Das DFB-Team hat im ersten Länderspiel unter Christian Wück einen eindrucksvollen 4:3-Sieg gegen England eingefahren. Was der neue Bundestrainer verändert hat – und worauf es jetzt ankommt.

Eine Analyse
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Gespannt warteten die deutschen Fans auf den ersten Auftritt des DFB-Teams unter Christian Wück. Der neue Bundestrainer steht schon länger als Nachfolger von Horst Hrubesch fest. Am Freitagabend durfte er erstmals an der Seitenlinie stehen.

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Und das ausgerechnet im Wembley-Stadion gegen die Europameisterinnen aus England. Eine Aufgabe, die kaum hätte grösser ausfallen können. Eine Aufgabe, die einige Trainer womöglich defensiv, etwas zurückhaltend angegangen wären.

Nicht so Wück. Die DFB-Frauen hatten es von Anfang an darauf abgesehen, England zu überraschen – und schafften es mit einer über weite Strecken begeisternden Leistung, die Partie verdient zu gewinnen. Fünf Dinge, die beim Wück-Debüt aufgefallen sind:

DFB-Team überzeugt mit taktischer Variabilität

Hrubesch trat beim DFB nicht mit der Aufgabe an, das Team in die Zukunft zu lenken oder ein besonders innovatives Spielsystem zu entwickeln. Seine Kernaufgabe bestand darin, den damals negativen Trend umzudrehen und Deutschland nach der enttäuschenden WM 2023 zu den Olympischen Spielen zu führen. Das gelang ihm und er krönte sich und das Team mit der Bronzemedaille.

Dass man fussballerisch aber nicht mehr zur Spitze zählte, war vor allem in den Duellen mit Top-Teams zu sehen. Deutschland verteidigte meist tief, hoffte auf Konter und individuelle Klasse. Gegen England zeigten die DFB-Frauen ein ganz anderes Gesicht. Sie spielten offensiv, selbstbewusst und hatten keinerlei Angst vor den Konsequenzen, wenn man mit vielen Spielerinnen aufrückt.

Vor allem die taktische Variabilität fiel sofort auf. Immer wieder zogen beispielsweise die Flügelspielerinnen nach innen, um die englischen Aussenverteidigerinnen mitzunehmen. Erst spät rückten dann die defensiven Aussenspielerinnen Giulia Gwinn und Sarai Linder auf, um den Raum zu belaufen. Deutschland gelangen mit diesem taktischen Mittel mehrere Durchbrüche.
Auch das Gwinn-Tor zum zwischenzeitlichen 2:0 entstand, weil Jule Brand diagonal in die Mitte zog und die Bahn für ihre Teamkollegin öffnete. Nach der Verlagerung hatte die Kapitänin viel Wiese vor sich.

Giulia Gwinn
DFB-Kapitänin Giulia Gwinn zeigte gegen England eine sehr gute Leistung. © IMAGO/Fotostand/Fantini

Erste Wück-Gewinnerinnen? Das spielstarke Zentrum

Dass die Deutschen die Flügel immer wieder bespielen konnten, hatte aber noch einen weiteren Grund: Viel mehr ging durch das Zentrum. Während man unter Hrubesch sehr früh und vorhersehbar über die Flügel aufbaute und so letztlich nur noch die Flanke als Mittel der Wahl blieb, spielte man gegen England viel über das zentrale Mittelfeld.

Dort stellte Wück mit Elisa Senss, Sjoeke Nüsken und Linda Dallmann drei sehr feine und technisch starke Fussballerinnen auf. Senss und Nüsken waren dafür zuständig, das hohe Pressing der Engländerinnen auszuhebeln, indem sie sich immer wieder in den Zwischenräumen positionierten. Dallmann war der Dreh- und Angelpunkt in den vorderen beiden Dritteln.

England tat sich schwer damit, überhaupt ins Pressing zu kommen und gerade Dallmann ragte mit ihrer Bewegungsfreude und ihren starken Lösungen unter Druck heraus. Die Bayern-Spielerin war immer anspielbar und öffnete damit Räume für die Offensivspielerinnen. Deutschland wirkte mit dem Mut, auch mal im Zentrum ganz bewusst in die engen Räume zu spielen, deutlich spielfreudiger als in den vergangenen Monaten.

Die Defensive bleibt ein Risiko

So stark es auch ist, auswärts gegen England vier Tore zu erzielen, so sehr muss Wück natürlich auch in die Analyse gehen, weil das Team drei Gegentore kassiert hat. Gerade gegen Ende der ersten Halbzeit kamen die Deutschen ins Schwimmen.

Wie unter Hrubesch ist man auf den Flügeln anfällig bei Tempoläufen des Gegners. Doch auch der Spielaufbau lief nicht immer fehlerfrei. Ein Risiko, das Wück bewusst in Kauf nimmt und das den Deutschen im Spiel nach vorn viele gute Momente bescherte.

Dennoch wird es noch Feintuning benötigen, um leichte Ballverluste zu minimieren. So holte man England nach einer 3:0-Führung fast schon unnötig wieder ins Spiel, weil man unter Druck ein bisschen zu hektisch agierte.

Ein Mittel, mit dem der neue Bundestrainer den defensiven Druck verringern möchte, ist das höhere Pressing. Mit zwei Viererketten und zwei Stürmerinnen schob Deutschland nach vorn, statt sich von England hinten reindrücken zu lassen. Dass die Europameisterinnen im Spielaufbau viele Fehler machten und so beispielsweise den Elfmeter zum 1:0 überhaupt erst ermöglicht haben, verwunderte, spricht aber auch für das starke Pressing der Deutschen.

Nur die beiden Innenverteidigerinnen Englands durften den Ball weitestgehend ungestört führen. Jede andere Gegenspielerin wurde vom DFB-Team aggressiv angelaufen. Grösstenteils mit Erfolg.

Deutschland muss noch "ein bisschen abgeklärter sein"

Entsprechend glücklich zeigte sich Wück nach der Partie auch, der von dem Lob für seine persönliche Arbeit nicht viel wissen wollte. "Natürlich haben wir uns ein bisschen anders verhalten", sagte er in der ARD, aber die Spielerinnen hätten es ganz allein auf dem Platz umgesetzt.

Verbesserungsbedarf sah der Bundestrainer vor allem in der Ruhe in Ballbesitz: "Wir müssen natürlich schauen, dass wir ein bisschen abgeklärter sind." In einigen Phasen gab man das Spiel etwas zu simpel aus der Hand, weil die Balance zwischen Offensive und Defensive nicht immer optimal war.

Wück-Debüt geglückt, aber jetzt wird es erst richtig spannend

Eine wichtige Erkenntnis der Partie ist, dass Deutschland wieder offensiv gegen einen Top-Gegner dagegenhalten kann. Für die Europameisterschaft im kommenden Sommer macht das Hoffnung.

Doch die spannenderen Auftritte kommen jetzt. Unter Hrubesch und auch Martina Voss-Tecklenburg hatte man zuletzt grosse Schwierigkeiten damit, tiefstehende Mannschaften zu bespielen. Schon Australien wird am kommenden Montag ein erster Test in diese Richtung sein, weil sie organisierter und etwas tiefer pressen als die Engländerinnen.

Dann wird sich zeigen, wie viel variabler die Deutschen unter Wück wirklich sind. Doch gegen England haben sie schon mal angedeutet, dass sie taktisch flexibler agieren als in der Vergangenheit. Ein 4:3 gegen den Europameister im Wembley-Stadion ist kein allzu schlechter Start in den neuen Abschnitt.

Verwendete Quellen

  • Liveübertragung England - Deutschland in der ARD
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