Das Vorhaben der Polizei, in Nordrhein-Westfalen bei Fussballspielen im Rahmen eines Pilotprojekts weniger Präsenz zu zeigen, hat hohe Wellen geschlagen. Fanforscher Gunter A. Pilz erklärt im Gespräch mit unserem Portal, weshalb er die Idee - trotz aller Kritik von Seiten der Vereine - für äusserst sinnvoll hält.
Immer wieder wird diskutiert über Gewalt im Stadion. Viele glauben, die logische Konsequenz wäre mehr Polizeipräsenz. NRW geht den umgekehrten Weg. Was halten Sie von dem Pilotprojekt?
Gunter A. Pilz: Ich glaube, dass das genau der richtige Weg ist - vorausgesetzt, er wird begleitet von einer intensiven Bemühung um Dialog und Gespräche mit den Fans. Also die Gleichung "Mehr Polizei ist gleich mehr Sicherheit", die geht nicht auf. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass das sogar ins Gegenteil schlagen kann. Mehr Polizei heisst auch mehr Probleme. Aus zwei Gründen: Einmal fühlen sich Fans und auch Unbeteiligte durch grosse Polizeieinsätze provoziert. Zum anderen gibt es sogenannte Solidarisierungseffekte der friedlichen Fans mit den gewaltbereiten gegen die Polizei. Und insofern ist es sicherlich eine richtige Strategie, die Zahl der Einsatzkräfte runterzufahren, aber gleichzeitig das Ganze mit verstärkter Kommunikation zu paaren.
Es gibt Beispiele, die belegen, dass das funktioniert. In Hannover kommen schon seit Jahren Konfliktmanager, die die Fans begleiten, zum Einsatz. Dort gibt es nachweislich, auch bei Hochrisikospielen, erheblich weniger Probleme mit den Fans.
Nach der Veröffentlichung des Vorhabens wurden viele Stimmen laut, die befürchten, das Konzept gefährde unbeteiligte Fans. Verfeindete Gruppen würden sofort aufeinanderprallen. Wie hoch ist diese Gefahr tatsächlich einzuschätzen?
Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Es gibt ja auch Beispiele, die zeigen, dass dann, wenn Polizei da ist, sich die Fans besonders stark fühlen. Denn dann wissen sie, sie werden geschützt. Es wird tatsächlich mehr provoziert, wenn zwischen gegnerischen Anhängerschaften noch ein Polizeikorps steht. Wenn die Polizei nicht mehr da ist, wird sich schnell zeigen, dass die Fans sich mehr zurückhalten, um sich nicht selbst zu gefährden.
Ein Hooligan hat einmal zu mir gesagt: "Wenn wir aufeinandertreffen, ohne Polizei, dann sind wir selbst für Regulierungsmassnahmen verantwortlich. Dann halten wir uns zurück, dann wird nicht draufgetreten, wenn jemand am Boden liegt. Ist die Polizei aber da, dann ist das deren Aufgabe, mich zu bremsen." Wörtlich hat dieser Hooligan gesagt: "Wenn es Tote gibt und die Polizei ist da, dann ist die Polizei verantwortlich. Denn sie hätte mich daran hindern müssen."
Auch die Manager einiger Fussballvereine haben heftige Kritik an dem Konzept geübt. Finden Sie das gerechtfertigt?
Um es mal ganz einfach zu sagen: Was im Stadion passiert, liegt eigentlich in der Verantwortung der Vereine. Die haben das Hausrecht und die müssen für Ordnung sorgen. Die Polizei hat im Stadion nichts zu suchen.
Wenn man sich einmal die letzten Jahre anschaut, in denen es wirklich zu massiven Auseinandersetzungen in den Fanblöcken gekommen ist, dann war das immer gepaart mit Polizeieinsätzen. Sobald die Polizei in den Block gegangen ist, haben massive Solidarisierungseffekte stattgefunden und die Probleme erhöht. Ausserdem sind die Vereine inzwischen, was Ordner angeht, so gut ausgestattet, dass man die Polizei im Stadion einfach nicht mehr braucht. Wenn es tatsächlich zu Straftaten kommt, kann man die Polizei natürlich reinholen.
Das ist kein Argument gegen die Polizei, sondern das ist einfach eine Frage der Reaktion von Fans auf Polizeieinsätze. Viele Anhänger haben ein ausgeprägtes Feindbild von der Polizei und insofern ist man gut beraten, wenn die Polizei im Stadion nicht eingreift.
Ich muss also in Zukunft keine Angst haben, auch als Familie mit Kindern ins Stadion zu gehen?
Das musste man noch nie haben! Weder in NRW noch in den anderen Bundesländern. Das sind alles Märchen. Stadien sind Hochsicherheitstrakte durch Videoüberwachung, Ordnungsdienste und Volunteers. Familien können absolut unbeschadet ins Stadion gehen.
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