Glaubt man aktuellen Medienberichten, so kann man sich als unbescholtener Bürger eigentlich nicht mehr ins Fussballstadion trauen. Jedes Wochenende gibt es Krawalle, immer scheinen irgendwo "sogenannte" Fussballfans auszurasten. Ob Deutschland aber tatsächlich ein Hooligan-Problem hat, versuchen wir mit dem Fanexperten Gunter A. Pilz zu klären.
Frage: Es fällt auf, dass die Begriffe "Ultras" und "Hooligans" in den Medien immer öfter synonym gebraucht werden. Müsste man da nicht eine schärfere Trennlinie ziehen?
Pilz: Ich fürchte, dass da die Grenzen zu sehr verwischen. Es gibt vor allem bei den Ultras ganz unterschiedliche Schattierungen: Einerseits diejenigen, die sich völlig positiv verhalten und andererseits dieser kleinere Kreis, der sich gewaltbereit äussert. Man könnte diese Gruppe "Hooltras" nennen, weil sie im Gegensatz zu den Hooligans zwar einen starken Vereinsbezug haben, sich aber gleichzeitig zur Gewalt bekennen und deshalb die eigentliche Ultrakultur ein Stück weit verlassen.
Aber natürlich gibt es auch die klassischen Hooligans. Allerdings glaube ich, dass die Hooligan-Problematik im Vergleich zu den 1980er Jahren weiter eher marginal ist.
Dennoch scheinen sich gewaltbereite Fan-Gruppen in ihrem Mass an Organisation immer mehr an die Hooligan-Bewegung anzunähern. Gibt es nicht vielleicht doch den Trend "Back to the Eighties"?
Also eines ist richtig: Ultras sind in ihren Aktivitäten sehr viel stärker organisiert. Diese Entwicklung wird vor allem auch durch das Internet begünstigt. Ob Fankrawallen wie beim Revierderby nun wirklich ein Beleg dafür sind, dass wir uns auf dem Weg "Back to the Eighties" befinden, ist eine andere Frage. Ich glaube eher, dass das eine kurzfristige Aktion war und der aktuellen Situation geschuldet. Die DFL hat durch das Vorpreschen mit dem Konzeptpapier "Sicheres Stadionerlebnis" und die Nicht-Berücksichtigung der Interessen der Fans deutlichen Missmut unter den Ultras provoziert.
Inwieweit spielt die aufgeheizte Stimmung bei einem Derby hier eine Rolle?
Auch in den letzten Jahren waren Derbys immer Hochsicherheitsspiele, aber passiert ist so gut wie nie irgendwas. Allerdings habe ich den Eindruck, dass gerade die Innenminister, die ja momentan so massiv Druck auf DFL und DFB machen und mit der Abschaffung der Stehplätze drohen, die Stimmung verschärfen. Das führt auch dazu, dass die Polizei über Gebühren aufrüstet. Und wie jeder weiss, Gewalt produziert Gegengewalt. Wenn die Polizei also allzu martialisch, machtbesessen und provozierend auftritt, dann reagieren eben die Stadiongänger nicht damit, dass sie den Schwanz einziehen.
Giessen Vereine wie der FC Bayern durch das Aufstellen von sogenannten Nacktzelten oder der VfB Stuttgart durch verschärfte Videoüberwachung noch zusätzlich Öl ins Feuer?
Also dieses Nacktzelt-Ding ist eine hochgradig überzogene und provozierende Showveranstaltung. Die Videoüberwachung ist allerdings eine sinnvolle Einrichtung. Denn mit einer besseren Videoaufzeichnung hat man zumindest die Chance, die wenigen Gewaltbereiten, die meinen, Pyrotechnik zünden zu müssen, klar zu identifizieren und aus dem Stadion zu entfernen. Das ist eine Forderung, die besonnene Ultragruppierungen durchaus mittragen können. Denn dass Pyrotechnik nicht ungefährlich ist, das weiss man.
Sollte das Thema "Pyrotechnik" nicht langsam vom Tisch sein?
Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass manche meinen, man müsste darüber nochmal ins Gespräch kommen. Da gibt es keinen Verhandlungsspielraum. Es wäre wirklich wünschenswert, dass die Fans, die Kreativität, die sie aufwenden, diese Dinge trotzdem noch ins Stadion zu schmuggeln, darauf verwenden würden, sich einmal Gedanken zu machen, welche attraktiven Alternativen es zu Pyrotechnik gibt, z.B. schöne Choreographien.
Wenn man die Fanproblematik im Ganzen sieht, ist es dann eher an den Vereinen oder an der DFL, dort nach Lösungen zu suchen?
Also zunächst ist die DFL genauso wie der DFB gut beraten, dass sie sich Gedanken macht. Aber das darf nicht ohne die Beteiligung der Fans geschehen. Für die Entwicklung von nachhaltigen Konzeptionen sind allerdings die einzelnen Vereine gefragt und zwar in Kooperation mit den Fans. Schliesslich hat jeder Klub eine andere Fanszene und eine andere Infrastruktur. Dabei sind Dialog und Kommunikation unverzichtbar. Und es ist ja ganz spannend, dass gerade dieses unsinnige Sicherheitspapier der DFL dazu geführt hat, dass sich viele Vereine mit ihren Fans zusammengesetzt und entsprechend Korrekturen oder Gegenpapiere entwickelt haben. Damit ist genau das passiert, was man eigentlich will. Und insofern hat diese unselige Sache ja doch noch etwas Positives hervorgebracht.
Prof. Dr. phil. Gunter A. Pilz (68) ist Honorarprofessor für "Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" an der Universität Hannover. Er gilt in den Bereichen fussballbezogene Gewalt und Rechtsextremismus als Experte und wurde unlängst vom Deutschen Olympischen Sportbund mit dem Ethikpreis geehrt.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.