Lothar Matthäus hat im August als Trainer der U13 beim TSV Grünwald aufgehört. Die Eltern seiner Schützlinge hatten ihn entnervt. Doch wie schlimm sind die Erziehungsberechtigten von kleinen Fussballerinnen und Fussballern wirklich? Und was wird getan, damit das Miteinander funktioniert?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Irgendwann hatte Lothar Matthäus genug. Der Rekordnationalspieler hatte keinen Spass mehr als U13-Trainer beim TSV Grünwald. Er hörte auf. Der Auslöser waren - laut Matthäus' Aussage - die Eltern der Kinder, die er gecoacht hatte. Beschwerden, Einmischungen, SMS oder Anrufe von 7 Uhr morgens bis Mitternacht – die Liste der Unzumutbarkeiten war lang. Zu lang für Matthäus. Ein prominenter Einzelfall? Schon seit Jahren haben Eltern im Kinder- und Jugendfussball einen schlechten Ruf. Doch wie sieht die Realität aus?

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Auf rund zehn Prozent beziffert Oliver Zeppenfeld, Abteilungsleiter Beratung & Entwicklung beim Fussball-Verband Mittelrhein, im Gespräch mit unserer Redaktion den Teil der Eltern, der negativ aus dem Rahmen fällt. Der sich also einmischt, übereifrig, übermotiviert, überfürsorglich oder gar verbal ausfällig ist.

Selten kommt es sogar vor, dass Spiele wegen des Fehlverhaltens von Erwachsenen, also von Trainern, Betreuern oder eben Eltern, abgebrochen werden. Und das passiert "nie, weil sich Kinder nicht einig werden. Die finden immer Lösungen", sagt Zeppenfeld.

80 Prozent verhalten sich vorbildlich

Die erwähnten zehn Prozent sind jedoch nur eine vergleichsweise kleine Gruppe, die in Vereinen für Probleme sorgt. Rund 80 Prozent der Eltern "engagieren sich vorbildlich, nehmen auch Anregungen der Vereine und der Trainer wahr, unterstützen ihre Kinder", betont Zeppenfeld, der zudem klar sagt: "Kinder- und Jugendfussball ist ohne engagierte Eltern nicht möglich."

Die Erziehungsberechtigten machen Waschdienste, springen für Trainer ein, sorgen für das Catering, die Anfahrt zu den Spielen oder übernehmen sonstige Organisationsdienste. Und sie unterstützen den Nachwuchs, ohne ihn zu sehr zu fordern und damit zu überfordern.

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Dass die restlichen zehn Prozent der Eltern gar kein Interesse zeigen am Hobby des Kindes, ist in der breiten Öffentlichkeit kaum ein Thema. Helikoptereltern oder desinteressierte Erziehungsberechtigte – was ist da schlimmer? "Die Frage ist berechtigt, aber was davon das Schlimmere ist, sei mal dahingestellt. Beides ist nicht wünschens- und empfehlenswert", meint Zeppenfeld.

Störende Krawallgruppe sorgt für Stör- und Stressfaktor

Auffälliger und störender ist in jedem Fall die "Krawallgruppe". Sie sorgen für Stress, nicht nur bei Verein, Trainer und Mannschaft, sondern vor allem bei den eigenen Kindern, die mit dem Verhalten ihrer Eltern oft unnötig unter Druck gesetzt werden. Und das wohlgemerkt im Breitensport. Also dort, wo Fussball einfach nur Spass machen soll.

"Eltern haben oft eine sehr, sehr andere Position in der Wahrnehmung und in der Einschätzung ihrer Kinder", so Zeppenfeld. Sie hätten ihre Emotionen dann auch schon mal nicht so unter Kontrolle, "stellen Forderungen, als sei man der Berater im schlechtesten Sinne des Begriffs, indem man alle anderen rechts und links liegen lässt und egoistisch die persönlichen Ziele des Kindes in den Vordergrund stellt".

Fehlverhalten hat zugenommen

Dieses Verhalten ist für Zeppenfeld, der seit über 20 Jahren im Kinder- und Jugendfussball tätig ist, nicht neu. "Das gab es schon immer", sagt er. Die Gründe für das Verhalten sind vielfältig. Der Vater, der seine verpasste Profikarriere mit seinem Sohn nachholen will, gilt als Klassiker. Es gibt aber auch Eltern, die vom grossen Geld träumen. Oder es gibt Eltern, die generell die gestiegene gesellschaftliche Wahrnehmung des Fussballs nutzen wollen.

"Verbunden mit einer Wertschätzung in unterschiedlichen Formen", erklärt Zeppenfeld. "Das können finanzielle Formen sein. Mittlerweile gibt es Möglichkeiten, noch viel, viel mehr Geld zu verdienen als noch vor 20 Jahren. Und damit ist auch eine existenzielle Absicherung möglich." Hinzu komme die gesellschaftliche Wahrnehmung, so Zeppenfeld: "Mittlerweile gibt es selbst in unteren Spielklassen vermeintliche 'Stars', die eine entsprechende Wertschätzung erfahren und sich teilweise über Social Media selbst auch als Stars darstellen."

Viele Möglichkeiten

Was also kann man tun gegen eine ungute Einmischung der Eltern? Inzwischen werden verschiedene Massnahmen umgesetzt. So müssen Eltern seit über zehn Jahren bundesweit im Kinderfussball – im Rahmen der sogenannten FairPlayLiga - einen Mindestabstand von 15 Metern zum Spielfeld einhalten, "weil eine räumliche Distanz womöglich auch die emotionale Betroffenheit der Eltern verringert", sagt Zeppenfeld. Positiver Effekt für die Kinder: "Sie nehmen den Einfluss der Eltern und den damit verbundenen Druck nicht so wahr."

Dazu gibt es Fair-Play-Karten des DFB ("Fair bleiben, liebe Eltern"), mit Tipps auf der Rückseite für ein faires Verhalten abseits des Platzes. "Weil viele Eltern häufig gar nicht wahrnehmen, dass sie mit ihrem auffälligen, lauten, respektlosen Verhalten das Spiel der eigenen Kinder stören", so Zeppenfeld. Deshalb sind auch die Vereine noch mehr gefordert, auf die Vorbildfunktion der Eltern hinzuweisen und hinzuarbeiten.

Hilfreich sind offenbar auch die neuen Spielformen, die im Kinderfussball eingeführt wurden. Also weg vom Meisterschaftsmodus und nackten Ergebnissen, hin zu kleineren Teams und kleineren Spielfeldern sowie dem Fokus auf dem Spass am Spiel. "Es gab Rückmeldungen, dass sich das Verhalten der Eltern extrem harmonisiert habe. Es ist so viel mehr ein Miteinander geworden, dass es positive Auswirkungen auf die Eltern hatte", erzählt Zeppenfeld.

Elternbeauftragte in Nachwuchsleistungszentren

In den Nachwuchsleistungszentren haben auch die grösseren Klubs erkannt, dass ein Miteinander nötig ist, weil die Ansprüche und Erwartungen der Eltern im Übergang vom Breiten- zum Leistungssport noch einmal ganz andere sein können. Schliesslich sind bei diesen Klubs die Kinder untergebracht, die höhere Karriere-Ambitionen haben.

Der DFB hat deshalb in seinen Richtlinien festgelegt, dass jedes Nachwuchsleistungszentrum einen Elternbeauftragten einstellen muss. Begleitend dazu gibt es eine 40-seitige Broschüre, die die Sportpsychologinnen Valeria Eckardt und Babett Lobinger in Zusammenarbeit mit der DFL und dem DFB verfasst haben. "Gerade in leistungsorientierten Vereinen sind ehrgeizige Eltern manchmal sogar besonders wahrnehmbar", weiss Zeppenfeld. "Weshalb es grundsätzlich wichtig ist, die Eltern schon früh einzufangen, mitzunehmen und sogar einzubinden."

Auch in kleineren Vereinen könnte deshalb ein Elternbeauftragter eine Option sein, um mögliche Konflikte zu lösen. Lothar Matthäus wird das aber wahrscheinlich nicht mehr zu einem Comeback bewegen.

Über den Gesprächspartner

  • Oliver Zeppenfeld ist seit über 20 Jahren im Kinder- und Jugendfussball tätig. Aktuell ist er Abteilungsleiter Beratung & Entwicklung beim Fussball-Verband Mittelrhein.

Verwendete Quellen

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