Der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann startet seine EM-Mission bei der DFB-Reise in die USA. Der 36-Jährige legt dabei mit grossem Tatendrang los und mischt auch selbst aktiv mit. Seine Spielidee wird bereits deutlich.

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Julian Nagelsmann hatte Bock. Im Sprint nahm der Bundestrainer die Treppe hinauf zum Trainingsplatz am Waldrand, jede zweite der 28 steinernen Stufen liess er dynamisch aus. "Man merkt den Tatendrang, man merkt die Motivation", schwärmte Kapitän Ilkay Gündogan vom neuen Chef. Nagelsmann legte bei seiner Premiere in den USA mit viel Lust und jeder Menge Feuer los - und versetzte einige seiner Stars regelrecht in Staunen.

"Ich fand es ein bisschen überraschend, dass er doch so gross ist", berichtete Gündogan beeindruckt, "im Fernsehen habe ich das gar nicht so wahrgenommen, dass er echt eine gute Statur hat." Vor allem aber überzeugte der 36-Jährige mit viel Energie und Akribie.

Als er die Treppe am Trainingsgelände der New England Revolution in Foxborough hinaufgeeilt war, legte Nagelsmann gleich selbst Hand an. Vor seiner ersten Einheit platzierte er die neongelben und roten Stangen und Dummies auf dem Rasen, dann ging's los. In kurzen schwarzen Hosen, die schwarzen Ärmel seines weissen DFB-Pullovers hochgekrempelt, dirigierte er seine Profis lautstark und gab detaillierte Anweisungen. Kaum eine Aktion blieb unkommentiert.

Nagelsmanns klare Ansagen fallen auf

"Kurz, knapp, konkret und klar", kamen die Ansagen, berichtete Gündogan und lobte: "Das ist wichtig für diese Mannschaft." In zwei Sitzungen nach dem Frühstück und direkt vor dem Training hatte Nagelsmann sein Team vorbereitet. "Er will versuchen", sagte Gündogan, "aus der wenigen Zeit, die wir haben, das Maximum rauszuholen."

Das schien schon beim ersten Mal gut zu gelingen. Unter den Augen von Sportdirektor Rudi Völler, Geschäftsführer Andreas Rettig und dessen Vorgänger Oliver Bierhoff erlebten die Stars gleich das volle Nagelsmann-Programm. Hier präsentierte sich ein Trainer mit extremer Detailversessenheit. "Julian Nagelsmann ist ein Perfektionist, der uns alle besser machen kann", sagte Stürmer Niclas Füllkrug.

Das hörte sich bei der ersten Übung, dem Aufbauspiel mit "Lockpässen" auf den Sechser, bei der Nagelsmann immer wieder "Tiefe" anmahnte, so an: "Anbieten! Flach spielen! Tempo wechseln!" Oder, bei der folgenden Spielform, so: "Lass den Ball laufen! Schnell spielen! Hochgehen!" Nagelsmann eröffnet dabei auch immer wieder selbst die Passstafetten. Eine Übung macht er vor und trifft aus grosser Distanz gezielt in ein Mini-Tor.

Nagelsmann hat keine Zeit zu verlieren

Auch in den Kennenlern-Gesprächen ausserhalb des Platzes, berichtete Jonas Hofmann, "geht es relativ schnell um Fussball". Nagelsmann hat keine Zeit zu verlieren, vor seinem Länderspiel-Debüt am Samstag (21:00 Uhr MESZ/RTL) gegen Gastgeber USA hat er gerade mal vier Einheiten mit der Nationalmannschaft.

"Das Passspiel ist von grosser Bedeutung, das heisst, viel vertikal zu spielen, steil, klatsch, kleine Details, die plump und einfach sind, wo wir aber einfach ein Gefühl kriegen wollen, wo wir Sicherheit kriegen wollen", berichtete Hofmann. Die "Grundprinzipien" würden immer und immer wieder von Nagelsmann gepaukt und gepredigt. "Wir haben den Anspruch, attraktiven Fussball zu spielen, der die Menschen im Land begeistert", beschrieb Nagelsmann seinen Anspruch.

"Wir sind noch in der Beschnupperungsphase", sagte Gündogan, "aber man merkt, dass es technisch und taktisch auf sehr hohem Niveau zugehen wird." Und Nagelsmann zugleich und zuvorderst auf einfache "Grundprinzipien" setzt - ein Wort, das im Schatten des Gillette Stadiums von NFL-Riese New England Patriots immer wieder fiel.

Was damit gemeint ist? "Da geht es weniger ums Taktische als um gewisse Tugenden, die wir an den Tag legen sollen", sagte Gündogan. Wie nach der Trennung von Hansi Flick beim 2:1 gegen Vize-Weltmeister Frankreich. Aus den ersten Sitzungen habe er mitgenommen, dass Nagelsmann zwar seine Grundüberzeugungen habe, sagte Gündogan, "aber er will es einfach halten, weil wir nicht viel Zeit haben".

Eine neue Grundform war im Training bereits erkennbar

Eine Grundform war beim Training in Foxborough schnell erkennbar. Im 4-2-2-2-System wurde der Ball immer wieder schnell und steil nach vorne gespielt. Die Achse bilden dabei allesamt Spieler über 30 Jahre, wenig jünger also als Nagelsmann (36) selbst. Von Marc-André ter Stegen (31) im Tor über die zentrale Abwehr mit Rückkehrer Mats Hummels (34) und Antonio Rüdiger (30) sowie Gündogan (32) als Mittelfeld-Schaltstelle neben Joshua Kimmich, der unter Nagelsmann wieder im Zentrum statt rechts vorgesehen ist.

Der eigentlich "fragwürdigen Reise" (Hofmann) über den grossen Teich gewinnen dabei alle das Positive ab. Glaubt man den Spielern, gleicht die Atmosphäre der bei einer Klassenfahrt, inklusive willkommener Ablenkung. Auf dem Gelände rund um das Renaissance Hotel gibt es ein Kino, zahlreiche Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.

Dazu stehen einige kleine Aktionen auf dem Programm wie der Besuch von Ex-Footballer Markus Kuhn. "Jammern, Meckern" über die USA-Reise, das sei "alles Quatsch", sagte Hofmann, "wir sollten das Beste draus machen."

Auch der Spass kommt nicht zu kurz, Nagelsmann lebt ihn vielmehr vor. Als die meisten seiner Spieler den Platz schon verlassen hatten, spielte er mit seinem Staff um Sandro Wagner noch Ballhochalten - inklusive Ohrschnipser für den Verlierer unter dem Gejohle der Gewinner. Danach verabschiedete er sich mit einem "Servus" - und hüpfte die Treppe genau so dynamisch wieder hinunter. (lh/SID/dpa)

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