Deutschlands Frauen-Nationalmannschaft schliddert in ein neues sportliches Debakel und die Kritik an Bundestrainerin Steffi Jones nimmt weiter zu. Der hart erarbeitete Status der DFB-Frauen bröckelt und es bleibt die Frage: Ist Jones die Richtige für diesen Job?
Für Steffi Jones war das wohl eine ebenso ungewöhnliche wie unangenehme Situation. Der SheBelieves Cup in den USA sollte ein beschwingter Auftakt in das neue Länderspieljahr der deutschen Frauen-Nationalmannschaft werden, ein Testturnier auf hohem Niveau, bevor es in der WM-Qualifikation im Frühjahr um wichtige Punkte geht.
Für die Mannschaft, für den Verband und natürlich auch für Jones selbst sollte es nach einem extrem schwierigen Jahr der Start in eine neue Zeit werden. Zurück zur Dominanz, zur Überlegenheit. Es endete in einem sportlichen Desaster. Nun ist der SheBelieves Cup kein Wettbewerb von grösserer Bedeutung, obwohl die Gegner mit den USA, England und Frankreich zu den Grosskalibern im Frauen-Fussball zählen.
Aber ein Turnier zu spielen, in dem einer deutschen Mannschaft kein einziger Sieg gelingt und am Ende der letzte Tabellenplatz steht, samt einer vernichtenden Abschlussniederlage gegen Frankreich: Das hat dann doch alle Beteiligten aufgeschreckt. Und beteiligt waren viele. Bundestrainerin Steffi Jones hatte einen so grossen Stab an Trainern und Funktionären dabei wie nie zuvor eine Bundestrainerin der Nationalmannschaft - und eben jenen "Aufpasser", der sich in erster Linie um die Arbeit des Trainerteams kümmern und diese bewerten sollte.
Von Beginn an heftige Kritik
Joti Chatzialexiou wurde für diese sehr spezielle Aufgabe abgestellt. Als neuer Sportlicher Leiter der Nationalmannschaft ist er so etwas wie das Pendant zu Oliver Bierhoff bei den Männern.
Was Chatzialexiou nach der Rückkehr nach Frankfurt zu berichten hat, dürfte aber in der Chefetage des grössten Sportfachverbands der Welt gleichermassen für Erstaunen und Ernüchterung sorgen.
Wenn es im Frauen-Fussball drei unverrückbare Gesetze gibt, dann ja wohl diese: Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten - und Deutschlands Damen gewinnen jeden Titel, den man nur gewinnen kann.
Deutschland ist zweimaliger Weltmeister, hat unglaubliche acht Mal den Europameistertitel geholt und vor anderthalb Jahren den Sieg bei den Olympischen Spielen davongetragen. Damals war Jones noch Direktorin für die Bereiche Frauenfussball, Mädchenfussball und Schulfussball. Nach Olympia wurde sie als Nachfolgerin der über die Massen erfolgreichen Silvia Neid ins Traineramt gehievt.
Es gab damals grosse Zweifel an Jones' Qualifikation, immerhin hatte sie noch nie ein Traineramt bekleidet und sollte nun die wichtigste Mannschaft des deutschen Frauen-Fussballs übernehmen.
Ein Experiment sei das, mit der wichtigsten Mannschaft des Landes. Nicht zu verantworten, ein Vabanquespiel. Der Gegenwind aus der Bundesliga war enorm und schon beim ersten grossen Turnier unter ihrer Regie sahen sich die Kritiker bestätigt: Das sang- und klanglose Aus bei der EM im vergangenen Sommer war eine indiskutable Fehlleistung der Mannschaft und ihrer Trainerin.
Jones wackelte damals, wurde aber unter anderem von DFB-Präsident Reinhard Grindel protegiert und durfte im Amt bleiben. Der Vertrag wurde sogar, quasi symbolisch, bis 2019 verlängert.
Eine peinliche Niederlage gegen Island im Rahmen der WM-Qualifikation befeuerte die Zweifel erneut, Deutschland steht in den ausstehenden Spielen der Qualifikationsrunde unter gehörigem Druck, selbst die Ehrenrunde über die Playoffs droht.
Oder, noch viel schlimmer: Deutschland könnte erstmals in der Geschichte sogar eine WM verpassen. Und ohne WM-Teilnahme auch keine Chance, sich für Olympia zu qualifizieren. Als Titelverteidiger, als einst beste Nation im Welt-Fussball.
Mehrere Gründe für die Krise
Der Nimbus der Unbesiegbarkeit bröckelt nun schon seit einigen Jahren, das desaströse Ausscheiden bei der Heim-WM vor sieben Jahren mit einer uneinsichtigen Silvia Neid an der Seitenlinie markiert im Nachhinein betrachtet den Startschuss eines schleichenden Niedergangs.
Der Olympiasieg von Rio war ein letztes Ausrufezeichen, die Ausnahme, die offenbar die Regel bestätigt. Und die besagt, dass Deutschlands Frauen sich auf dem absteigenden Ast befinden.
Der über mehrere Jahrzehnte erarbeitete Status ist derzeit nicht mehr zu halten. Fast drei Jahrzehnte lang hat Deutschland den kontinentalen und irgendwann auch den globalen Fussball der Frauen dominiert. Unerreichbar, unerhört erfolgreich und, um es mit Franz Beckenbauers Bonmot zu beschreiben: auf Jahre hinaus unschlagbar. Jetzt erscheint die Mannschaft wie eine unter vielen.
Deutschlands Top-Klubs sind von der Konkurrenz aus Schweden oder Frankreich überflügelt worden. Neben den skandinavischen Teams mischen nun auch die Engländerinnen, die Französinnen und Europameister Niederlande mit.
Diese neue Konkurrenzsituation erwischt den DFB auf dem falschen Fuss. In einer Zeit, in der einige Grössen zurückgetreten sind und das Binnenverhältnis zwischen Trainerstab und Mannschaft (noch) nicht stimmt.
Fragwürdiger Umgang
Jones' Umgang mit verdienten Spielerinnen wie Lena Gössling stellt die Bundestrainern beim Misserfolg automatisch ins Dauerfeuer der Kritik. Gössling beim Stand von 0:3 in der 90. Minute einzuwechseln und ihr damit zum 100. Länderspiel zu verhelfen, war wohl eine gut gemeinte Rochade von Jones - tatsächlich kommt es aber einem Affront gleich und vermittelt ein Bild, das von den Verantwortlichen lange Zeit gerne bestritten wurde: Jones beschneidet Führungsspielerinnen, drückt mit Gewalt ihre Ideen durch und hat einen wenig sensiblen Umgang mit einigen ihrer Spielerinnen.
Die wenigen Persönlichkeiten innerhalb der Mannschaft kommen auch deshalb kaum zur Entfaltung. Daran sind zu einem grossen Teil auch die Spielerinnen selbst schuld, nicht für alles kann man Jones verantwortlich machen.
Aber als Trainerin steht sie nun einmal an vorderster Front. Aus dem Präsidium war nach der neuerlichen Enttäuschung beim SheBelieves Cup noch nichts zu vernehmen.
Für Steffi Jones wird die WM-Qualifikation zur sprichwörtlich letzten Patrone. Zwar gibt es im DFB kaum adäquate Nachfolgekandidatinnen, zumal die Qualifikation für diesen Job auch nicht vergleichbar ist mit dem für den Bundestrainer der Herren, aber ein "Weiter so" darf es auch nicht geben. Joti Chatzialexiou, gerade einmal ein paar Wochen im Amt, kommt jetzt eine grosse Bedeutung zu.
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