Heute hat der DFB seinen neuen Trainer für die EM 2024 vorgestellt. Schon jetzt steht fest: Julian Nagelsmann ist der grösste Bundestrainer, den Deutschlands Fussballprofis jemals hatten.
Habemus Papam:
Die Erwartungen sind gross. Wann immer der DFB ein grosses Turnier auf eigenem Boden veranstaltete, erreichte die Nationalmannschaft mindestens das Halbfinale. 1974 WM-Sieg (2:1 gegen Holland), 1988 EM-Halbfinale (1:2 gegen Holland), 2006 WM-Halbfinale (0:2 gegen Italien).
Pro & Contra: Unsere Meinung zu Julian Nagelsmanns Verpflichtung
Nagelsmann braucht einen Plan
Nagelsmann bleiben zur Europameisterschaft 2024 (14. Juni bis 14. Juli) ein halbes Dutzend Länderspiele, um seine Ideen in der Mannschaft zu etablieren. Erste Stufe: die USA-Reise Mitte Oktober mit Länderspielen gegen die USA (14. Oktober) und Mexiko (18. Oktober).
Nach dem Österreich-Länderspiel am 21. November weist der DFB-Terminkalender eine Menge Lücken auf. Nagelsmann braucht nicht nur die passenden Testgegner, sobald die EM-Vorrunde am 2. Dezember in Hamburg ausgelost ist. Er braucht: einen Plan.
Die 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland werden so wenig mit Ratschlägen sparen wie die Besserwisser in Expertenrunden und die Kolumnisten im Fever Pit’ch Newsletter. Hilft nur nix: Auf Julian Nagelsmann kommt es an. Was können wir von ihm erwarten?
Hier ist die 10-Punkte-Forderung an Julian Nagelsmann:
- Leistungsprinzip. Die besten Kicker müssen spielen und nicht diejenigen, die sonst Ärger machen. Hansi Flicks Rumeiern mit Kimmich, Goretzka und Gündogan hat die WM gekillt.
- Mannschaftsgerüst. Die Achse von Torwart bis Mittelstürmer sollte zeitnah stehen. Bitte nicht wieder bis zur letzten Minute bangen, dass Neuer fit wird. Dann spielt halt ter Stegen - fertig.
- Teamgeist. Jeder Nationalspieler hat dort zu spielen, wo er für die Mannschaft am nützlichsten ist - und nicht, wo er will. Kimmich auf rechts, wenn’s hilft, und nicht Jojo in der Mitte.
- Konkurrenzkampf. Jede Mannschaft besteht aus elf Spezialisten auf jeder Position. Diese erste Elf muss sich einspielen und von einer Schatten-Elf, Posten für Posten, herausgefordert werden.
- Basics. Die beste Taktik nutzt nichts, wenn sie nicht aufgeht. Ergebnis vor Erlebnis: Völler predigte die einfachen Dinge - und gewann. Nagelsmann darf die Spieler nicht überfordern.
- Standardsituationen. Freistösse und Eckbälle sind der Schlüssel, wenn das Spiel hakt. Bisher hat Spezialtrainer Buttgereit zu wenig geliefert; bei Standards muss mehr kommen.
- Konsequenz. Erst die Amazon-Doku offenbarte, wie leblos die Nationalelf die WM 2022 bestritt. Wenn ein Trainer die Spieler intern nicht erreicht, muss er sie öffentlich anzählen. Sowas hilft.
- Fokus. Deutschland will weder den Kleiderschrank des Trainers kennenlernen noch politische Diskussion führen, sondern: guten Fussball sehen und bestenfalls gewinnen. Nur das zählt!
- Fannähe. Schluss mit dem Eisernen Vorhang beim Training. Lasst die Leute zuschauen, damit sie sehen, wie gearbeitet wird. Überrascht haben wir unsere Gegner sowieso nie.
- Transparenz. Der Bundestrainer wird die Mannschaft nicht mit Handauflegen verbessern. Aber er kann die Öffentlichkeit an seinen Gedanken teilhaben lassen, damit man seinen Weg versteht.
Kein Anlass für Zweckpessimismus
Für Zweckpessimismus gibt es keinen Anlass. Die Nationalmannschaft ist bei den WM-Blamagen 2018 und 2022 und zwischendurch im EM-Achtelfinale 2021 gegen England (0:2) an sich selbst gescheitert und nicht an der Qualität der Gegner.
Womöglich reicht das eigene Leistungsvermögen nicht zum Turniergewinn. Den erwartet auch niemand bedingungslos. Was man sehen will: Leistungsbereitschaft. Die fängt nicht auf dem Rasen an, sondern bei der Diskussion, ob die USA-Reise günstig geplant ist oder nicht.
Jeder hat ja verstanden, dass Borussia Dortmund keine gute Vorbereitung auf das Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen (20. Oktober) machen kann, wenn die Nationalspieler erst am Tag zuvor aus den USA zurückkehren. Aber wem hilft das Gejammer?
Nagelsmann ganz sicher nicht. Der neue Bundestrainer darf jetzt umgekehrt erwarten, dass seine Arbeit nicht ständig von Vereinsinteressen torpediert wird. Hier muss BVB-Geschäftsführer Aki Watzke, in Personalunion DFB-Vizepräsident, seine Dortmunder halt disziplinieren.
Wenn die EM 2024 ein nationales Anliegen sein soll, braucht Nagelsmann Unterstützung und kein Störfeuer. Denn darauf werden potenzielle Nachfolger schauen: Ob den guten Wünschen, die Nagelsmann heute ereilen, auch Tatkraft folgt.
Zur Person:
- Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fussball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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