Neuanfang nach der EM: Bundestrainer Julian Nagelsmann löst die erprobte Rollenverteilung des Heim-Turniers auf – für die Entwicklung eines neuen Geistes.
Beim Trainingsspiel auf Mini-Tore stellte Julian Nagelsmann seinen Torhüter Alexander Nübel am Dienstag mitten ins Feld: als Ballverteiler. Derart revolutionär wird der Bundestrainer seinen Zweijahresplan für den WM-Titel 2026 sicherlich nicht entwerfen – aber er löst die starren Kader-Rollen der Heim-EM auf, für mehr Konkurrenzkampf und einen Geist des Siegens.
Wer nicht mitzieht, könnte Nagelsmann von der ungemütlichen Seite kennenlernen. Er wolle "keine langen Gesichter sehen" und niemanden, der "sauer" sei, sagte er: Jeder hat sich jederzeit in den Dienst der Mannschaft zu stellen, egal, ob er als Stammspieler, Joker, Ersatzkraft oder Trainingsheissmacher gebraucht wird. "Jeder weiss: Ich habe nicht diese extrem vorgefertigte Rolle", erklärte Nagelsmann. "Das wird erst wieder zum Turnier so."
Die Rollen sind offen – anders als bei der EM. Da benötigte der Kader sofortige Stabilität, Nagelsmann hatte eine klare Hierarchie und eine Achse von Säulen, die eher unerfahrene Spieler stützten. Davon sind durch Rücktritte einige weggefallen, beispielsweise Toni Kroos und Ilkay Gündogan. Nun wird sich einiges zurechtruckeln müssen, der Bundestrainer kann Ebenen einziehen und ein neues Gerüst bauen. Von Spiel zu Spiel.
Nagelsmann nennt Havertz als Rollen-Beispiel
Die bei der EM erfolgreich angewandte starre Rollenverteilung wird auf dem Weg zur WM 2026 also vorerst aufgelöst. "Wir haben es ein bisschen umgestellt", sagte der Bundestrainer und erklärte: "Es wird die Rolle des Stammspielers für das einzelne Spiel geben und die Rolle der Ersatzspieler für das einzelne Spiel."
Als Beispiel sagte er mit Blick auf das Duell mit Ungarn am Samstag: Es könne sein, dass Kai Havertz spielt – "er weiss dann, was es gegen Ungarn als Stammspieler bedarf. Gegen die Niederlande spielt er dann vielleicht nicht, weiss dann aber, was er von draussen bringen muss."
Am Personal und System ändert sich recht wenig
Nagelsmann möchte die Stimmung hochhalten – sowohl im Team als auch bei den Fans, die frisch ihre Liebe zum Nationalteam wiederentdeckt haben.
Für Nagelsmann ist dies ein wichtiger Faktor. "Wir haben die Menschen wieder vereint hinter uns, weil wir den Eindruck erweckt haben, Bock zu haben." Also werde er nicht einen Stiefel durchziehen, sondern: "Wir werden die besten elf auswählen und dann die besten fünf einwechseln, um die Spiele zu gewinnen." Es wird neu gewürfelt – aber grösstenteils im bestehenden Personal mit dem gewohnten System.
Der EM-Kader bildet das Fundament, die Turnier-Teilnehmer haben einen Bonus. "Wir wollen einen gewissen Stamm behalten Richtung WM, wir wollen nicht den ganzen Kader austauschen", sagt der Bundestrainer. Es gehe "ums Festigen".
Stuttgarts Stiller ist der einzige Neuling
Dementsprechend hat er 20 EM-Fahrer in den 23er-Kader für die Duelle mit Ungarn in Düsseldorf und den Niederlanden in Amsterdam am Dienstag berufen. Hinzu kommen Aleksandar Pavlovic, der das Heimturnier verletzungsbedingt verpasste, Nübel und der einzige Neuling Angelo Stiller.
Da überdies Leroy Sané (Pause nach Leisten-Operation) und Abwehrchef Antonio Rüdiger (Regeneration) fehlen, dürfte es schwierig werden, zumindest für die beiden weiteren Lehrgänge des Jahres zum Kader zu stossen. "Es werden nicht jedesmal zehn neue Spieler eingeladen", kündigte Nagelsmann an.
Überhaupt ist
Nagelsmann: Jeder hat jetzt die Chance auf Spielzeit
Die Nations League soll keinesfalls zur lästigen Pflicht werden. "Wir wollen zwei Komponenten: Das Selbstverständnis, Spiele zu gewinnen, auf der anderen Seite das Zwischenmenschliche, das bei der EM gut funktioniert hat." Es sei "gut für die Spieler, dass es die klaren Rollen jetzt erst einmal nicht mehr gibt". Jeder habe die Chance auf Spielzeit.
Und jedes Länderspiel, sagt Nagelsmann, sei da, um es zu gewinnen. Korrektur: Nicht jedes Länderspiel. Jedes Spiel: "Ich spiele auch 'Mensch ärgere dich nicht', um zu gewinnen. Sonst kann ich auch auf der Couch liegen und Fernsehen schauen." (sid/bearbeitet von ms)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.