Die Testspiele gegen Peru und Belgien zeigen Bundestrainer Hansi Flick die immer noch gravierenden Probleme seiner Mannschaft auf. Die positiven Eindrücke sind zwar in der Unterzahl – aber es gibt sie.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Fehler kann man erst dann abstellen, wenn man sie auch als solche erkennt. Insofern waren die beiden ersten Testspiele des Jahres ziemlich gelungene Veranstaltungen für die deutsche Nationalmannschaft. Denn an Komplikationen mangelte es in den Partien gegen Peru und Belgien nicht, eher war das Gegenteil der Fall.

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Auf dem Weg zur Heim-Europameisterschaft im kommenden Jahr hat die DFB-Elf einen Stotterstart hingelegt. Der war zwar im Sinne einer ersten Testreihe und schon allein aufgrund der Personalwahl von Bundestrainer Hansi Flick in Teilen auch eingepreist, auf der anderen Seite aber phasenweise so ernüchternd, dass sich vor dem Bundestrainer noch mehr Fragen auftürmen, als er Antworten geliefert bekam.

Eine Bestandsaufnahme der Probleme und der wenigen Lichtblicke:

Die Sache mit dem Leistungsprinzip

Die Spiele gegen Peru und Belgien dürfen insofern nicht als besonders repräsentativ gelten, da Flick einer ganzen Reihe seiner Stammkräfte eine Pause gönnte. Thomas Müller, Ilkay Gündogan, Antonio Rüdiger, Leroy Sané oder Niklas Süle waren gar nicht erst eingeladen, Kai Havertz, Nico Schlotterbeck oder Jamal Musiala mussten früher oder später verletzungsbedingt passen. Auf Manuel Neuer wird Flick ohnehin erst in der kommenden Saison wieder zurückgreifen können.

Also nutzte der Bundestrainer die Gelegenheit und testete nicht nur ein halbes Dutzend Neulinge, sondern auch den einen oder anderen Rückkehrer. Von einer vermeintlichen Stammformation im Hinblick auf die EM in 15 Monaten war diese Mannschaft sehr weit entfernt. Dabei waren auch einige Spieler, die mit ihrer aktuellen Form kaum weiterhelfen – und trotzdem nicht nur eingeladen wurden, sondern auch spielen durften.

Timo Werner stand zweimal in der Startelf, konnte dem deutschen Spiel aber kaum etwas geben. Thilo Kehrer und Leon Goretzka durften gegen Belgien beginnen, auch sie fielen aus unterschiedlichen Gründen eher negativ als positiv auf. David Raum offenbarte jene Probleme, die ihm auch bei RB Leipzig ein treuer Begleiter sind: In der Offensive kam kaum eine Flanke an, in der Defensive blieb Raums linke Seite anfällig für gegnerische Angriffe.

Auch Serge Gnabry blieb trotz dieser einen fantastischen Einzelaktion gegen Belgien weit unter seinen Möglichkeiten, in grossen Teilen bestätige der Angreifer seinen Trend aus den letzten Spielen mit dem FC Bayern. Flick wird nach diesen ersten beiden Spielen die Zügel anziehen und harte Entscheidungen treffen müssen. Nur so füllt er das immer wieder betonte Leistungsprinzip auch mit Leben.

Das Problem im Mittelfeld

Gegen die fussballerisch doch stark limitierten Peruaner fiel die schlechte Abstimmung im deutschen Mittelfeldblock im Spiel gegen den Ball noch kaum auf. Die zwei Klassen besseren Belgier dagegen schraubten die deutsche Mannschaft eine halbe Stunde lang übers Zentrum aber derart auseinander, dass eine historische Klatsche drohte.

Aus einem etwas tieferen Mittelfeldpressing wollte Flick den Gegner verteidigen, "kompakt stehen", wie er noch vor dem Anpfiff betonte. Was sich dann aber über eine halbe Stunde lang abspielte, hatte mit geordnetem Defensivverhalten und Stabilität kaum etwas zu tun. Die Doppelsechs aus Leon Goretzka und Joshua Kimmich war ein wachsweiches Gebilde und offerierte damit eine regelrechte Einladung für die Gäste.

Das Duo Goretzka/Kimmich hatte schon zu Flicks Zeit bei den Bayern immer wieder Probleme im Spiel gegen den Ball, es fehlt an Positionstreue und einem klaren Sechser, der als Anker und Absicherung vor der Abwehr bleibt. Dass Flick nun in der Nationalmannschaft nochmals das Experiment mit den beiden Bayern-Spielern einging, kann im Prinzip nur dem Testcharakter der Begegnung geschuldet sein. Jedenfalls darf diese Konstellation im zentralen Mittelfeld als gescheitert gelten.

Die neue Grundordnung

Flick liess gegen Peru und Belgien mit einer 4-2-2-2-Grundordnung spielen, was durchaus einige Vorteile hat und in seinen Variationen besonders im Spiel mit dem Ball gute Optionen liefert.

Auf dem Papier ist das Zentrum durch diese Anordnung besonders gestärkt, Spieler wie Florian Wirtz, Kai Havertz oder auch Thomas Müller und Jamal Musiala kommen in die für sie perfekten Räume als (Halb-)Zehner. Und im Angriff gibt es zwei klare Spitzen, neben dem wuchtigen Niclas Füllkrug bleibt Platz für einen wendigeren, schnellen Angreifer, der die Tiefe bedrohen und zweite Bälle aufsammeln kann.

Im Spiel mit dem Ball zeigten sich einige schöne Staffelungen, wenn Emre Can etwas abkippte und die Mannschaft im 3-4-3 aufbauen konnte, mit einer guten Raumbesetzung im Mittelfeld und genug Verbindungen für einen geordneten Ballvortrag. Auf der anderen Seite – wenn der Gegner den Ball hatte – erwies sich Flicks neue Idee aber als ziemlich anfällig.

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Die Umstellung vom gelernten hohen auf das etwas tiefere Pressing funktionierte gar nicht. Im Timing beim Anlaufen waren die deutschen Spieler immer einen Schritt zu spät, verpassten auch im Gegenpressing oft den richtigen Moment. Deshalb auch gegen Belgien die frühe Umstellung auf das gewohnte 4-3-3.

Flick hat einen Neuanfang versucht, musste das Experiment aber im zweiten Spiel früh auch schon wieder abbrechen. So ganz ausgereift wirkten die Ideen nicht, wobei die Zeit des Einstudierens mit den paar Trainingseinheiten auch überschaubar war.

Das grosse Sorgenkind

Süle, Schlotterbeck und Rüdiger fehlten gegen Belgien, weshalb die Innenverteidigung aus Thilo Kehrer und Matthias Ginter bestand – und auf diesem Niveau gegen einige der besten Angreifer der Welt überfordert war. Nicht nur in den direkten Duellen, also in den Zweikämpfen. Auch im individualtaktischen Bereich, beim Herausrücken, Zuordnen und Schliessen.

Dazu kamen die in der Defensive enorm anfälligen David Raum links und Marius Wolf auf der rechten Seite, der gegen die Belgier eine halbe Stunde lang mehr Schwächen zeigte als in der kompletten Rückserie beim BVB.

Die deutsche Viererkette – so sie denn eine Viererkette bleibt und nicht doch noch zur Dreier- oder Fünferkette wird – bleibt das grösste aller Probleme. Die Verteidigung hat nicht durchgängig Spitzenniveau und wenn dann die notwendige Unterstützung aus dem Mittelfeld und beim Anlaufen durch die Stürmer fehlt, schwimmt die deutsche Mannschaft immer noch gehörig.

Der Bundestrainer wird insbesondere für die Defensive eine grundsätzliche Entscheidung treffen müssen: Will er das Problem über das Personal lösen oder doch noch mit einer veränderten Spielidee? Aufschluss darüber gaben die beiden Testspiele kaum.

Die positiven Aspekte

Natürlich bleibt die spektakulär schlechte halbe Stunde gegen Belgien im Gedächtnis hängen. Drumherum hat die Mannschaft aber zumindest in Ansätzen auch gute Elemente gezeigt, die Hoffnung machen für die Zukunft. Trotz des Klassenunterschieds gegen die Belgier fand das Team einen Weg zurück ins Spiel, wurde dann immer dominanter und spielte in der zweiten Halbzeit so, wie sich das auch der Bundestrainer wünscht.

Flick selbst wurde ein wenig zu seinem Glück gezwungen, als er den angeschlagenen Goretzka durch Can ersetzen musste und auch das Experiment im 4-2-2-2 auflöste. Der Bundestrainer war sich in diesem Moment auch nicht zu schade für eine eher unpopuläre Massnahme und nahm Wirtz aus dem Spiel. Im Sinne der Systemumstellung und für den Erfolg der Mannschaft.

Im 4-3-3 und mit dem starken Can als Anker-Sechser, der Kimmich und dem ebenfalls eingewechselten Felix Nmecha auf den Achter-Positionen den Rücken freihielt, wurde das deutsche Spiel schlagartig stabiler. Überhaupt darf sich Can als der grosse Gewinner der letzten Tage fühlen. Wie auch beim BVB wurde der 29-Jährige im deutschen Spiel zu einem Fixpunkt und feierte ein mehr als gelungenes Comeback in der Nationalmannschaft.

Dass es mit einem Comeback gegen die Belgier nichts mehr wurde, war am Ende fast schon unverdient. Die deutsche Mannschaft zeigte genug Moral und Widerstandskraft und auch den Willen, das Spiel noch zu einem halbwegs positiven Ende zu führen. Was wiederum honoriert wurde vom Kölner Publikum, das nicht nur bis zum Ende anfeuerte, sondern eine für ein Testspiel recht aussergewöhnliche Stimmung erzeugte. Das war zwar noch lange nicht der erhoffte und dringend notwendige Schulterschluss mit den eigenen Fans. Aber immerhin schon mal eine erste Annäherung.

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