Was ist, wenn es in Deutschland so richtig kalt wird? Gibt es eine Kältegrenze im Fussball? Und welche Gefahren lauern? Wir haben mit einem Experten darüber gesprochen.
Calle Halfvarsson nahm das Malheur mit Humor. Es mag sein, dass man schmunzeln muss, wenn man von seiner "Verletzung" hört, witzig ist sie allerdings nicht. Dem schwedischen Skilangläufer war zuletzt beim Weltcup in Kuusamo aufgrund der klirrenden Kälte sein Penis eingefroren. "Es tut so verdammt weh. Es ist schrecklich", sagte er. Halfvarsson war das Gleiche vor Jahren schon einmal passiert. "Ein Glück, dass ich bald mein zweites Kind bekomme, denn das wird in Zukunft schwierig, wenn ich so weitermache", sagte der 34-Jährige. Und lachte. Er habe zehn Minuten in einem Zelt gelegen, um seinen Penis aufzuwärmen, verriet er.
Christian Manunzio muss ebenfalls lachen. Droht deutschen Fussballern bei entsprechender Kälte womöglich das gleiche Schicksal? "Dass so etwas im Fussball passiert, würde ich nahezu komplett ausschliessen", sagte der Sportwissenschaftliche Leiter der Sportmedizinischen Ambulanz am Universitätsklinikum Bonn im Gespräch mit unserer Redaktion.
Was alleine schon daran liegt, dass Fussballer in den Stadien nicht annähernd die gleichen Bedingungen vorfinden wie Skilangläufer. "In den Stadien herrscht mehr oder weniger Windstille, es gibt daher kaum einen Windchill-Effekt", sagt Manunzio. Dieser Begriff steht für den Unterschied zwischen der gemessenen Lufttemperatur und der gefühlten Kälte. "Ausserdem ist man selten längerfristig so exponiert unterwegs wie ein Skilangläufer", so Manunzio. Und: "Die Bewegungen der Fussballer haben viel, viel mehr Variationen." Um nur ein paar Gründe zu nennen. Ein so extrem abkühlender Effekt sei daher nicht gegeben, sagt Manunzio.
Negative Auswirkungen auf Fussballer
Doch natürlich hat Kälte auch negative Auswirkungen auf Fussballer und birgt gewisse Gefahren. "Zum einen kommt es zu einer schlechteren Durchblutung. Dadurch wird entsprechend auch weniger Sauerstoff in der Muskulatur angeliefert. Und damit wird der ‚Hubraum‘ verringert", sagt Manunzio. Die Leistungsfähigkeit sinkt also. Durch die Kälte ziehen sich die Blutgefässe zusammen, "was im Extremfall dazu führen kann, dass Finger oder Zehen absterben", sagt der Sportwissenschaftler.
Hinzu kommt ein erhöhtes Risiko von Muskelverletzungen, wenn die Muskeln nicht schnell genug auf Betriebstemperatur kommen. Auch das Atmen kann durch die kalte Luft ein limitierender Faktor sein. Und auch das Risiko von Atemwegserkrankungen besteht, Bronchien und Lungengefässe können gereizt werden. Im Idealfall soll man durch die Nase atmen, doch das ist im Leistungssport wiederum ein leistungslimitierender Faktor. Insgesamt wird auch das Immunsystem belastet.
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Urteil "nach gesundem Menschenverstand"
Wie ist denn die Regelung im deutschen Profifussball? Die Schiedsrichter sind laut DFB angehalten, "nach gesundem Menschenverstand" zu urteilen. Eine bestimmte Temperaturgrenze ist im Reglement nicht vorgesehen. Eine Aussentemperatur im Minusbereich sei "aus Schiedsrichtersicht noch kein alleiniges Kriterium, ein Spiel abzusagen", teilte der Deutsche Fussball-Bund (DFB) laut SID mit.
"Es ist schwierig, sich auf eine fixe Zahl festzulegen", sagt auch Manunzio. "Entscheidender ist, wie mit dieser Kälte umgegangen wird und wie man sich dagegen schützt. Wenn man entsprechend gekleidet ist und sich wie im Fussball konstant bewegt, dann sind wahrscheinlich auch durchaus minus 15 oder minus 20 Grad realisierbar, ohne dass es für den Sportler schädlich ist." Er macht sich bei diesen Temperaturen vor allem Sorgen um die Fans, "die mehrere Stunden lang den Temperaturen ausgesetzt sind. Für die ist das noch kritischer".
Fixe Zahl schwierig festzulegen
Generell mache die DFB-Regelung "mit gesundem Menschenverstand" Sinn, so der Sportwissenschaftler. "Um zu differenzieren: Was ist das für ein Stadion? Hat der Verein eine Rasenheizung oder nicht? Wie sind die Spieler ausgestattet? Das sollte man nach den Begebenheiten angepasst entscheiden. Und die Offiziellen sollten dann entsprechend selbst abwägen, ob Leib und Leben in Gefahr sind oder nicht." Hinzu kommt laut Manunzio: "Die Profiklubs werden wissen, wie sie mit solchen Extrembedingungen umzugehen haben."
Bei den Amateuren sieht das schon wieder etwas anders aus, was alleine schon an körperlichen Unterschieden liegt. "Einen riesigen Einfluss hat die Muskelmasse", betont Manunzio. Heisst: "Spieler mit einer ausgeprägten Muskelmasse haben viel aktive Masse, die entsprechend Energie und damit auch Wärme produziert. Sie haben es leichter, sich – in Anführungszeichen - selbst zu erwärmen, um der Kälte etwas entgegenzusetzen." Und klar: "Profis haben eine höhere Fitness, eine höhere Resilienz und eine bessere Regenerationsfähigkeit. Sie kommen mit extremen Bedingungen entsprechend besser zurecht", sagt Manunzio.
Amateure anders bewerten
Bei den Amateuren sollte die Situation daher anders bewertet werden, sagt auch Manunzio: "Auch weil die Bedingungen drumherum eigentlich immer schlechter als im Profifussball sind. Das Grundrisiko ist also schon etwas höher." Weshalb es hier erst recht auf die richtige Vorbereitung ankommt. Und den gesunden Menschenverstand.
Denn dass ein starres Reglement nicht immer hilft, musste Halfvarsson schmerzvoll erfahren. Laut Reglement des Weltverbandes FIS werden Wettbewerbe abgesagt, wenn es kälter als minus 20 Grad ist. Beim Weltcup in Kuusamo waren es 19 Grad unter null.
Über den Gesprächspartner
- Christian Manunzio ist Sportwissenschaftlicher Leiter der Sportmedizinischen Ambulanz am Universitätsklinikum Bonn. Er ist Diplom-Sportwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Training und Leistung.
Verwendete Quelle
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