Der Doppelpack gegen Kamerun war Timo Werners Antwort auf die Pfiffe der deutschen Fans. Für Bundestrainer Joachim Löw eröffnen sich im Angriff wieder neue Perspektiven - nicht nur wegen Werner.

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Natürlich war Joachim Löw der Mann des Abends in Sotschi. Der einhundertste Sieg als Bundestrainer ist schliesslich etwas ganz Besonderes.

Nicht nur deshalb, weil Löw mehr Spiele gewonnen hat als die Eminenzen des deutschen Fussballs, Sepp Herberger, Helmut Schön oder Franz Beckenbauer, sondern auch die besten Quoten aller Bundestrainer vorweisen kann und nun eben diese magische Schallmauer durchbrochen hat.

Aber Löw war nicht der einzige gefeierte Protagonist nach dem Spiel der Nationalmannschaft gegen Kamerun: Timo Werner hatte mit zwei Toren für den 3:1-Sieg des Welt- gegen den Afrikameister gesorgt und auch dafür, dass Deutschland nun als Gruppensieger ins Halbfinale des Confed Cups eingezogen ist.

In seinem vierten Länderspiel hat der Leipziger also erstmals für Deutschland getroffen. Vielleicht war es gar keine so schlechte Fügung des Schicksals, dass Werner einige tausend Kilometer entfernt von der Heimat im Nationaldress erstmals so erfolgreich war.

In Deutschland hat Werner ja seit seiner bemerkenswert schlecht moderierten Schwalbe aus dem Schalke-Spiel im vergangenen Winter einen unheimlich schweren Stand: Bei seinem Debüt gegen England und vor einigen Tagen bei seiner Einwechslung gegen San Marino wurde er von Teilen der eigenen Fans ausgepfiffen.

Die hitzigen Diskussionen um den Tiefflug und wohl auch die Tatsache, dass Werner beim wenig geliebten Brauseklub so richtig durchstartete und mit seinen Toren massgeblichen Anteil an Leipzigs Durchmarsch in die Champions League hatte, machten ihn zur Persona non grata. Mittlerweile habe Werner jedoch gelernt, damit umzugehen.

Pfiffe spornen Werner angeblich an

Mehr noch: Die Pfiffe gegen seine Person machten ihn sogar noch stärker. "Kobe Bryant wurde auch stets ausgebuht und war trotzdem der Beste. Ich will damit nicht behaupten, der Beste zu sein. Aber die Pfiffe spornen mich an", sagte er der "Bild".

Timo Werner ist der heimliche Senkrechtstarter der Liga, Schwalbe hin oder her.

Mit dem VfB Stuttgart ist er in der Saison davor sang- und klanglos abgestiegen. Werner steckte in einer Sackgasse, beim VfB sollte er als Teenager bereits so etwas wie ein Fixstern einer durch und durch orientierungslosen Truppe sein und war damit - wenig überraschend - überfordert.

Der Abgang des Jungen aus Stuttgart Bad Cannstatt dürfte die beste sportliche Entscheidung seiner noch jungen Karriere gewesen sein. Natürlich nahmen ihm die Traditionalisten den Wechsel ausgerechnet nach Leipzig krumm, aber jenseits aller Herzblut-Debatten und ganz nüchtern betrachtet konnte Werner nichts Besseres passieren.

Bester deutscher Angreifer

Wie wach geküsst spielte Werner auf, machte aus seinen angeblichen Schwächen ganz viele Stärken. Plötzlich setzt er seine wahnsinnige Schnelligkeit wieder richtig ein, kann selbst schwierige Zuspiele technisch sauber verarbeiten und ist vor dem Tor eiskalt. Mit jedem Treffer für RB wuchs das verschütt' gegangene Selbstvertrauen wieder an.

Mit 21 Toren in 31 Spielen war er der beste deutsche Angreifer der abgelaufenen Saison, dazu kamen auch noch acht Assists. Also war Werner in fast jedem Spiel an einem Leipziger Treffer beteiligt.

126 Spiele hat er in der Bundesliga schon bestritten, dabei 34 Tore erzielt. Er ist immer noch der jüngste Doppelpacker der Geschichte, 17 Jahre und 249 Tage war er bei seinen beiden Toren für den VfB gegen Freiburg alt.

Er bringt mehr Potenzial mit als jeder andere deutsche Angreifer in seinem Alterssegment und fühlt sich in einer Rolle wohl, die in der Nationalmannschaft spätestens seit dem Abgang von Miroslav Klose vor drei Jahren als Mangelposition angesehen wird.

Deutschland, das Land der Müllers und Seelers und Völlers und Kirstens, hat tatsächlich im Sturm ein Problem. Das war bisweilen so gross, dass Joachim Löw sich nicht nur zu Experimentierzwecken zu Varianten mit der falschen Neun entschied.

Dann schickte er Mario Götze, Thomas Müller oder Andre Schürrle in die vorderste Linie. Alle drei exzellente Offensivspieler, aber ganz gewiss keine Mittelstürmer. Werner hat sich in dieser Rolle in Leipzig komplett eingefügt, nachdem er auch in Stuttgart immer wieder auf den linken Flügel verfrachtet wurde.

Alternativen für Mario Gomez

Löw, die Mannschaft und die deutschen Fans sollten also froh sein, dass da endlich wieder einer von sich reden macht und eine Alternative zu Mario Gomez darstellt. Der wird nämlich in wenigen Tagen 32 Jahre alt und womöglich wird die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr Gomez' letztes grosses Turnier für den DFB.

Auch Sandro Wagner, der sich in seinen ersten Spielen für Deutschland recht geschickt angestellt hat, wird noch in diesem Jahr 30 Jahre alt. Und ob Max Kruse wirklich noch einmal eine Chance bei Löw bekommt, steht derzeit in den Sternen.

Timo Werner ist ein Versprechen für die Zukunft. Er bringt vieles mit, um in den kommenden Jahren ein wichtiger Spieler in seinem Klub und beim DFB zu werden - dabei ist er in seiner Entwicklung noch nicht ausgereift und hat Potenzial nach oben.

Für Joachim Löw sind das erfreuliche Aussichten. Mit Gomez, Wagner und Werner hat der Bundestrainer endlich wieder eine echte Auswahl und vielleicht rückt demnächst auch noch der eine oder andere nach, der momentan noch unter dem Radar fliegt: Freiburgs Florian Niederlechner oder die beiden Stuttgarter Simon Terodde und Daniel Ginczek.

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