• Vier Tage nach dem DFB-Votum pro Löw wirbt Oliver Bierhoff für den Bundestrainer und dessen EM-Kurs.
  • Trotz der "Blamage" gegen Spanien attestiert er ihm ein "tolles Ergebnis" im Ausnahmejahr 2020.
  • An Hummels, Müller, Boateng geht zum Jahresende kein Comeback-Signal.

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Oliver Bierhoff hatte die Ärmel seines himmelblauen Hemdes hochgekrempelt und kämpfte ohne Pause in der Länge eines Fussballspiels für Bundestrainer Joachim Löw. Nach seinem Auftritt als Verteidiger des gemeinsamen EM-Kurses vor dem Präsidium des DFB wählte der Nationalmannschafts-Direktor in einer 89 Minuten dauernden Video-Pressekonferenz wie schon als erfolgreicher Stürmer die Offensive. "Es brodelt und rumort immer noch in mir", gestand Bierhoff 17 Tage nach der "0:6-Blamage" gegen Spanien und versicherte in einer umfangreichen, mehr als halbstündigen Analyse zum Zustand der Fussball-Nationalelf nur sechs Monate vor dem EM-Start: "Ich spreche nicht als Sprachrohr und Anwalt von Jogi Löw!"

Der enge Vertraute und Vorgesetzte warb dann aber doch sehr eindringlich für den 60-Jährigen, dem er trotz des desolaten Jahresabschlusses in Sevilla für das verflixte Corona-Jahr ein Zeugnis ausstellte, das die von der DFB-Spitze zugestandene EM-Chance 2021 rechtfertige. Für die Arbeitsbewertung könne ein Spiel "nicht der Grandmesser" sein, betonte Bierhoff, sondern die Leistung in einem absoluten Ausnahmejahr: "Es ist ein tolles Ergebnis, das der Bundestrainer unter diesen Herausforderungen erreicht hat."

Bierhoff verteidigt Ausmusterung der Ex-Weltmeister

Bierhoff selbst hat einen "nachdenklichen" Löw gehört, als dieser zu Wochenbeginn vor der DFB-Spitze um weiteres Vertrauen in seine Arbeit warb. Dieses war ihm einvernehmlich erteilt worden. "Es ist heftig gewesen, was diese Tage passiert ist. Er kann das aber auch schlucken. Die äusserliche Kritik tut natürlich weh, haut aber in dem Sinne nicht um. Viel mehr hat man Wut bei ihm gesehen", äusserte sich Bierhoff am Freitag über Löws Gefühlswelt und seine Eindrücke.

Der Manager versuchte, mit Grafiken und Tabellen zu belegen, dass die Gesamtentwicklung der "unerfahrenen" Mannschaft seit dem radikalen Umbruch 2019 mit der Ausmusterung der Ex-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng weiterhin stimme. Und er persönlich habe seinen "Frieden" mit dem komplizierten Corona-Jahr gemacht. Nach der EM-Qualifikation sei immerhin mit dem Verbleib in der A-Staffel der Nations League ein weiteres wichtiges Ziel erreicht worden.

"Wir können mit dieser Mannschaft ein Topturnier spielen", glaubt Bierhoff. Gerade auch mit Löw! Dieser werde die Mannschaft "voll engagiert" zur EM führen, sie folge ihrem Chef. Bierhoff warb vehement für die Spieler. "Ist das ein Sauhaufen? Das kann ich absolut negieren. Das sind tolle Jungs!" Den EM-Erfolg wollte er aber nicht an einer Runde wie dem Halbfinale festmachen, das Präsident Fritz Keller als Mindestziel benannt hatte. Bierhoff erinnerte an den sensationellen Titelgewinn von Griechenland 2004: "Jede Mannschaft kann den Traum haben und in eine EM gehen, den Titel zu gewinnen."

Einen Freifahrtschein bis zum Vertragsende nach der Winter-WM 2022 bekam Löw von Bierhoff nicht ausgestellt. "Jogi ist lang genug im Geschäft, dass er weiss, dass er am Erfolg und am Vertrauen gemessen wird", sagte Bierhoff. Es sei in seiner Position "auch die Aufgabe, Alternativen aufzubauen". Beim DFB-Präsidenten scheint über die EM hinaus kein Zutrauen mehr in Löw zu bestehen. Von einem "heftigen Streit" zwischen Keller und Löw mochte Bierhoff aber nicht reden. "Man diskutiert auch mal laut", sagte er zu den DFB-Konferenzen.

"Es ist keine Sturheit, wenn Jogi auf die Spieler verzichtet"

Keller und Löw sollen sich in der kommenden Woche ebenfalls öffentlich erklären. Bierhoff räumte Kommunikationsdefizite des Verbandes in der Krisenaufarbeitung ein. "Es hat mich irritiert, ich war traurig und es hat mich auch verärgert, dass viele Interna nach aussen getragen wurden. Das ist nicht mein Stil", sagte er deutlich.

Das öffentliche Reizthema eines Comebacks des Ü30-Trios Müller, Hummels, Boateng parierte er ohne klares Ja oder Nein - aber mit unveränderter Tendenz. "Es ist keine Sturheit, wenn Jogi auf die Spieler verzichtet", sagte Bierhoff. "Am Ende spricht man über alle Spieler. Aber man spricht nicht, sollen wir Mats morgen zurückholen oder nicht? Bei einer Entwicklung nimmt man bewusst Dinge in Kauf."

Da Bierhoff wie Löw nach der langen Winterpause und erneut drei eng getakteten Länderspielen im März ganz auf das Trainingslager vor dem EM-Start gegen Weltmeister Frankreich baut, ist ein personeller Kurswechsel kurz vorm Ernstfall kaum denkbar. Das 0:6 schleppe man mit ins EM-Jahr, stöhnte Bierhoff: "Wir müssen das erdulden und ertragen, aber uns nicht vom Weg abbringen lassen."

Um die Anti-Stimmung gegen Löw und auch die schwindende Zuneigung der Fans zu ihrer Nationalmannschaft wieder zu korrigieren, gibt es für Bierhoff am Ende nur ein wirksames Mittel. "Es geht nur über gute Auftritte und Ergebnisse auf dem Platz. Es darf nicht so bleiben, wie es ist, das ist doch klar." (dpa/fra)

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