Manuel Neuers eindeutige Replik auf Marc-André ter Stegens Aussagen kam für die meisten Betrachter überraschend. Dabei verfolgen dessen Worte ein klares Ziel - und unterstreichen Neuers Position als Anführer im DFB-Team.

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Wenn der Chefdiplomat sich selbst in den vorübergehenden Ruhestand versetzt, und dieser Funktionär dann zufällig noch Manuel Neuer heisst, horchen die Fussball-Fans im Land auf.

Am Samstagabend hat Neuer, ansonsten ein eher zurückhaltender und mit Bedacht antwortender Interviewpartner, direkt nach dem Spitzenspiel zwischen seinen Bayern und RB Leipzig für ziemlich klare Verhältnisse gesorgt.

Am "Sky"-Mikrofon hat sich der 33-Jährige zu den Ausführungen seines Rivalen Marc-André ter Stegen geäussert und das auf eine für Neuer-Verhältnisse sehr direkte und unmissverständliche Art.

Neuer ärgert sich über Aussagen von ter Stegen

"Er hat bei der Nationalmannschaft nichts gesagt. Ich weiss nicht, ob uns das hilft. Wir sind eine Mannschaft und sollten alles dafür tun, dass wir als Mannschaft auftreten. Auch wir Torhüter müssen zusammenhalten", sagte Neuer also in Anspielung auf ter Stegen, der in der vergangenen Woche am Rande einer Werbeveranstaltung in Spanien für Aufsehen gesorgt hatte.

"Es ist nicht einfach, eine Erklärung für das zu finden, was ich erlebe. Ich gebe in jedem Spiel mein Bestes, um die Entscheidung zu erschweren. Ich versuche trotzdem alles, aber diese Reise mit der Nationalmannschaft war ein harter Schlag für mich", hatte der Torhüter des FC Barcelona da gesagt.

Ter Stegen fristete sowohl im EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande als auch wenige Tage danach beim dann noch wichtiger gewordenen Spiel in Nordirland ein Dasein als Reservist - obwohl ihm vom Bundestrainer ein Einsatz gegen die Nordiren in Aussicht gestellt worden war.

Neuer "endlich" der Führungsspieler?

Spätestens seit Samstagabend laufen die Debatten auf Hochtouren. Wie herausfordernd darf ein Herausforderer sein? Wie scharf darf die Replik darauf sein? Muss das jetzt alles öffentlich ausgetragen werden? Kommt da ein veritables Problem auf die Nationalmannschaft zu?

Und dann ist da noch natürlich die in Deutschland offenbar unumgängliche Frage nach dem Führungsspieler und wie sich dieser zu verhalten hat. Einer, der es wissen muss, hat sich gleich wenige Stunden nach Neuers Positionierung dazu geäussert.

"Als er darauf angesprochen wurde, habe ich endlich diesen Führungsspieler gesehen. Ich fand es sehr gut", kommentierte Michael Ballack im Sport1-Doppelpass am Sonntag die Aussagen von Neuer und fand: "Das hätte er schon früher machen können."

Anfang des Jahrtausend wuchs Ballack selbst zum so genannten Führungsspieler in der Nationalmannschaft heran, ungewollt, wie er immer wieder betonte. Nur: Es gab damals keinen anderen Spieler auf Weltklasseniveau, weshalb Ballack diese Rolle automatisch zufiel und er sie dann auch zu gerne annahm.

Ballack lobt ter Stegens Verhalten

Immerhin unterstreicht so eine Position nicht nur den sportlichen Wert eines Spielers für die Mannschaft, sondern macht ihn auch zum Wortführer und damit Lenker einer Gruppe.

Die spezielle Beziehung zwischen Neuer und ter Stegen nimmt Ballack gar nicht als so prekär wahr: "Es gab in der Nationalmannschaft schon Konstellationen, die weitaus kritischer waren."

Stattdessen lobte Ballack ter Stegens Verhalten in den Wochen und Monaten vor der WM in Russland im vergangenen Jahr. "Marc-Andre hat sich in einer Phase, in der Manuel verletzt war und es Spekulationen um seine Rückkehr und Form gab, zurückgehalten und hat sich sehr loyal verhalten."

Aber auch der ehemalige DFB-Kapitän deutete ein paar zwischenmenschliche Komplikationen an, die es im WM-Quartier in Watutinki gegeben habe - ohne allerdings konkreter darauf einzugehen: "Vielleicht gab es intern, zwischen den Zeilen, ein paar Spannungen..."

Spannungen und Grüppchenbildung

Während des Turniers und vor allen Dingen nach dem blamablen Ausscheiden in der Gruppenphase gab es immer wieder Gerüchte um ein gestörtes Betriebsklima innerhalb der Mannschaft, um Grüppchenbildungen, Alt gegen Jung, die Weltmeister 2014 auf der einen, die aufstrebende Generation auf der anderen Seite.

Auch unter den Alphatieren gab es Stress, Mats Hummels und Sami Khedira sollen aneinander geraten sein, das überaus selbstbewusste Auftreten von Toni Kroos soll immer wieder Stein des Anstosses gewesen sein.

Damals war von Manuel Neuer zumindest in der Öffentlichkeit wenig zu hören. Neuer war ja nach einer Schulterverletzung quasi bis zum Eröffnungsspiel gegen Mexiko das grosse Fragezeichen. In der Frage, ob und wie fit Neuer war, schien das grösste Konflikt- und Problempotenzial der Mannschaft zu liegen.

Neuer schaffte es rechtzeitig zurück und verdrängte den legitimen Nachfolger und Ersatztorhüter ter Stegen auf die Bank. Aus sportlicher Sicht erwies sich Neuers Rückkehr am Ende noch als kleinstes Problem, die Nummer eins traf am Ausscheiden keine Schuld. Allerdings vermochte es Neuer in seiner Funktion als Kapitän offenbar auch nicht, die in kleine Splitterparteien zerfallene Mannschaft intern zu einen.

Teamgeist soll über allem stehen

Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet kommt Neuers Vorpreschen gar nicht mehr so überraschend. Zum einen geht es ganz konkret um seine Position, seine Stellung im Team, seine Aussicht auf das vielleicht schon letzte grosse Turnier im Kreise der Nationalmannschaft. Da ist es nur zu verständlich, dass er als Platzhirsch sein Revier auch entsprechend absteckt.

Und zum anderen gilt es im Hinblick auf die Europameisterschaft im kommenden Jahr die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden. Neuer wird ter Stegens Intention verstehen, er war ja selbst einst der Herausforderer. Aber ein starker Teamgeist verträgt Alleingänge ebenso nur schwerlich wie dauerhafte Forderungen Einzelner - da muss ein Kapitän dann auch einmal einschreiten. Zur Not eben öffentlich, um den grösstmöglichen Effekt zu erzielen.

Neuer zieht Vergleich zu Handball-Torhütern

Um seine Worte noch mit Beispielen zu unterfüttern, nannte Neuer ganz bewusst die aktuelle Doppelspitze im Kampf um die Nummer drei im deutschen Tor. "Wir haben super Torhüter, die jetzt - das sage ich mal in Anführungsstrichen - dahinterstehen. Wir haben einen Kevin Trapp oder einen Bernd Leno. Das sind alles Torhüter, die natürlich spielen wollen, aber eben auch oft auf der Bank sitzen. Doch wir sind eine Mannschaft. Das kenne ich vom Handball: Da muss man zusammenhalten, da müssen auch die Torhüter zusammenhalten."

Der Vergleich mit den Handball-Kollegen hinkt zwar gewaltig, schliesslich lässt sich ein Torhüter da einfach aus- und wieder einwechseln, was beide - oder alle drei - Vertreter binnen Sekunden zu wichtigen Figuren machen kann.

Neuers grundsätzliche Intention dürfte aber klar sein: Den ohnehin schon schwierigen Neuaufbau bei der Nationalmannschaft sollen Nebengeräusche nicht auch noch zusätzlich belasten. Dafür muss man eben auch mal kritischere und lautere Töne anschlagen.

Verwendete Quellen:

  • T-Online.de: Ter Stegen will Neuer verdrängen - "Aber nicht um jeden Preis"
  • Sport1.de: Doppelpass - Ganze Folge mit Michael Ballack und Fredi Bobic
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