- Carmine Raiola war eine schillernde und gefürchtete Figur unter den Spielerberatern.
- Der Italiener verschaffte seiner Branche ihren zweifelhaften Ruf und sich selbst jede Menge Geld.
- Nun ist Raiola mit nur 54 Jahren verstorben.
Der Mann, der wie kaum ein anderer für den Turbokapitalismus des modernen Fussballs stand, fand seinen Seelenfrieden beim täglichen Abwasch in der Küche. "Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, ging ich mit meinem Vater immer zur Arbeit. Er schuftete viel, 18, manchmal 20 Stunden am Tag. Er arbeitete in der Küche, also was konnte ich tun? Ich konnte den Abwasch erledigen. Und ich mag es immer noch: Es gibt mir Ruhe und Gelassenheit, wenn ich Dinge sauber mache und sofort das Ergebnis meiner Arbeit sehen kann."
Das verriet Mino Raiola vor einigen Jahren der "Financial Times" und allein die grosse Aufmerksamkeit, die ihm ein klassisches Wirtschaftsmagazin widmete, sollte Raiolas Stellenwert in der Welt des Fussballs ganz gut einordnen. Mino Raiola, der eigentlich Carmine heisst, war der einflussreichste, von den Klubs gefürchtetste und phasenweise auch regelrecht sagenumwobenste Spielerberater der Welt. Ein Unikat, das sich den alten Traum vom Tellerwäscher zum Millionär verwirklichte und dabei einer ganzen Branche quasi den Spiegel vorhielt.
Mino Raiola: Aus der Pizzeria in die weite Fussball-Welt
Als Carmine Raiola noch ein Baby war, wanderten seine Eltern aus dem Städtchen Angri südlich von Neapel ins niederländische Harleem aus. Der Vater eröffnete die Pizzeria "Palladium Restaurant" und zählte zu seinen Stammgästen auch Spieler von Ajax Amsterdam. Mino wuchs im Restaurant seines Vaters auf, verdingte sich in sehr jungen Jahren bisweilen als Übersetzer und erledigte für den einen oder anderen Spieler kleinere Botengänge oder Gefälligkeiten.
Ein Studium der Rechtswissenschaften hing er bereits nach kurzer Zeit wieder an den Haken, weil er den örtlichen HFC Harleem Anfang der 90er Jahre als eine Art Sportdirektor übernommen hatte. Der damalige Klubpräsident hatte Raiola im Restaurant seines Vaters einfach gefragt - und Raiola hatte spontan zugesagt.
So fing das alles an. Raiolas aussergewöhnliches Sprachtalent half dabei, schnell Kontakte zu knüpfen und sich mit Spielern und Offiziellen auf niederländisch, italienisch, spanisch, portugiesisch, englisch und französisch nicht nur zu unterhalten, sondern auch immer wichtiger zu machen.
Ein erster grosser Deal mit einem damals 21 Jahre alten Talent scheiterte noch: Raiola hatte Dennis Bergkamp entdeckt und wollte den Spieler bei Juventus oder Napoli unterbringen. Das Geschäft kam nie zustande, aber Raiola war nun Stammgast bei den grossen Klubs der Serie A und fädelte dann 1992 tatsächlich seinen ersten grossen Transfer ein.
Mit Juventus' Hilfe ganz nach oben
Der niederländische Nationalspieler Bryan Roy wechselte vom grossen Ajax in die italienische Provinz nach Foggia und alle Welt stellte sich die Frage, wie um Himmels willen Raiola diesen Transfer durchziehen konnte. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, Foggia-Boss Pasquale Casillo habe Raiola ein paar Lire geschenkt, damit der sich ordentliche Kleider kaufen konnte - um beim Termin einigermassen vorzeigbar aufzutreten.
Tatsächlich war es dann doch Juventus, das den Anschub für den kometenhaften Aufstieg Raiolas gab, oder besser: Luciano Moggi. Der damalige Juventus-Sportchef suchte die Nähe zu Raiola, beide wurden Freunde und Moggi für den "kleinen dicken Pizzabäcker", wie Sinisa Mihailovic die immer noch etwas zwielichtige Figur Raiola despektierlich nannte, später zu einem echten Problem.
Moggi war der Initiator eines der grössten Skandale des italienischen Fussballs, die später aufgedeckten Spielabsprachen führten zum Zwangsabstieg Juventus' und einer fünfjährigen Sperre für Moggi - wie Raiola auch kein Mann aus dem Fussball, sondern als ehemaliger Bahnangestellter auch so eine Art Quereinsteiger. Auf Raiola fielen damals allenfalls ein paar vage Gerüchte zurück.
Raiola versuchte immer, der Mann im Hintergrund zu bleiben. TV-Aufnahmen oder Fotos von ihm aus den 90er oder 2000er Jahren sind eine Rarität, sein bevorzugtes Kommunikationsmittel waren die in Italien und Spanien sehr beliebten Radiosendungen, in denen bis in die tiefste Nacht hinein über Fussball geredet wird. Hier zeigte sich die graue Eminenz oft auch redselig und nutzte die ihm gebotene Bühne für Provokationen aller Art.
"Zlatan ist so viel wert wie Ronaldo und Kaka zusammen"
Als es 2009 darum ging, Zlatan Ibrahimovic beim FC Barcelona zu platzieren und ein wenig Krawall zu machen, liess Raiola immer wieder mit teilweise kruden Vergleichen aufhorchen. "Zlatan ist so viel wert wie Cristiano Ronaldo und Kaka zusammen", war eines dieser Bonmots. Raiola war spätestens mit diesem Transfer die Nummer eins einer Branche, die immer der Hauch des Anrüchigen umweht und durch Akteure wie ihn, Pini Zahavi und Ronaldo-Berater Jorge Mendes nach und nach ein Gesicht bekam.
Sein Image scherte Raiola wenig, ganz im Gegenteil: "Wenn die Leute mich hassen, dann bin ich froh. Dann weiss ich, dass ich gute Arbeit gemacht habe", sagte er vor ein paar Monaten bei Sport1. Was wiederum eine ganze Menge aussagte über seinen Berufsstand. Von Manchester Uniteds Ikone Alex Ferguson ist überliefert, er halte Raiola für "einen Scheisskerl". Dieser dürfte das als eine Art Kompliment aufgefasst haben.
50 Millionen Provision für den Pogba-Deal
Bei Paul Pogbas Transfer von Juventus nach Manchester, ein 105-Millionen-Euro teures Vergnügen für die Red Devils und damals eine Weltrekord-Summe, soll Raiola sagenhafte 50 Millionen Euro Provision eingestrichen haben. Allein diese Episode verdeutlicht die unglaubliche Macht der Spielerberater und wie hilflos selbst die grössten Klubs der Welt ihnen ausgeliefert sein können. Einige Klubs sollen regelrecht eingeschüchtert gewesen sein und in letzter Konsequenz immer auf Kuschelkurs: Einen wie Raiola hatte man besser nicht zum Feind.
Raiola und die Kumpanen seiner Branche kultivierten das radikale Streben nach Profit, oft genug eingefädelt in dubiosen Deals auf irgendwelchen Hotelzimmern. Raiola brachte sie alle unter und kassierte dabei prächtig ab, er war die letzten 20 Jahre ein Gigant seiner Branche. Von Pavel Nedved über Ibrahimovic bis zu Mario Balotelli. Zu seinen aktuellen Klienten zählten Gianluigi Donnarumma, Matthijs de Ligt, Romelu Lukaku, Marco Verratti und natürlich Dortmunds Superstar Erling Haaland.
Der muss sich bei der Suche nach einem neuen Arbeitgeber nun anderweitig nach Hilfe umsehen. Am Samstagnachmittag ist Carmine Raiola in einem Mailänder Krankenhaus verstorben. Er wurde nur 54 Jahre alt.
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