Die EM-Qualifikation wackelt bedenklich, dazu erschüttert ein Wettskandal den italienischen Fussball. Der Calcio steckt in der Krise, denn wie tief der Wettsumpf ist, weiss im Moment niemand so genau. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Skandal im Land des Europameisters.
Fabrizio Corona genoss seinen Auftritt sichtlich. Der frühere "König der Paparazzi" stahl am Dienstagabend sogar der italienischen Nationalmannschaft die Show. Corona weiss, wie er sich inszenieren muss. Dafür bekam er in der Sendung "Avanti Popolo" auf Rai Tre, dem dritten Kanal des staatlichen italienischen Fernsehens, eine passende Bühne und eine fünfstellige Gage. Selbstverliebt und selbstbewusst liess er sich als Enthüller feiern, der eine wichtige Rolle im Wettskandal des Calcio spielt. Doch an diesem Abend, unmittelbar nach dem 1:3 der "Squadra Azzurra" in England, enthüllte er im Live-Fernsehen zunächst nichts.
Die Technik spielte nicht mit, als belastende Aussagen eines Informanten von Corona eingespielt werden sollen. Corona tobte auf Instagram. "Ich bin zensiert worden! Das habe ich nicht erwartet! Es tut mir leid für Sie alle. Leider konnte ich nicht, wie mir heute Morgen versichert wurde, sagen, was ich wollte, um im Fernsehen die grossartige Arbeit zu zeigen, die ich seit Tagen leiste", wütete Corona. Er denke nun darüber nach, was er tun solle und wo er all die Nachrichten zeigen könne, die er "unter grossen Opfern und Risiken" gefunden habe, "ohne Angst zu haben, denn ich bin ein freier Mann und habe vor nichts Angst".
Weitere Namen zum Wettskandal im Umlauf
Später gab er laut der Nachrichtenagentur "Ansa" dann doch noch neue Namen bekannt. Stephan El Shaarawy von der AS Rom, Federico Gatti von Juventus Turin und Nicolo Casale von Lazio Rom sollen auch Bestandteil des Wettskandals sein. Hört sich alles nach einem wilden Italo-Krimi an? Das ist es auch. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.
Um was geht es? Die Turiner Staatsanwaltschaft hat schon im August erste Ermittlungen im italienischen Fussball wegen des Anfangsverdachts auf illegale Sportwetten eingeleitet. Involviert sind mehrere Nationalspieler – Stand jetzt. Was noch alles an die Oberfläche kommt, ist unklar und bereitet den Tifosi im Moment wohl die grösste Sorge. Die Sümpfe sind in Italien tief, Skandale dieser Art gab es bereits in der Vergangenheit. Die Beteiligten sind vorgewarnt, dass dies erst der Anfang gewesen sein könnte.
Ist Wetten in Italien verboten? Nein, Glücksspiel ist in Italien grundsätzlich erlaubt, allerdings nicht auf illegalen Online-Plattformen. Ausserdem ist es verboten, dass Spieler in Sportarten wetten, in denen sie selbst aktiv sind. Gabriele Garavina, Präsident des italienischen Verbandes, verurteilte Glücksspiel als "gesellschaftliche Plage".
Umstrittener und schillernder Enthüller
Wer ist Fabrizio Corona? Eine ebenso schillernde wie umstrittene Figur, ein früherer Fotograf, der zu seiner Zeit als Paparazzo Promis um Geld erleichterte, indem er drohte, kompromittierende Fotos zu veröffentlichen. Der 49-Jährige, der sich selbst als "Gesetzloser der Informationsbranche, der sein Leben riskiert" bezeichnet, hatte unter anderem wegen Erpressung sieben Jahre im Gefängnis gesessen, das er jüngst erst verlassen konnte.
Seitdem leakt er mit einer beeindruckenden Treffsicherheit Namen, die mit dem Wettskandal zu tun haben. Parallel dazu betreibt er im Internet ein Portal namens Dillingernews, das nach dem US-Bankräuber John Dillinger ("Staatsfeind Nr. 1") benannt ist. Seine Quelle? "Der Onkel eines früheren Spielers von Inter Mailand zu Zeiten Mourinhos und enger Freund von Mario Balotelli. Mario ist ein Freund von mir, er war oft bei mir und war geschockt von den Beweisen, die ich ihm vorgelegt habe", sagte Corona. "Ihr macht euch keine Vorstellung davon, was da noch alles kommt", kündigte er an.
Welche Spieler sind involviert? Offiziell bestätigt sind bislang drei. Juventus-Profi Nicolo Fagioli, Sandro Tonali von Newcastle United und Stürmer Nicolo Zaniolo von Aston Villa sind in den Wettskandal verwickelt. Bei den drei neuen Namen, die Corona jetzt geleakt hat, ist noch unklar, ob tatsächlich gegen sie ermittelt wird.
Fagioli kooperiert und wird gesperrt
Was droht den Spielern? Fagioli hat sich bereits mit dem italienischen Fussballverband auf eine siebenmonatige Sperre geeinigt. Ihm war vorgeworfen worden, unter verschiedenen Identitäten Wetten auf illegalen Websites platziert zu haben. Hinzu kommen eine Geldstrafe in Höhe von 12.500 Euro und eine mindestens sechsmonatige Therapie zur Bekämpfung seiner Spielsucht. Fagioli muss ausserdem an zehn Vorträgen zum Thema Spielsucht teilnehmen. Mit dem "Deal" vermeidet er eine zwölfmonatige Berufssperre, die normalerweise vorgesehen ist. Tonali hat auch schon mit der Staatsanwaltschaft gesprochen, angeblich strebt er ein ähnliches Abkommen wie Fagioli an. Zaniolo sagt, er habe nie auf Fussballspiele gewettet, er will online lediglich Black Jack und Poker gespielt haben.
Der Skandal ist aber dynamisch. Täglich kommen neue Enthüllungen ans Tageslicht. So soll Fagioli aufgrund seiner Spielsucht Schulden in Höhe von drei Millionen Euro angehäuft haben. Angeblich hat der 22-Jährige das gestanden. "Wegen der immer grösser werdenden Schulden habe ich auch heftige Drohungen erhalten. Nachts dachte ich nur daran, weiter zu wetten, um die Schulden zu bezahlen", wurde Fagioli von der Tageszeitung La Repubblica zitiert. Seine Mutter habe ihn zu einer Behandlung gedrängt, die aber erfolglos war.
Keine Hinweise auf Manipulationen
Wurden auch Spiele manipuliert? Darüber gibt es im Moment keine Erkenntnisse und auch keine Hinweise darauf. Dafür soll Tonali laut "La Stampa" zugegeben haben, dass er während seiner Zeit bei der AC Mailand auf Spiele seines Klubs gewettet hat. Er schränkte ein, dass er dies nur dann getan habe, wenn er nicht gespielt hatte. Einen Einfluss auf das Resultat hätten seine Wetten auch nicht gehabt, hiess es in dem Bericht. Trotzdem hat das Wetten auf den eigenen Klub eine andere Qualität, eine Sperre könnte entsprechend höher ausfallen.
Was bedeutet das für den italienischen Fussball? Der Skandal, in den mit Tonali und Zaniolo mindestens zwei aktuelle Nationalspieler verwickelt sind, kommt zur Unzeit. Denn auch sportlich strauchelt der italienische Fussball, die EM-Qualifikation des Titelverteidigers wackelt bedenklich. Aktuell ist Italien (10 Punkte) hinter England (16) und der Ukraine (13) nur Dritter, Rang zwei ist nötig, um das Ticket zu lösen. "Jetzt hilft nur noch beten", schrieb die Zeitung "Corriere dello Sport". Zum zweiten Mal in Folge könnte Italien ein grosses Turnier verpassen. In Katar war die Squadra Azzurra auch nicht dabei.
Heisst: Am 17. November im Heimspiel gegen Nordmazedonien muss dringend ein Sieg her. Drei Tage später würde dann in Leverkusen im "Endspiel" gegen die Ukraine ein Remis reichen. Doch was bis dahin im Wettskandal noch passiert, das den Calcio weiter erschüttert, weiss niemand. Alle warten auf das nächste Beben, auf die nächsten Enthüllungen. Und auf Fabrizio Corona.
Verwendete Quellen:
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