Die spanischen Spitzenvereine Real Madrid und Atlético Madrid haben es mit der Verpflichtung junger Talente zu weit getrieben und wurden bestraft. Doch das fragwürdige Geschäft mit minderjährigen Fussballern ist weltweit verbreitet.

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Die beiden spanischen Top-Klubs wurden wegen Verstössen gegen die Transferbestimmungen bei minderjährigen Spielern bestraft. Doch die Madrilenen sind nicht die einzigen Klubs, die viel Geld für talentierte Jugendliche zahlen.

Auch in Deutschland ist die letzten Jahre ein grosses Geschäft um die Fussball-Talente entstanden.

37 Millionen Euro für Mario Götze, 35 Millionen für Julian Draxler, 32 Millionen für Andre Schürle - bei den Profis sind hohe Ablösesummen längst Realität. Der Transferwahnsinn ist aber längst im Jugendfussball angekommen.

Erstmals ging im Januar 2012 ein Aufschrei durch Fussball-Deutschland. Bundesligist TSG Hoffenheim hatte damals Nico Franke von TeBe Berlin verpflichtet. Das Besondere: Franke war damals erst 13 Jahre alt.

Jugendtransfers werden zur Gewohnheit

Innerhalb kürzester Zeit wurden Jugendtransfers zur Gewohnheit. Wenige Monate später schnappte der VfL Wolfsburg dem Zweitligisten FC St. Pauli das ebenfalls 13-jährige Talent Alexander Laukart weg.

Fabian Wohlgemuth war als Leiter der VfL-Nachwuchsabteilung für diesen Wechsel mitverantwortlich.

Er verteidigt diese Vorgehensweise: "Es liegt doch in der Natur der Sache, dass in Hamburg ein weitaus grösseres Potenzial an jungen Fussballern heranwächst als in einer eher kleinen Fussballwiege wie Wolfsburg. Wir müssen das Talente-Scouting grossräumiger gestalten."

Es blieben nicht die einzigen Wechsel der beiden Nachwuchstalente. Franke schaffte den Durchbruch in Hoffenheim nicht, wechselte dann zu RB Leipzig und später zurück in die Heimat zu Viktoria Berlin.

Und Laukart kehrte nach nur einem Jahr zu St. Pauli zurück, um danach zur Nachwuchsabteilung von Borussia Dortmund weiterzuziehen.

Was die Anzahl der Vereinswechsel betrifft, stehen Nachwuchsspieler den Profis in nichts nach.

Wechsel-Irrsinn der jungen Spieler

Jürgen Gelsdorf war bis Ende 2015 Leiter der Nachwuchsabteilung von Bundesligist Bayer 04 Leverkusen. Er weiss, wie der Wechsel-Irrsinn mit jungen Spielern begann.

"Früher gab es ein Gentlemen’s Agreement, dass ohne Zustimmung innerhalb Deutschlands kein Spieler von Leistungszentrum A zu Leistungszentrum B wechselt", erklärt der Ex-Profi.

"Die Engländer haben das eines Tages aufgebrochen und die Spieler in Deutschland kommentarlos und ohne Entschädigung weggenommen. Dadurch begannen auch die ersten deutschen Vereine damit."

Griff nach den Sternen endet in Sackgasse

Für Nachwuchsspieler erfüllt sich ein Lebenstraum, wenn ein Top-Verein wie Real Madrid oder der FC Barcelona ruft. Doch oft führt der Griff nach den Sternen in die Sackgasse.

Bestes Beispiel: Dennis Krol. Er wechselte 2005 mit 14 Jahren von Bayer Leverkusen nach Barcelona. Der Durchbruch blieb ihm verwehrt. Heute spielt der 24-Jährige beim VfB Hilden in der 5. Liga.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrung ist Gelsdorf ein Gegner internationaler Jugend-Transfers: "Es ist immer schwierig, wenn die gesamte Familie wegen des Fussballs ins Ausland verpflanzt wird. Die Eltern arbeiten oftmals nicht mehr und warten lediglich darauf, dass sich der Junge zum Profi entwickelt. Ein unheimlicher Druck lastet auf den Jugendlichen. Die gesamte Familie richtet sich danach aus, ob der Junge das Tor trifft oder nicht. Es gibt nur noch Fussball. So etwas halte ich für sehr fragwürdig."

Auch wenn Jugendliche vom Profi-Fussball noch weit entfernt sind, ist bei deren Vereinswechsel viel Geld im Spiel.

Seit Januar 2013 fällt in Deutschland eine Ausbildungsentschädigung an, die sich unter anderem nach der Dauer der Vereinszugehörigkeit richtet. Fünfstellige Summen sind hier schnell erreicht.

Die Vereine sind praktisch dazu gezwungen, bei der Jagd nach Talenten mitzumischen. Wer nicht schnell genug einen Rohdiamanten bindet, verliert ihn an die Konkurrenz.

"Jeder will den nächsten Lionel Messi finden, den man früh verpflichtet, früh ausbildet und der dann die grosse Karriere macht", sagt der ehemalige Nationalspieler Christoph Metzelder.

Jugendliche, die aus einer anderen Region kommen, werden im vereinseigenen Internat oder in einer angegliederten Eliteschule des Sports (Sportinternat) untergebracht.

Haben sie das Zeug zum Profi?

Dabei lässt sich laut Gelsdorf überhaupt nicht feststellen, ob ein 13-Jähriger das Zeug zum Profi hat: "Wenn Sie in Deutschland über die Fussballplätze gehen, werden sie viele junge Talente entdecken, die die anderen schwindelig spielen. Aber das sagt überhaupt nichts aus. Letztendlich spielen viele Dinge eine Rolle. Bleibt ein Spieler verletzungsfrei? Hat er das Quäntchen Glück? Welchen Einfluss üben Eltern und Freunde aus? Dies ist genauso wichtig."

Nicht nur die Vereine, sondern auch die Berater wittern das grosse Geschäft mit den Jugendlichen. Christian Heidel, Manager von Mainz 05, verriet im Buch "Traumberuf Fussballprofi": "Wenn sie sich bei uns ein U19-Spiel anschauen, sind da im Schnitt 100 Besucher. Da sind 50 Eltern und 50 Berater bei jedem Spiel. Das geht runter bis in die U15."

Laut Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, passiert es sogar, dass die Berater den Jugendlichen einige Euros zuschieben, in der Hoffnung, dass der Jugendliche käuflich ist.

Spätestens in der U16 hat jeder ambitionierte Nachwuchsspieler einen Berater. Im Ideal- aber leider nicht im Regelfall einen seriösen. Schliesslich kommt dann bald der erste Profivertrag, der richtig Geld bringt.

Dann jedenfalls, wenn man zu den wenigen Ausnahmetalenten gehört, die nach den vielen Jahren Fussball und all den Entbehrungen auch wirklich den Sprung in den Profifussball schaffen - der grosse Rest hatte im Idealfall einfach nur eine schöne Zeit.

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