Seine Punktebilanz macht ihn zum erfolgreichsten Trainer in der Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Doch es steht viel auf dem Spiel in den nächsten Tagen. Für die Schweizer Nationalmannschaft. Und für den Coach. Vladimir Petkovic weiss, wie schnell der Wind drehen kann in diesem unerbittlichen Geschäft. Ein Porträt.

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Vielleicht muss man diese Aussage erwähnen, um sich Vladimir Petkovic zu nähern. "Das Misstrauische steckt tief in mir drin", sagte Petkovic vor ein paar Jahren.

Der 54-Jährige ist sehr weit gekommen mit dieser Einstellung, er ist oberster Schweizer Fussballtrainer, seine Entscheidungen werden in den Medien, an jedem Stammtisch und in vielen Wohnzimmern des Landes debattiert und kritisiert.

Als Nationalcoach steht er genau dort, wo er sich nicht besonders wohlfühlt: im Mittelpunkt. "Ich habe lernen müssen, was es bedeutet, Schweizer Nationaltrainer zu sein", sagt Petkovic. Und: "Das war ein längerer Prozess."

Start im Gegenwind

Seit etwas mehr als drei Jahren ist Vladimir Petkovic im Amt. Nach der WM 2014 in Brasilien beerbte er den Welttrainer Ottmar Hitzfeld, der als "Blick"-Kolumnist eng mit dem Boulevardblatt kooperiert hatte und wegen seiner beeindruckenden Vita als Vereinstrainer respektiert und unantastbar gewesen war. Für die Medien. Für den Stammtisch. Für die Leute zu Hause im Wohnzimmer.

Petkovic fehlte es vorerst an Souveränität, er wurde vor allem vom "Blick" scharf attackiert, nach wenigen Monaten und ungenügenden Resultaten stand er schwer unter Druck. Und er reagierte, wie es seine Art war: verletzt, dünnhäutig, misstrauisch.

So hatte er bereits bei den Berner Young Boys funktioniert, bei denen er 2008 seinen ersten grossen Trainerjob bekam. Petkovic gab sich in schlechten Phasen patzig und genervt, vermutete hinter jeder Ecke einen Gegner, intern und extern, er rieb sich auf, verspielte mit YB den legendären 13-Punkte-Vorsprung auf Liga-Krösus Basel, scheiterte letztlich auch an sich und an seiner anstrengenden Art.

"Ein konstruktives Zusammenarbeiten war nicht mehr möglich", sagte ein leitender Angestellter der Young Boys nach der Entlassung Petkovics im Frühling 2011.

Der Sozialarbeiter

Vladimir Petkovic ist einen weiten, komplizierten Weg gegangen, seit er vor 30 Jahren aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz kam. Zum Kleinklub Chur. Später wurde er im Tessin sesshaft, trainierte in Agno, Lugano und Bellinzona, schuf sich einen Namen als smarter Fussballlehrer, arbeitete nebenbei als Sozialarbeiter.

Die Erfahrungen aus diesem Beruf kommen ihm bei der möglicherweise wichtigsten Kompetenz entgegen, über die ein Trainer verfügen muss: dem Moderieren eines Kaders mit über 20 ehrgeizigen Spielern, von denen sich jeder als Ich-AG gebärdet. Eitelkeiten, Eifersüchteleien, Ehrgehabe inklusive.

Gerade im Schweizer Nationalteam, einer oft gerühmten Multi-Kulti-Truppe, sind Sozialkompetenz und Menschenführung entscheidende Faktoren bei der Teamführung, wobei Petkovic auch seine Herkunft hilft, um die mit vielen Secondos besetzte Auswahl zu dirigieren.

Der angebliche, von einigen Medien herbeigeredete "Balkan-Graben" im Team ist längst kein Thema mehr, Petkovics Personalmanagement überzeugt meistens, er hat seine Mannschaft gefunden, Spirit und Einstellung stimmen.

Die Charmeoffensive

Richtig warm aber wurde die Öffentlichkeit in der Schweiz lange Zeit nicht mit dem oft distanziert wirkenden Petkovic. "Meine Aussendarstellung war nicht ideal", sagt er selber, "ich musste etwas ändern". Vor der Euro 2016 und nach einer kleinen Ergebniskrise der Auswahl lancierte der Schweizerische Fussballverband (SFV) eine Charmeoffensive.

Petkovic erfand sich ein klein wenig neu, plauderte fortan bei den Medienterminen offener, nahm sich mehr Zeit für die Journalisten, kanzelte sie nicht mehr ab, wenn ihm eine Frage nicht gefiel. Und, ein nicht ganz unwesentlicher Faktor für das Gelingen der Imagekampagne: Die Resultate wurden besser.

Die Schweiz spielte eine überzeugende Europameisterschaft, scheiterte unglücklich im Achtelfinal nach Elfmeterschiessen gegen Polen, setzte zu einer überragenden Siegesserie in der folgendenden WM-Qualifikation an, gewann und gewann und gewann, neunmal in Serie – bis zur 0:2-Niederlage vor ein paar Wochen gegen Europameister und Gruppenfavorit Portugal.

In Lissabon stiessen die selbstbewussten Nationalspieler an ihre Grenzen, sie waren mutlos, harmlos, chancenlos. Petkovic nahm den Rückschlag mit Gleichmut auf: "Es war klar, dass wir irgendwann wieder eine Partie verlieren würden. Unser Ziel ist die WM-Qualifikation, und das werden wir erreichen."

Die Topbilanz

Vladimir Petkovic ist heute mit Abstand der erfolgreichste Nationaltrainer, mit einem fantastischen Schnitt von 2,03 Punkten pro Spiel. Abgerechnet aber wird an den grossen Turnieren, das weiss auch Petkovic. Er sagt in seiner unvergleichlich pragmatischen Art: "Vor Resultaten kann man nicht wegrennen."

Das Selbstverständnis der Schweizer "Nati" sieht vor, an einem grossen Turnier endlich einmal den Achtelfinal zu überstehen, am besten gleich an der WM 2018 in Russland. Doch vorher steht am 9. und 12. November die Barrage gegen den unbequemen und leidenschaftlichen Aussenseiter Nordirland auf der Agenda.

Die Schweiz ist das deutlich talentiertere und bessere Team, doch Petkovics Sensoren sind geschärft. Er sagt: "Das werden zwei intensive Kampfspiele. Wir müssen beissen, die Mentalität wird entscheidend sein."

Der Umbau

Überspringt die Schweiz die Hürde Nordirland nicht, steht auch Petkovic wieder heftig im Gegenwind. Über seinen vorzeitig bis Ende 2019 verlängerten Vertrag würde debattiert werden - in Medien und Wohnzimmern wie am Stammtisch.

Dabei hat Petkovic mit klugen Massnahmen längst auch eine sanfte Renovation seiner Belegschaft eingeleitet. "Wir müssen auch an die Zukunft denken", sagt er. "Sind zwei Spieler gleich gut, spielt der jüngere."

So sieht er das, so geht er vor, so hat er sich ein respektables Standing erarbeitet. Er wird nie volksnah sein wie Paul Wolfisberg, Gilbert Gress und Köbi Kuhn. Aber er hat sich von Vorgänger Ottmar Hitzfeld emanzipiert, ist aus dessen riesigen Fussabdrücken getreten. Heute ist er auch in der Deutschschweiz etabliert, sieht seine Arbeit längst nicht am Ende. "Die Perspektive der Mannschaft stimmt", sagt er.

Die Heckenschützen

Das beharrliche Wirken als Selektionär hat Petkovic in der Branche einen guten Ruf verschafft, er wird in Verbindung mit Weltklubs wie Milan (Mailänder Klub der italienischen Serie A) gebracht.

Solche Sachen sind ihm wichtig, denn selbst wenn er sich gerne kühl und souverän gibt, so ist er doch ein sensibler Mensch, der es schätzt, geschätzt zu werden. Vielleicht ist es aber kein Zufall, lebt er im Tessin, also südlich der Alpen, und nicht in Zürich, Basel oder Bern.

Petkovic geniesst gerne das ruhige, schöne Leben, Italien ist nicht weit entfernt, er kleidet sich elegant, seine Wirkung auf Frauen ist nachvollziehbar, er wurde auch schon mit Schauspielerschönling George Clooney verglichen, es sind Zeichen seines Erfolgs.

Doch sein Selbstschutz und sein legendäres Misstrauen sind geblieben, ganz kann er nicht aus seiner Haut. Vor der Partie in Portugal meinte er, all die Siege seien zwar schön, aber es gehe immer weiter. Denn: "Die Heckenschützen lauern."  © swissinfo.ch

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