialen Netzwerke explodierten beinahe nach der Bekanntgabe des Wechsels.
Dass die Reds in der Defensive unbedingt etwas tun mussten, liegt auf der Hand. Schon im Sommer baggerte Klopp vehement an Van Dijk, die Saints wollten ihren Abwehrchef aber nicht ziehen lassen.
Jetzt hat das grosse Geld doch noch das eine Türchen geöffnet und Liverpool, das mit 23 Gegentoren in der Liga die meisten aller Top-Teams kassiert hat, zumindest die Aussicht auf Besserung.
Manchester City gilt in der Premier League derzeit nicht nur wegen der souveränen Tabellenführung als Paradebeispiel dafür, wie man mit dem nötigen Kleingeld die Löcher im System stopfen kann. Die Citizens kauften im Sommer unter anderem Benjamin Mendy für rund 58 Millionen Euro vom AS Monaco.
Nach 20 Spieltagen hat die Mannschaft von Pep Guardiola die Zahl der Gegentore im Vergleich zur Vor-Saison fast halbiert, letzte Saison waren es 22, jetzt sind es nur noch zwölf Gegentreffer.
400 Millionen Euro Ausgaben
Finanziell dürfte sich der Transfer von Van Dijk für Liverpool nicht mehr rechnen. Bei einem kolportierten Fünfjahresvertrag wäre zwar die entsprechend lange Zeitspanne gegeben, um mit Hilfe einer Klausel bei einem möglichen Weiterverkauf noch ein paar Euro einzunehmen.
Aber Van Dijk scheint mit 26 Jahren jetzt schon zu alt, um in einigen Jahren nochmal kräftig mit einem Transfer absahnen zu können.
Über Merchandising oder Marketingmassnahmen dürfte der Niederländer ebenfalls kaum refinanzierbar sein, was an seinem überschaubaren Bekanntheitsgrad und an der Tatsache liegt, dass er als Abwehrspieler überhaupt keinen Glamourfaktor mitbringt.
Und bei der Weltmeisterschaft im kommenden Sommer kann sich Van Dijk auch nicht einer noch grösseren Öffentlichkeit zeigen.
Bleibt also noch der gute alte Weg, sich über sportlichen Erfolg zu definieren. In dieser Saison dürfte es mit der Meisterschaft mal wieder nichts werden, ManCity ist mit 20 Punkten Vorsprung schon uneinholbar enteilt.
In der Champions League haben die Reds mit dem FC Porto ein machbares Los im Achtelfinale erwischt.
In der (möglichen) Runde der letzten Acht wird es dann für die vergleichsweise unerfahrene Mannschaft auf diesem Niveau in dieser Saison schon schwer werden.
Van Dijk dürfte also eher ein Versprechen für die Zukunft sein und womöglich auch nicht der letzte grosse Transfer, den der FC Liverpool in Angriff nimmt.
Denn streng genommen sind auch die Reds finanztechnisch in einer Reihe zu nennen mit den potentesten Klubs der Welt.
Allein in den letzten zweieinhalb Jahren, also fast genau in der Amtszeit von Jürgen Klopp, hat Liverpool rund 400 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. Ein grosser Titel ist dabei noch nicht herausgesprungen.
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