Bayer Leverkusen geht in eine historische Woche: Der Deutsche Meister kann mit Siegen in den Endspielen in der Europa League und im DFB-Pokal das Triple holen. Wir haben vor dem Spiel gegen Atalanta Bergamo mit Bayers früherem Manager Michael Reschke über Leverkusens Saison, die Kaderplanung, den Faktor Xabi Alonso und die Endspiele gesprochen.
Michael Reschke, Bayer Leverkusen hat eine historische Bundesliga-Saison hingelegt. Wie sehr hat Sie das Ausmass überrascht?
Michael Reschke: Die Bayer 04-Bilanz ist eine Sensation. Der Gewinn der Deutschen Meisterschaft ist schon aussergewöhnlich. Aber ohne Niederlage durch die Saison zu gehen und vor allen Dingen in dieser souveränen Art und Weise, die Mannschaft, Klub und allen voran natürlich Trainer
Können Sie mal versuchen, das Phänomen Leverkusen 2023/24 zu erklären?
Das Phänomen Bayer 04 beruht auf mehreren Säulen. Der Klub ist in seinen Strukturen und seiner Führung extrem stabil und total zielfokussiert. Fernando Carro leistet als CEO einen Topjob. Sportdirektor Simon Rolfes hat eine aussergewöhnliche Quote an sehr guten Entscheidungen. Im Hintergrund agiert Werner Wenning als sehr kompetenter Aufsichtsratschef und an seiner Seite hat er natürlich auch noch
Gibt es Schlüsselspieler aus der Mannschaft, die Sie herausnehmen würden?
Diese aussergewöhnliche Kaderzusammenstellung wurde durch zwei Spieler 'gekrönt'.
Wie gross ist der Faktor Xabi Alonso?
Bayer 04 hat für dieses Team den idealen Dirigenten gefunden. Es ist hochinteressant, wie er von der Mannschaft, der Vereinsführung, vom Team-Umfeld, von seinem Trainerstab, auf den er sehr grosse Stücke hält, schwärmt. Er betont immer wieder, dass er dem Top-Team an seiner Seite total vertraut. Natürlich ist Xabi derjenige, der das alles verbindet und zu Höchstleistungen führt. Der Respekt, den er bei den Mitarbeitern im Klub, in seinem Trainerstab und beim Publikum geniesst, spricht für sich. Wie die Spieler ihn nahezu vergöttern, setzt allem die Krone auf. Dies ist nur möglich, wenn man eine unglaubliche Empathie und hohe Wertschätzung besitzt. Xabi hat dafür gesorgt, dass alle davon überzeugt sind, dass Grosses möglich ist.
Haben Sportdirektor Simon Rolfes und Co. den "perfekten" Kader zusammengestellt in Sachen Qualität und Homogenität?
Bayer 04 hat Xabi einen tollen Kader zusammengestellt und er hat dann dieses Team perfekt dirigiert, mit einem sensiblen Gespür für entscheidende Feinheiten und grossem Vertrauen. Das ist das Entscheidende: Simon Rolfes und die hervorragende Scouting-Abteilung haben ihm tolle Solisten präsentiert und er hat daraus ein perfektes Orchester geschaffen. Für einen Profi-Klub ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Scouting-Abteilung wie in Leverkusen eine herausragende Arbeit leistet.
Michael Reschke über Kaderplanung und Scouting
Was benötigt man dafür, wie viel Glück ist da auch dabei und was ist planbar?
Kaderplanung ist extrem herausfordernd und sehr arbeitsintensiv. Du musst ein klares Scouting-Konzept und hochqualifizierte Mitarbeiter besitzen. Für den Erfolg eines Klubs ist es fundamental, dass diese Scouting-Abteilung auf einem hohen Niveau funktioniert. Bayer 04 macht das im Moment perfekt. Experten wie Kim Falkenberg, Falko Götz, Simon Fahner und viele andere sind absolute Kenner. Sollten zwei oder drei Leistungsträger den Klub verlassen, werden sie gemeinsam mit Rolfes wieder passende Lösungen haben. Das war immer so in Leverkusen und ist einer der Hauptgründe, weshalb sich Bayer 04 schon seit vielen Jahren in der deutschen Spitze etabliert hat. Und jetzt eben auch dieses absolute Sahnehäubchen oben draufsetzen konnte.
Welche Faktoren braucht es noch rund um einen Klub in so einer Saison?
Vertrauen und eine stabile Harmonie im Umfeld sind eine wichtige Erfolgsbasis. Damit wird auf professionelle Art und Weise die Grundlage für den Erfolg geschaffen. Bayer 04 hat ein unglaublich gutes Betreuungsnetz und einen hoch qualifizierten Mitarbeiterstab um Team-Manager Hans-Peter Lehnhoff, Mannschaftsarzt Kalla Dittmar und Chef-Physio Sven Elsinger rund um die Mannschaft aufgebaut. Viele wichtige und passende Mosaiksteine sind die Basis für diesen aussergewöhnlichen Erfolg. Die Saisonbilanz beruht auf intelligentem, planerischem Vorbedenken und ist definitiv kein Zufallsprodukt.
51 Pflichtspiele ohne Niederlage sind es in dieser Saison, dazu kommt die Mentalität mit den späten Treffern …
Die Überzeugung, Xabi Alonso, der als Trainer nur ein Jahr Zweitliga-Erfahrung in Spanien hatte, zu vertrauen, war ein genialer Schachzug. Alonso besitzt eine raumfüllende Aura, war als Spieler schon ein genialer Schlachtenlenker und hat ein natürliches Gespür für die richtigen Partner an seiner Seite. Er besitzt die Gabe, seine Klasse und seine Überzeugung auf das Team und den ganzen Klub zu übertragen. Dies hat dann zu diesen Resultaten und dieser Erfolgsserie geführt, natürlich auch mit einer gewissen Portion nötigem Glück, ohne die eine solche Serie nicht möglich ist.
Wie entwickelt sich so etwas?
Das ist eine Form der besonderen inneren Kraft. Diese Mannschaft besitzt einen ganz tiefen Glauben an sich und an ihre Qualitäten, sie hat einen unbändigen Willen und wichtige Persönlichkeiten auf dem Platz.
In dieser Woche stehen jetzt noch zwei Endspiele an. Bayer hat es bislang immer geschafft, trotz der vielen Highlights den Fokus zu behalten. Wie macht man das?
Durch die erwähnte innere Kraft der Mannschaft. Doch das Finale gegen Atalanta Bergamo wird das schwierigste Spiel der Saison. Es wird nicht der Fussball sein, den Bayer Leverkusen in den meisten Spielen in dieser Saison gezeigt hat, sondern es wird eine brutale Schlacht werden.
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Warum wird das so sein?
Atalanta Bergamo ist seit Jahren eine der am unbequemsten zu bespielenden Mannschaften in Europa und somit eine riesige Herausforderung für Bayer 04. Um dieses Spiel zu gewinnen, werden alle bis an die Grenze und darüber hinaus gehen müssen. In so einem Spiel gegen so einen Gegner kann es auch mal schmutzig werden. Atalanta wird kämpfen, kratzen und beissen in der heftigsten Art, die man im internationalen Fussball und speziell auch von Italienern kennt. Das Team ist eine gewachsene Einheit und hat sich unter Top-Coach Gian Piero Gasperini, der seit fast zehn Jahren da ist, zu einer internationalen Spitzenmannschaft entwickelt.
Worauf wird es dann ganz besonders ankommen?
Die Mentalität dieser Bergamo-Mannschaft ist enorm, das ist eine Kampfmaschine. Ich weiss aber, dass das Bayer-04-Analyseteam um Marcel Daum und Simon Lackmann bestens vorbereitet ist und Xabi Alonso mit allen wichtigen Infos füttern wird.
Und gegen den 1. FC Kaiserslautern? Da ist die Favoritenrolle ja sehr deutlich. Wie gefährlich ist das?
Im Grunde hat der 1. FC Kaiserslautern nur mögliche Konsequenzen aus diesem Europa-League-Finale als Minimalchance. Vielleicht geht es am Mittwoch in die Verlängerung und es kostet Bayer 04 extreme Kraftreserven. Allerdings hat Alonso es in dieser Saison geschafft, 18, 19, 20 Stammspieler einzubinden und er wird vermutlich rotieren. Einige wichtige Schlüsselspieler braucht er wiederum in beiden Spielen und da könnte eine Verlängerung im Euro-League-Finale ein Nachteil sein.
Schwingt bei Ihnen aufgrund der Vergangenheit dieses "Vizekusen" trotzdem noch ein bisschen mit als Sorge? Oder ist das mit der Schale und vor allem mit dieser Mannschaft endgültig abgehakt?
Das aktuelle Team interessiert dieses 'Vizekusen' nicht die Bohne. Wir sind zwar früher dafür immer etwas belächelt worden, aber ich empfand diesen Begriff eher nebensächlich. Vize-Meisterschaften waren starke sportliche Leistungen. Die jetzige Mannschaft wird hoch motiviert und mit einer ganz, ganz grossen Überzeugung in beide Spiele gehen. Angst ist für Xhaka, Wirtz und Co. ein Fremdwort. Sie werden Respekt haben vor beiden Gegnern. Aber Angst werden sie keine haben.
Wie viele Titel werden es am Ende sein?
Ich wünsche dem Klub sehr, dass er beide Endspiele gewinnt, und bin sehr zuversichtlich.
Über den Gesprächspartner
Michael Reschke (66) arbeitete von 1979 bis 2014 für Bayer 04, zunächst als B- und A-Jugendtrainer, später als Jugend-Cheftrainer, Nachwuchsleiter, Chef der Scouting-Abteilung und von 2004 an als Manager.
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