Den Absturz der Nationalmannschaft rechnen viele Kritiker in erster Linie Teamchef Marcel Koller zu. Das ist aber zu kurz gedacht - auch wenn Koller jetzt zeigen muss, dass er innovativ und mutig sein kann.

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Die Altvorderen haben es ja schon immer gewusst. Das Geschnatter und Gequängele, als Marcel Koller vor fünf Jahren ins Amt verholfen wurde. Ein Schweizer, der das wertvollste Gut des Landes trainiert. Hans Krankl, Herbert Prohaska, Toni Polster, sie alle waren da und schimpfen wie wild über die damalige Entscheidung der ÖFB-Spitze.

Es war ja auch mutig, einen anderen Weg zu beschreiten. Weg von alten Seilschaften, in denen sich Teile der Medien und vormalige Teamchefs schön die Bälle zuspielten und damit ganz gut durchs Leben kamen.

"Koller hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Er hatte das Glück, eine Mannschaft übernehmen zu können, die aus guten Legionären bestand, die aber als Team nicht optimal funktionierten“, sagte Krankl sogar noch, als die Mannschaft drauf und dran war, sich erstmals und überdies ausgesprochen souverän für eine EM-Endrunde zu qualifizieren.

Und ziemlich genau heute vor einem Jahr war Österreichs Fussball so weit oben wie schon lange nicht mehr, einige würden behaupten: wie noch nie. Seitdem ist eine Mange passiert, das meiste davon passte so gar nicht mehr in die ehemalige Erfolgsgeschichte. Österreich scheint wieder auf dem Weg zurück unter jenen Stein, unter dem es herausgekrochen war.

Das Jahr 2016 war ein schlechtes für die österreichische Nationalmannschaft und die Kritik am Teamchef flammt schon längst wieder auf. Die Niederlage im letzten Quali-Spiel gegen Irland lässt die WM-Teilnahme fast aussichtslos erscheinen und der letzte Test vor der Winterpause vor kläglichen 14.000 Zuschauern erinnerte an finstere Zeiten.

Koller hat Fehler gemacht

Koller hat Fehler gemacht. Aber er hat es selbst in der Hand, denen im neuen Jahr entgegenzuwirken. Der Schweizer und sein Trainerteam haben die Aufarbeitung der völlig verkorksten EM auf die leichte Schulter genommen. Am Ende sollten besonders zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein: Zu viele nicht fitte, leistungsschwache Spieler. Und fehlendes Spielglück. Man macht es sich damit aber zu einfach.

Koller hat sich vergraben nach der EM und ist in der Öffentlichkeit seitdem nicht mehr so richtig aufgetaucht. Er hat sich in seine Trutzburg verzogen und bastelt im stillen Kämmerlein an Lösungen für die Misere. Das dürfte aber der falsche Wegs ein, wie die letzte vier, fünf Monate gezeigt haben. Koller muss wieder offensiver werden in seinem Auftreten, vielleicht auch transparenter bei seinen Entscheidungen. Das nimmt Druck vom Kessel und macht seine Arbeit nachvollziehbarer.

Die Nebenkriegsschauplätze, die einige Funktionäre rund um die EM losgetreten haben und die bis heute nicht aus der Welt sind, müssen abgestellt werden. Erst wenn wieder Ruhe rund um die Mannschaft herrscht, ist die Basis für eine erfolgreichere Arbeit wieder gelegt.

Frischer Input von Aussen

Was einigermassen verwunderlich ist beim ÖFB: Die Nationalmannschaft arbeitet offenbar immer noch ohne eine dauerhaft installierte Spielanalyse-Abteilung. Das Gegner- und Spielerscouting fällt in das Ressort des Trainerteams - dabei würde ein Input von aussen ganz neue Sichtweise offerieren und damit womöglich eine andere Herangehensweise an wichtige Themen.

Beim Deutschen Fussball-Bund etwa ist Urs Siegenthaler seit zwölf Jahren angestellt als Scout, der sich um die weichen Faktoren der DFB-Gegner kümmert: Um Land und Leute, die Mentalität der Gegner, klimatische Bedingungen an Spielorten. Aber auch um die klassische Spiel- und Gegneranalyse, die der DFB seit Jahren in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule in Köln betreibt.

Ein oder mehrere externer Zuarbeiter, die zum Teil gar nicht unbedingt aus dem Fussball kommen müssen, würden andere Blickwinkel fast schon garantieren und verkrustete Meinungen im Trainerteam, das ja schon seit Jahren zusammenarbeitet, auch mal wieder aufbrechen und anreichern.

Taktische Gesichtspunkte gilt es natürlich auch zu hinterfragen. Wieso funktioniert das hohe Pressing nicht mehr? Warum verteidigt das Team im Kollektiv nicht mehr geschlossen und über 90 Minuten zuverlässig? Koller hat trotz des anhaltenden Misserfolgs stur an seiner grundsätzlichen Spielidee festgehalten. Man kann nicht erwarten, dass sich etwas zum Besseren ändert, wenn man stets nur dasselbe macht.

Neue Ideen und Wege

Hier ist Koller gefragt, neue Ideen zu entwickeln und auch das dafür entsprechende Personal auszuwählen. Die Aufgeregtheit rund um einzelne Spieler, um David Alaba, Zlatko Junuzovic, Marko Arnautovic, muss wieder in den Hintergrund rücken. Wobei - Stichwort "Dinge ändern“ - vielleicht ein Versuch mit Alaba auf der linken Verteidigerposition gar nicht die schlechteste Idee wäre.

Österreichs Nationalmannschaft wurde in der fragwürdigen Weltrangliste unter den Top Ten geführt. Das hat einigen den Blick auf das Wesentliche vernebelt, vielleicht auch einigen Spielern den Kopf verdreht. Es hat die Diskrepanz zwischen Weiss und Schwarz auf ein neues Niveau getrieben. Deshalb ist die Fallhöhe im Moment auch so enorm. Ein normales Mittelmass in der Beurteilung täte Not.

Vielleicht ist der Absturz light jetzt auch gar nicht schlecht, um sich wieder zu sammeln und neue Wege zu beschreiten. Mit dem Trainer Marcel Koller. Die Altvorderen müssen das verstehen.

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