Torhüter Bernd Leno dürfte sich mit seiner Absage an Bundestrainer Julian Nagelsmann künftig wohl um einen Platz im DFB-Kader gebracht haben. Die aktuellen Aussagen zeigen: Spieler und Trainerteam haben verschiedene Vorstellungen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Bernd Leno sorgte im Rahmen der aktuellen Länderspielpause für Schlagzeilen – jedoch nicht aufgrund seiner Leistungen zwischen den Pfosten, sondern vielmehr wegen einer Aussage abseits des Platzes.

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Denn für die beiden Nations-League-Spiele der deutschen Nationalmannschaft gegen Bosnien-Herzegowina (11. Oktober, 1:2) und die Niederlande (14. Oktober, 1:0) hatte der 32-Jährige dem Bundestrainer wegen mangelnder Aussicht auf Spielzeit kurzerhand abgesagt.

"Sie haben mir gesagt, dass ich dabei wäre, aber kein Spiel bekomme. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, in London zu trainieren."

Bernd Leno über seine DFB-Absage

Er habe mit Nagelsmann und Torwarttrainer Andreas Kronenberg telefoniert, im Gespräch wurde ihm mitgeteilt, dass er für die beiden kommenden Spiele lediglich als Nummer drei eingeplant sei. "Sie haben mir gesagt, dass ich dabei wäre, aber kein Spiel bekomme. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, in London zu trainieren", erklärte der Torwart des FC Fulham gegenüber der "Bild"-Zeitung.

Zuvor herrschte aufgrund der Nicht-Nominierung von Leno Unverständnis bei vielen Experten. Unter anderem Fredi Bobic und Ex-DFB-Torwart Roman Weidenfeller kritisierten die vermeintliche Entscheidung Nagelsmanns, auf Leno zu verzichten und stattdessen Janis Blaswich von RB Salzburg zu nominieren. Durch die Aussagen Lenos stellte sich dann aber heraus, dass der Bundestrainer durchaus vorhatte, Leno für die beiden Spiele mitzunehmen.

Was bei der Erklärung von Leno auffiel: Neben reichlich Selbstbewusstsein schwang auch etwas Unmut mit. "Julian weiss, dass ich natürlich immer da bin, wenn sie mich brauchen und ich dem Team wirklich weiterhelfen kann", sagte der neunmalige Nationalspieler – und schob etwas bitter hinterher: "Ich bin mit mittlerweile 32 Jahren kein Newcomer mehr, habe nie Ansprüche hinter Manuel (Neuer, Anm.d.Red.) und Marc (ter Stegen, Anm.d.Red.) gestellt, sondern immer abgeliefert und nie Sprüche geklopft."

Kimmich und Nagelsmann zeigten wenig Verständnis

Die offizielle DFB-Absage von Leno sorgte für Kritik, auch innerhalb des Teams. Kapitän Joshua Kimmich etwa kommentierte die Entscheidung des Torhüters auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag eher zurückhaltend – zeigte jedoch auch kein Verständnis: Grundsätzlich müsse es immer ein Privileg sein, etwas "ganz Besonderes", in die DFB-Auswahl berufen zu werden. "Wenn einer nicht dabei sein möchte, muss er nicht kommen", sagte Kimmich.

Deutlicher äusserte sich da Nagelsmann selbst: "Bernd hat sich so entschieden. Es macht die Tür nicht zu, aber sie ist auch nicht weiter aufgegangen", erklärte der Bundestrainer sichtlich angesäuert am vergangenen Donnerstag im bosnischen Zenica. "Bernd ist ja jetzt keine 25 Jahre mehr, sondern er hat auch eine gewisse Reife, Dinge zu bewerten. Und wenn er sie so bewertet, darf er das gerne für sich machen."

In Bezug auf die Berufung ins Nationalteam äusserte sich Nagelsmann ähnlich wie zuvor schon Kimmich: Eine Nominierung ins DFB-Team ist eine Ehre. Es wird deutlich, was Nagelsmann vom Fulham-Keeper erwartet hätte: Eine Zusage für die Länderspiele im Oktober – egal, ob er am Ende erster, zweiter oder dritter Torwart ist.

Oliver Baumann und Bernd Leno
Oliver Baumann (l.) befindet sich im aktuellen DFB-Aufgebot, Bernd Leno sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann jedoch wegen mangelnder Aussicht auf Spielzeit ab. © IMAGO/Bernd Feil/M.i.S.

Nagelsmann erklärte weiter, dass er die Forderungen von Leno – nämlich einen Einsatz gegen Bosnien-Herzegowina oder die Niederlande – nicht erfüllen konnte. "Deswegen hat er von mir eine sehr interessante Perspektive aufgezeigt gekriegt, die nicht in der Kurzfristigkeit liegt, sondern in der Mittelfristigkeit. Damit war der Spieler aber nicht so zufrieden, dass er sich dazu entschieden hat, jetzt nicht zu kommen."

Details dazu nannte Nagelsmann zwar nicht, doch auch DFB-Sportdirektor Rudi Völler sprach zuletzt von einer mittelfristigen Perspektive. "Das Einzige, was Leno nicht richtig verstanden hat, ist, dass er (Nagelsmann, Anm.d.Red.) ihm schon eine Perspektive gegeben hat", sagte Völler in der Sendung "Bild Sport" bei Welt TV.

Der Bundestrainer habe ihm zwar keine Perspektive für die beiden Länderspiele im Oktober gegeben, sagte Völler weiter. "Da hat er ihm klar kommuniziert, dass er nicht zum Einsatz kommen wird. Aber mittelfristig schon. Das weiss ich von Julian, als ich mit ihm gesprochen habe."

Nübel und Baumann feiern DFB-Debüt

Was Leno so stört: Nachdem er jahrelang den Status als Nummer drei hinter Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen innehatte, hatte er wohl erwartet, nach dem DFB-Karriereende von Neuer und der schweren Verletzung von ter Stegen zumindest zur Nummer zwei oder gar temporären Nummer eins aufzusteigen. Auch das machen seine Aussagen in der "Bild"-Zeitung zumindest zwischen den Zeilen deutlich.

Nagelsmann und sein Team hatten jedoch andere Pläne, in Zukunft setzen sie neben ter Stegen vor allem auf Alexander Nübel, der gegen Bosnien-Herzegowina zum ersten Mal zwischen den Pfosten stehen durfte. Gegen die Niederlande feierte Oliver Baumann zudem sein DFB-Debüt.

Der 34-jährige Baumann, sechs Jahre älter als Torwart-Kollege Nübel, hat im internen Torhüter-Ranking aktuell sogar etwas die Nase vorne. "Die aktuelle Saison ist Olli einen Tick stärker als Alex", sagte Nagelsmann nach dem 1:0-Sieg gegen die Niederlande. Aber Fussball ist ein Tagesgeschäft. "Ich bin kein Hellseher und weiss nicht, wie ihre Performance in den nächsten Wochen weitergeht."

Nächste Länderspiele Mitte November – mit Leno?

Ob der Bundestrainer und Leno nochmal zusammenkommen werden? Nach den Aussagen von Nagelsmann erscheint das zumindest aktuell eher unwahrscheinlich. Vieles deutet darauf hin, dass der Bundestrainer auch für die nächsten Länderspiele Mitte November wieder mit dem Torwart-Trio Nübel, Baumann und Blaswich planen wird. Nach der Rückkehr von ter Stegen dürfte Blaswich dann wieder aus dem Aufgebot fallen, für Leno würde dann wohl hinter Baumann und Nübel weiterhin kein Platz bleiben.

Eventuell hat Leno bei seiner Entscheidung zu kurzfristig gehandelt, vielleicht war die Absage aber auch wohlüberlegt. Was jedoch feststeht: Mit seiner – vielleicht etwas trotzig anmutenden – Absage könnte sich Leno möglicherweise um eine Perspektive im Nationalteam gebracht haben. Gerade im Hinblick auf die WM 2026 wäre das für den 32-Jährigen besonders bitter.

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