Wie kann man Fussball berechenbarer machen? Die Firma Impect um die Ex-Profis Jens Hegeler und Stefan Reinartz sowie Lukas Keppler versucht das zum Beispiel durch "Packing". Schon mal gehört? Der Begriff kam 2016 gross raus, die Methode weist zum Beispiel Toni Kroos als Weltklasse im Passspiel aus. Auch Bundestrainer Julian Nagelsmann setzt auf die Datenmacher aus Köln. Wir haben mit Keppler über die Hintergründe gesprochen.
Toni Kroos ist wie Nutella. Eine Glaubensfrage. Denn viele Menschen schwören beim schokoladigen Brotaufstrich tatsächlich auf eine Kombination mit Butter. Und so ist das auch bei Kroos.
Für die einen ist er der Taktgeber bei Real Madrid. Für die anderen hingegen ist er der "Querpass-Toni", der das Spiel verlangsamt. Dabei ist die Sache eigentlich klar: „Toni Kroos ist Weltklasse, was das Passspiel angeht. Er hat den effektivsten Spielaufbau, weil er die meisten Gegner im Schnitt überspielt“, sagt Lukas Keppler im Gespräch mit unserer Redaktion.
Fussball berechenbar machen
Und er muss es wissen. Denn Keppler ist Co-Gründer und Managing Director bei Impect. Zusammen mit den Ex-Profis Jens Hegeler und Stefan Reinartz hat er die Firma 2014 gegründet, um Fussball "so berechenbar wie möglich zu machen", wie Keppler es nennt: "Fussball wird nie zu 100 Prozent berechenbar sein, denn der Zufall wird in dem 'low-scoring game' Fussball immer eine signifikante Rolle spielen."
Aber Impect versucht, Effektivität messbar zu machen, mit Daten, die über die üblichen wie Ballbesitz, Pass- oder Zweikampfquote hinausgehen. Denn die Aussage dieser Zahlen in Verbindung mit einer Spielerleistung ist beschränkt. Schliesslich ergeben 100 quer gespielte und ankommende Sicherheitspässe eine Passquote von 100 Prozent. Womit aber nicht die Frage beantwortet wird, wie wichtig und effektiv diese Pässe für die eigene Mannschaft sind und welchen Einfluss sie auf Sieg oder Niederlage haben.
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"Packing": Das Modewort 2016
So entstand die Idee zu Packing. Das Fussball-Modewort 2016. Damals präsentierte Reinartz die Idee im Rahmen der EM einem breiten TV-Publikum, sprach von überspielten Reihen oder Spielern, sorgte so für einen regelrechten Hype. Bei Packing geht es darum, dass man versucht, jede Aktion eines Spielers qualitativ messbar zu machen, ob sie der Mannschaft geholfen hat, die Torwahrscheinlichkeit zu erhöhen, oder ob sie geholfen hat, die gegnerische Torwahrscheinlichkeit zu senken.
"Um dann zu schauen, wie viele Spiele von Mannschaften gewonnen werden, die mehr Gegner überspielen oder mehr Balleroberungen haben. Um dadurch wiederum erkennen zu können, wie aussagekräftig die Daten sind, die wir entwickeln", sagt Keppler.
Dabei kommen die Daten-Spezialisten auf Wahrscheinlichkeits-Bereiche von 70 bis 85 Prozent, dass eine Mannschaft zum Beispiel das Spiel für sich entscheidet, wenn sie mehr Gegner durch Balleroberung aus dem Spiel nimmt oder wenn sie mehr Gegner durch Pässe überspielt. "Und dann sieht man, dass diese Daten deutlich aussagekräftiger sind als Ballbesitz- oder Zweikampfquoten", erläutert Keppler.
Daten werden immer wichtiger
Wie wichtig Daten im Fussball generell geworden sind, kann Keppler aus eigener Erfahrung veranschaulichen. Denn nach der Gründung des Unternehmens sprachen seine Mitstreiter und er mit maximal zwei Vereinsvertretern, die sich mit Daten beschäftigen. Manchmal war es nur der Manager, wenn es hochkam, sass noch ein Datenanalyst dabei. "Wenn man heute mit Vereinen spricht, macht man das mit ganzen sogenannten Data Departments", sagt Keppler.
Es gehe heutzutage nicht mehr nur noch darum, die eigene Mannschaft zu bewerten, so Keppler, "sondern eigentlich ist es das Ziel, den ganzen Globus anhand von Daten zu scouten und dann die besten und passendsten Spieler zu finden". Auch wenn das Thema Daten simpel bis hochkomplex sein kann, ist es nur ein Mosaikstein im Fussballgeschäft.
Trotzdem steckt jede Menge Manpower dahinter, denn viel automatisieren lässt sich nicht, vor allem nicht in unteren Ligen. Impect ist zwar durch Packing bekannt geworden, ist heute aber auch Lieferant für alle erdenklichen Daten, ob nun Ballbesitz, Passquote oder auch neuartigere Metriken wie Expected Goals.
Das Unternehmen erhebt Daten zu über 100 Wettbewerben und arbeitet mit rund 100 Vereinen zusammen. Die ganze Palette von Bundesliga über Premier League, zweite niederländische Liga bis hin zu vierten Ligen europaweit. Rund 30 Klubs sind es aus den ersten drei deutschen Ligen, 15 aus der Bundesliga, ebenso viele aus England.
200 Menschen erheben abertausende Daten
Die Daten kommen von einem 200 Mann starken Team auf den Philippinen. Eine Spielanalyse dauert demnach acht bis zwölf Stunden, dabei wird jede Ballannahme und -abgabe erhoben, ebenso der Kontext, wo die Spieler stehen. "Wir können in der Spitze 500 bis 600 Spiele pro Woche auswerten", so Keppler. Was unter dem Strich über 30.000 ausgewertete Partien pro Jahr ergibt, bei 2.500 bis 3.000 Datenpunkten zu allen Aktionen pro Spiel.
So gibt es alleine beim Packing 15 Faktoren wie überspielte Gegner, überspielte Verteidiger, Gegner aus dem Spiel nehmen durch Balleroberungen, die sich wiederum in über 1.300 "Unterpunkte" herunterbrechen lassen, wie überspielte Gegner je nach Passart, überspielte Gegner je nach Spielphase oder überspielte Gegner je nach Zone auf dem Feld. Insgesamt arbeiten rund 300 Leute für das Unternehmen mit Sitz in Köln.
Denn mit den Klubs befindet man sich in einem regen Austausch. Damit die Kunden die Portale, die zur Verfügung stehen, und damit die Daten verstehen, indem ein Kontext geschaffen wird. "Die Einordnung ist ein ganz, ganz wichtiges Thema in der Datenanalyse, denn 70 überspielte Gegner von
Es gibt aber auch Vereine, die sich nur die Rohdaten holen und diese mit eigenen Programmen, mit eigenen statistischen Modellen, mit eigenen Verrechnungen, mit eigenen Bewertungen der Spieler verarbeiten. Das Geschäft läuft nach einer herausfordernden Anfangszeit gut, seit dem vergangenen Jahr schreibt Impect schwarze Zahlen.
Nagelsmann setzt auf Impect
Interessant dabei: Zu den Kunden gehört inzwischen auch der Deutsche Fussball-Bund (DFB), konkret, seit
Klar ist: Bei Kroos und dessen DFB-Comeback wusste Nagelsmann auch ohne Zahlen, wie wichtig der 34-Jährige ist. Für Impect ist der Mittelfeldchef seit Beginn der eigenen Datenerhebung "Role Model für die Kennzahl überspielter Gegner", sagt Keppler, der sich bis heute nur schwer erklären kann, woher die so unterschiedliche Bewertung kommt. Seine Theorie: "Ich glaube, es liegt daran, dass er im Vergleich zu anderen zentralen Mittelfeldspielen nicht diese ganz krassen Highlight-Clips hat, in denen er zehn Spieler überdribbelt oder den ganz komplizierten Pass spielt beziehungsweise diese Pässe sehr einfach aussehen lässt."
Die Stammtisch-Parolen halten sich hartnäckig, denn Querpässe gehören zu seinem Spiel, weil sie zum Spiel von Real Madrid gehören, das auf viel Ballbesitz ausgelegt ist. "Aber wenn man sich anschaut, was seine Pässe bewirken oder wie viele Gegner er damit überspielt, dann gibt es eigentlich keine Diskussion, dass er Weltklasse ist, was das Passspiel angeht", betont Keppler.
Über den Gesprächspartner
- Lukas Keppler ist Co-Gründer und Managing Director bei Impect.
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