- Joachim Löws Entscheidung, nach der EM als Bundestrainer aufzuhören, nimmt gehörig Druck aus dem Kessel und öffnet einige Türen.
- Im Hinblick auf ein erfolgreiches Turnier könnte sich der Zeitpunkt der Entscheidung noch als sehr nützlich erweisen.
Joachim Löw hat sich mal wieder sehr lange Zeit gelassen. Der Bundestrainer war ja noch nie als jemand bekannt, der sich leiten oder sogar treiben lässt. Mit aufreizender Bierruhe moderierte
Dieses eine Mal übertraf sich Löw aber förmlich selbst. Fast vier Monate, exakt 112 Tage, nach dem 0:6-Untergang seiner Mannschaft gegen Spanien formulierte Löw das, was im Nachgang dieser historischen Partie fast allenthalben gefordert wurde: Der ewige Löw kündigte am Dienstag seinen Rückzug als Bundestrainer nach der EM in diesem Sommer an.
Die Entscheidung als solche durfte nach den letzten Jahren nicht mehr gross überraschen. Dafür war zu viel passiert und die Debatten um Löws Person wurden immer noch eine Spur negativer geführt.
Nach dem grossen Triumph von 2014 wäre der perfekte Abgang gewesen, aber das lässt sich im Nachgang natürlich immer leicht feststellen. So krachte Löw mit seiner Mannschaft, mit seinem Fussball und auch mit seiner Art vier Jahre später in Russland mit Karacho gegen die Wand und konnte sich von diesem Kolossalschaden nie mehr richtig erholen.
Genug Zeit für die Nachfolgeregelung
Umso wichtiger war es nun, den richtigen Zeitpunkt für seinen bevorstehenden Abgang zu finden. Und das dürfte dem Noch-Bundestrainer gelungen sein. Die Nationalmannschaft steht ebenso wie ihr Verband dahinter vor grossen Umwälzungen, dank Löws frühzeitig kommunizierter Entscheidung bleibt dem DFB nun genügend Zeit, sich um die Nachfolgeregelung zu kümmern.
Das ist wichtig, weil nach dann fast 15 Jahren unter Löw ein Stilbruch nicht ausbleiben kann und die Mannschaft in eine neue Epoche geleitet werden muss.
Hätte Löw den Entschluss für sich zwar schon längst gefasst, aber beharrlich geschwiegen und wäre er damit in das EM-Turnier gegangen: Er hätte alles aufs Spiel gesetzt, was er sich trotz aller Probleme zuletzt in all den Jahren mühsam aufgebaut hat. Jetzt bestimmt Löw sowohl die Art und Weise, als auch den Zeitpunkt mehr oder weniger selbst. Er findet den Ausgang selbst, der ihm in einer freundlich formulierten Mail seines Arbeitgebers und nach dem Dauerbeschuss der Medien bei einem frühzeitigen EM-Scheitern gewiesen worden wäre.
Die Tür geht auf für die Verbannten
Und im Hinblick auf die EM, sein insgesamt siebtes Grossturnier als Chef, ändert das auf einen Schlag sehr viele Dinge. Löw hat den Aufbruch in eine neue Zeit selbst angestossen, er wollte ihn anstossen nach dem Versagen von Russland.
Deshalb die Abkehr vom "alten" Spielstil, der die Mannschaft ein knappes Jahrzehnt lag getragen hatte und dessen Ideal er bis zur Vollendung in Brasilien hinterher gerannt war. Deshalb auch die Umbaumassnahmen im Kader, die Ausbootung der Spieler
Für den Neustart wollte Löw auch neue Akteure haben, die alten dagegen in den vorzeitigen Ruhestand schicken. Das war nur konsequent und wäre es auch jetzt noch, wenn er auch nach der EM unbedingt hätte weitermachen wollen.
Der angekündigte Rücktritt vom bis 2022 datierten Vertrag ändert aber schlagartig auch die Strategie für die EM. Löw hätte auf alle Fälle zu seinem Plan und seinem Wort stehen müssen, wenn er seinen Vertrag hätte erfüllen wollen. Das heisst: Eine Rückkehr von Boateng, Hummels und/oder
Es geht ums Wesentliche
Nun geht es für ihn persönlich aber nicht mehr um die Zukunft der Nationalmannschaft - es geht einzig und allein um eine möglichst erfolgreiche EM. Um einen würdigen Abschluss einer langen und erfolgreichen Karriere als Bundestrainer.
Und deshalb steht die Tür für den einen oder anderen Spieler seit Dienstag sperrangelweit offen. Löw muss keine Rücksicht mehr nehmen auf die Schlagzeilen oder dass er als Wendehals eingestuft wird. Er kann nun seine Entscheidung ohne grosses Tamtam revidieren, vielleicht darauf verweisen, dass sie etwas zu früh getroffen wurde.
Er hat die Gemengelage mit seinem angekündigten Rückzug massiv entzerrt und damit auch viel Druck rausgelassen. "Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen grossen Motivation, was das bevorstehende EM-Turnier angeht", wird er in der Mitteilung des DFB zitiert.
"Stolz, weil es für mich etwas ganz Besonderes und eine Ehre ist, mich für mein Land zu engagieren. Und weil ich insgesamt fast 17 Jahre mit den besten Fussballern des Landes arbeiten und sie in ihrer Entwicklung begleiten durfte."
Für diese Entwicklung wird ab dem Sommer ein anderer zuständig sein, also muss Löw fortan keine Rücksicht mehr nehmen auf Planspiele, die er nach dem Turnier selbst hätte verfolgen müssen. Das beginnt in der Vorbereitung auf die EM, die nun nicht mehr flankiert sein wird von den immer gleichen Fragen nach seiner Zukunft. Es setzt sich fort bei der Kadernominierung und endet dann in den Wochen im Juni und vielleicht auch noch Juli, wenn er frei und rein ergebnisorientiert arbeiten kann. Womöglich bietet seine Entscheidung deshalb auch die einzige Chance, mit einer qualitativ nicht so guten Mannschaft doch etwas zu erreichen.
Joachim Löw hat 189 Spiele als Bundestrainer gecoacht, seine Bilanz ist mit 120 Siegen und nur 31 Niederlagen herausragend gut. Kein anderer Trainer vor ihm hat so viele WM- und EM-Spiele absolviert, insgesamt sind es bisher 34 - gewonnen hat er davon 23. Vielleicht kommen schon bald noch ein paar mehr dazu. Und falls nicht, falls die Franzosen, Portugiesen und auch die Ungarn sich als zu stark erweisen sollten, dann wird er nicht mit Schimpf und Schande hinausgejagt nach einem möglichen Vorrunden-Aus.
Verwendete Quelle:
- dfb.de: "Joachim beendet nach EURO seine Tätigkeit als Bundestrainer"
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