• Hansi Flicks Debüt als Bundestrainer verlief zäh und schwerfällig, von der Aufbruchstimmung war wenig zu spüren.
  • Der neue Chef muss nun schnell Lösungen finden, weil die Zeit drängt.
  • Zumindest scheint das Experiment Dreierkette ausgedient zu haben.
Eine Analyse

Mehr Fussballthemen finden Sie hier

Mehr News zum Thema Fussball

Die Vorfreude auf diesen Fussballabend war ihm anzumerken. Hansi Flick genoss sichtbar die ungeteilte Aufmerksamkeit der Fans im Stadion und der Reporter und Fotografen am Spielfeldrand, die jeden Schritt und jede Regung registrierten.

Flick war der Hauptdarsteller, das war schon vor der Partie der deutschen Nationalmannschaft gegen Liechtenstein klar. Und am Ende war das wohl auch ganz gut so, weil das Spiel in etwa so verlief, wie viele andere Spiele der jüngeren Vergangenheit: zäh, schwerfällig und bisweilen auch langweilig.

Wäre da auf der Trainerbank nun nicht Flick gesessen mit seinem fast runderneuerten Trainerteam, sondern immer noch der ewige Joachim Löw mit seinen Helfern, die Kritik wäre vernichtend gewesen nach einem mageren 2:0-Sieg gegen die Nummer 189 der Welt. Liechtenstein hat in etwa so viele Einwohner wie Bautzen, im FIFA-Ranking liegt der Kleinstaat mit seinen Halbprofis und Hobbykickern eingebettet von Bangladesch und dem Sultanat Brunei.

Es fehlt die Überzeugung

Keine grosse Nummer im Weltfussball, das kann man wohl ohne Übertreibung behaupten. Und doch biss sich die deutsche Mannschaft an einer sehr unorthodoxen, weil ultra-defensiven Spielweise beinahe die Zähne aus am widerspenstigen Gegner. Deshalb endete das Flick-Debüt zwar mit dem nicht verhandelbaren Sieg, aber eben auch mit einigen Fragen zum Zustand der Mannschaft - und wie der neue Trainer und sein Team diesen wieder auf Linie trimmen könnten.

Von Flicks unerschütterlicher Zuversicht und der guten Laune waren nach dem Spiel nur noch Fragmente übrig geblieben. Im Interview bei "RTL" und danach auf der Pressekonferenz pendelte Flicks Gemütslage zwischen gelöst und angespannt. Das konnte Flick nur schwer verbergen, auch wenn er immer wieder sichtlich darum bemüht war, dieses eine Spiel nicht überbewerten zu wollen und in der Analyse so moderat und ausgeglichen wie möglich zu bleiben.

"Es war ein besonderer Sieg, weil es mein erstes Länderspiel war", sagte Flick. "Aber ohne Frage hätten wir uns alle gewünscht, mehr Tore zu schiessen. Das ist ein Gegner, gegen den man höher gewinnen muss", sagte Flick unter anderem und ging dann doch ein wenig in die tiefergehende Analyse. "Aller Anfang ist nicht immer einfach, wir sind natürlich nicht ganz zufrieden. Ich kann der Mannschaft aber keinen Vorwurf machen. Wir hatten drei Trainingseinheiten, dafür war es okay", sagt er auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, übte aber auch Kritik: "Es fehlt uns so ein bisschen die Überzeugung, Tore zu schiessen."

Flick an der Seitenlinie: Korrigieren und anweisen

An Flicks Arbeit an der Seitenlinie, neudeutsch: In-Game-Coaching, lag es jedenfalls nicht, dass die Mannschaft oft genug die falsche von mehreren Optionen wählte, um den massiven und tiefen Abwehrblock des Gegners auseinanderzuziehen. Flick korrigierte jede Menge, wies besonders die Mittelfeldspieler Joshua Kimmich und Ilkay Gündogan an, den Ball noch mehr laufen zu lassen und schneller zu verteilen, anstatt aufs dem Halbfeld Chipbälle in den Strafraum zu lupfen.

Flick stand grosse Teile der Partie, wirkte auch in der Kommunikation mit seinen Trainerkollegen und den Betreuern sehr aktiv. Danny Röhl war Flicks erste Anlaufstation, der 32-Jährige ist für die taktische Ausarbeitung zuständig. Immer wieder gab es Dinge zu besprechen, wurde Flick bei seinem Assistenten vorstellig und diktierte dem auch einige Dinge.

Rege Kommunikation auf der Bank

Grundsätzlich war die Kommunikation auf der deutschen Bank sehr rege, obwohl - oder gerade weil - das Ergebnis lange Zeit sehr dürftig war und sogar die Gefahr der totalen Blamage zumindest nicht ganz auszuschliessen war. Das war in der zuletzt bleiernen Zeit von Flicks Vorgänger Joachim Löw doch anders, da blieb der alte Bundestrainer zu zaghaft in seinen Ansagen. Flick will auch dort einen anderen Weg gehen, was löblich ist. Aber von der vor der Partie mehrmals ausgerufenen "Begeisterung" war dann auch nicht viel zu sehen.

Immerhin schwenkt Flick nun offenbar wieder nachhaltig auf die Viererkette um. Löws Experiment mit der Dreierkette in der letzten Linie hat ausgedient. Den eher abwartenden Ansatz und viel Umschaltfussball in der Offensive dürfte Flick allenfalls noch in Ansätzen fortführen. Die Mannschaft benötigt wieder mehr Dominanz und Positionsspiel und dafür hat sich Flick im ersten Schritt seine "alte" Bayern-Grundordnung überlegt. Im 4-2-3-1 sollen die offensiven Flügel gestärkt werden mit einem klaren Zehner und einem klaren Zielspieler im Angriffszentrum.

Flicks Aufgabe: einem hochtalentierten Team Leichtigkeit verleihen

Flick erklärte vor der Partie inhaltlich sauber und tiefgreifend seine Ideen und Ansätze, musste dann aber auch erkennen, dass es im Handumdrehen nicht gehen wird mit dieser Mannschaft, die unverkennbar viel Potenzial besitzt, dieses aber nicht dauerhaft abrufen kann. Das dürfte die grösste Aufgabe für den neuen Bundestrainer werden: Einer hochtalentierte Mannschaft nach und nach jene Leichtigkeit zu verpassen, die der Trainer selbst ausstrahlt.

"Es ist enorme Qualität da, ohne Frage. Und ich verstehe, dass alle in Deutschland vielleicht ein bisschen enttäuscht sind vom Ergebnis", sagte Flick. "Aber wir alle wissen, dass wir einen Weg zu gehen haben, der hoffentlich ein bisschen länger ist." In 15 Monaten beginnt schon die Weltmeisterschaft in Katar, es bleibt also nicht viel Zeit. Und Deutschland muss sich dafür ja auch erst noch qualifizieren. Am Sonntag steht schon die nächste Partie im Rahmen der WM-Quali an, dann geht es in Stuttgart gegen Armenien - den aktuellen Tabellenführer in Gruppe J.

Verwendete Quellen:

  • kicker.de: Flicks Debüt und die fehlende "Überzeugung, Tore zu schiessen"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.