Die DFB-Frauen verlieren mit 1:2 gegen Italien und zahlen dabei viel Lehrgeld. Bundestrainer Christian Wück muss die Findungsphase im kommenden Jahr beenden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Wir sind in einer Findungsphase. Wir wollen die Mannschaft kennenlernen", sagte Christian Wück nach der 1:2-Niederlage gegen Italien der "Sportschau". Es ist ein bitterer Jahresabschluss für die DFB-Frauen, die auch in der zweiten Länderspielpause unter ihrem neuen Trainer auf einen Sieg eine Niederlage folgen lassen.

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Immerhin, so erklärte es Wück, wisse man, woran es lag: "Es lag nicht an den Italienerinnen, sondern es lag ganz klar an uns." Zwei Geschenke verteilten die Deutschen an ihre Gäste. Das 0:1 entstand nach einem Ballverlust von Sarai Linder, der spätere Siegtreffer der Italienerinnen resultierte aus einem Dribbling von Torhüterin Ena Mahmutovic, die die Situation unterschätzte und unfreiwillig das Gegentor auflegte.

Wück bemühte sich in seiner Analyse darum, möglichst abwägend zu sein. Einerseits unzufrieden mit den Fehlern und dem Ergebnis, andererseits verständnisvoll und den Prozess wertschätzend. Intern wird er vermutlich schärfer analysieren. Wie schon England und Australien zuvor zeigte auch Italien einige klare Schwachstellen auf.

Die Defensive der DFB-Frauen wackelt

Einige davon bestehen schon länger. Beispielsweise die Anfälligkeit in der Defensive. Unter Horst Hrubesch stand man insgesamt tiefer, aber nicht unbedingt sicherer. Auch dort kassierten die Deutschen regelmässig viel zu einfache Tore.

Individuelle Fehler wie der von Linder, die auf ungewohnter Position agierte, sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass es an Tempo und auch an Qualität fehlt. Deutschland hat viele gute und wenige sehr gute Verteidigerinnen. Weltklasse verkörperte in den letzten Jahren aber nur Marina Hegering, wenn sie fit war.

Die Wolfsburgerin hat ihre Karriere beim DFB allerdings beendet und andere Spielerinnen müssen nun mehr Verantwortung übernehmen. Wück trifft hier auf ein Dilemma: Einerseits will er, dass sein Team gegen den Ball hoch und druckvoll anläuft, andererseits fehlen hinten Tempo und Antizipation.

Hundertprozentig auflösen lassen wird sich das Problem wohl nicht. Es wird darum gehen, das Pressingverhalten von der Defensive bis nach vorn in den Angriff zu optimieren und so die Situationen zu reduzieren, in denen man hinten in Gleichzahl verteidigen muss.

Bundestrainer Christian Wück
Bundestrainer Christian Wück muss im kommenden Jahr sein Team für die EM im Sommer finden. © IMAGO/Maximilian Koch

Das hohe Pressing der Deutschen funktioniert gut

Denn trotz der Probleme in der Abwehrkette muss man festhalten, dass das offensive Pressing gut funktioniert, wenn es konsequent angewendet wird. Italien bot Deutschland einige Ballverluste an, aus denen zu wenig gemacht wurde.

Ausserdem konnte der Ball so vor allem im zweiten Durchgang gut vom eigenen Tor weggehalten werden. Wenn das Team aktiv und druckvoll ist, hat es auch dominante Phasen im Spiel. Für den Bundestrainer das klare Signal, dass der eingeschlagene Weg funktionieren kann.

Letztendlich kann und wird das hohe Pressing paradoxerweise aber beides sein: Teil des Problems und Teil der Lösung. Wenn man es schafft, die Bälle in die Tiefe durch gutes Anlaufen zu verhindern, ist es die Lösung, um möglichst wenig defensiv zuzulassen. Zum Problem wird es, wenn das nicht gelingt und die Schwächen der Verteidigerinnen somit stark entblösst werden.

Dass tiefer verteidigen keine Pauschallösung sein kann, zeigte aber die Zeit unter Hrubesch, in der man ebenfalls nur selten zu Null spielte. Ist das hohe Pressing also häufiger Lösung als Problem, sind die DFB-Frauen auf dem richtigen Weg.

Vivien Endemann konnte auf der Aussenbahn noch nicht gänzlich überzeugen.
Vivien Endemann konnte auf der Aussenbahn noch nicht gänzlich überzeugen. © IMAGO/Fotostand/Fantini

DFB-Frauen: Fehler sind wichtig für den Fortschritt

Umso wichtiger ist es für Wück und das Team, jetzt Fehler zu machen. Es war kaum davon auszugehen, dass die Veränderung des Spielstils einerseits und die vielen Veränderungen im personellen Bereich andererseits reibungslos ablaufen würden.

Mit Blick auf die anstehenden Turniere ist es wichtig für den Bundestrainer, auch die schlechten Momente seines Teams zu sehen und richtig zu analysieren. "Wenn man nicht auf internationalem Niveau testet, weiss man nicht, wo es hingehen kann mit einer Spielerin", sagte Expertin Almuth Schult: "Man lernt nämlich am meisten aus Fehlern."

Nicht die ersten vier Spiele unter Wück werden darüber entscheiden, ob der Bundestrainer erfolgreich sein wird, sondern der Entwicklungsprozess und die Frage, ob das Team die Fehler in Zukunft abstellen kann.

DFB-Frauen: Christian Wück hat einige Baustellen

In den vier Partien konnte Wück nun zahlreiche Spielerinnen testen und sich anschauen, wer für die kommenden Aufgaben in Frage kommt und wer nicht. Neben einem starken Frankfurter Block unter anderem mit Laura Freigang, Elisa Senss und Sophia Kleinherne überzeugten auch Janina Minge, Cora Zicai, Giulia Gwinn und Linda Dallmann.

Zwar lobte Wück explizit Vivien Endemann, doch auf den Aussen zeigten die Wolfsburgerin und auch Bayerns Klara Bühl zuletzt wechselhafte Leistungen. Die Entscheidungsfindung im letzten Drittel und die fehlende Abschlussstärke führten gegen Italien dazu, dass aus der Überlegenheit zu wenig Ertrag gezogen werden konnte.

Ein Problem gibt es auch im Sturm, wo Lea Schüller nach ihrer Form sucht und Giovanna Hoffmann noch nicht die grosse Lösung zu sein scheint. Der Abgang von Alexandra Popp schmerzt die DFB-Frauen noch sehr.

Interessant wird zudem der Kampf um den Platz zwischen den Pfosten. Ann-Kathrin Berger ist sehr erfahren, doch gerade Stina Johannes und Sophia Winkler konnten zeigen, dass sie auf Augenhöhe mit ihr konkurrieren – und auch die junge Ena Mahmutovic hatte abseits ihres Fehlers gute Momente gegen Italien.

Die Findungsphase muss nun enden

Es war ein gutes Zeichen von Wück an die Spielerinnen, dass er viel rotiert hat und damit auch signalisierte, dass kein Platz unter ihm verschenkt wird. Damit konnte er neue Energie im Team entfachen.

Deshalb waren die Ergebnisse in den ersten vier Partien auch nicht entscheidend. Wichtiger war das Kennenlernen. Zwischen Spielerinnen und Trainer, aber auch das Kennenlernen der Spielweise. Wück hat jetzt gesehen, welche Grenzen es gibt und wer in der Lage ist, den Weg mitzugehen.

Entsprechend muss er im kommenden Jahr schnellstmöglich Entscheidungen treffen und eine Achse finden, die Stabilität bringt. Die Zeit der grossen Rotation sollte dann vorbei sein. Es geht im Jahr 2025 darum, die von ihm ausgerufene Findungsphase zu beenden und erste Entscheidungen mit Blick auf die EM zu treffen.

Der Auftakt war trotz wechselhafter Ergebnisse vielversprechend. Jetzt geht es an den Feinschliff.

DFB-Frauen gegen Italien
Jubel bei den DFB-Frauen, am Ende reichte es gegen Italien dennoch nicht für einen Sieg. © IMAGO/HMB-Media/Hendrik Hamelau
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Teaserbild: © IMAGO/Maximilian Koch