• Seit Alex Ferguson Manchester United vor sieben Jahren verlassen hat, konnte der englische Rekordmeister nie wieder an die erfolgreichen Zeiten anknüpfen.
  • Aktuell mischen die Red Devils jedoch wieder ganz oben in der Tabelle mit.
  • Wie weit kann es der Traditionsclub in dieser Spielzeit schaffen?
Eine Analyse

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Gary Neville war ein ekeliger Fussballer. Der ehemalige Kapitän von Manchester United war wohl das, was man einen Giftzwerg nennt. Er biss, zupfte, zerrte und jagte seine Gegenspieler über den Platz.

Heute ist er Experte bei Sky Sports und hat sich dabei vieles bewahren können, was ihn als aktiven Spieler ausgemacht hat. Er ist noch immer ein knallharter Wortführer, schonungslos in seinen Analysen, vor allem wenn es um seine alte Liebe Manchester United geht.

Vielleicht ist Neville Uniteds Gewissen. Denn entkommen kann der Club seinen Worten nur selten.

Fans von Manchester United träumen wieder vom Titel

Und so klang der sonst so kritische Gary Neville am Dienstagabend beinahe überschwänglich, als sein ehemaliger Arbeitgeber mit dem 1:0-Auswärtssieg beim FC Burnley die Tabellenführung übernahm: "Warum sollten Uniteds Fans nicht dran glauben? Warum sollte das Team nicht dran glauben?", fragte er bei "Sky Sports".

Ob Gary Neville selbst an eine Titelchance glaubt, liess er offen. Immerhin: Zu einem so späten Zeitpunkt in der Saison standen die Red Devils zuletzt unter Trainerlegende Sir Alex Ferguson an der Tabellenspitze.

1,2 Milliarden Euro ohne Ertrag

Seit der Schotte den Verein 2013 verlassen hat, sucht United nach den Charakteristika, die den Verein über Jahrzehnte ausgemacht haben. Unter Ferguson verkörperte man etwas Weltmännisches, eine Selbstverständlichkeit und die Souveränität, jedes Spiel gewinnen zu können.

In der Post-Ferguson-Ära ist der einstige Gigant zwischenzeitlich zur Lachnummer verkommen. Über 1,2 Milliarden Euro flossen in sieben Jahren in neue Spieler und Trainer. Der Ertrag: grösstenteils lausiger Fussball, verpasste Champions-League-Qualifikationen und kein einziger grosser Titel.

Seit Dienstagabend steht ManUnited wieder an der Spitze der Premier League, ist seit elf Spielen ungeschlagen und spielt teilweise sehr attraktiven Fussball. Bleibt die Frage: Ist das eine Momentaufnahme oder können die Fans tatsächlich wieder anfangen, an etwas Grosses zu glauben?

Nach Ferguson die grosse Leere

38 Titel gewann Sir Alex Ferguson in 27 Jahren an der Seitenlinie der Red Devils. Darunter zwei Mal die Champions League und 13 Mal die englische Meisterschaft. Ferguson schuf nicht weniger als ein Imperium in Manchester. Und wie es sich für einen Imperator gehörte, bestimmte der Schotte seinen Nachfolger 2013 gleich selbst.

Dabei fiel seine Wahl auf Landsmann David Moyes, der sich in 13 Jahren beim FC Everton einen Namen in der Premier League gemacht hatte. Doch Moyes, das wurde schnell deutlich, entpuppte sich als Fehlgriff. Anders als Ferguson war er zögerlich, zweifelte, hatte nicht das Selbstverständnis, das Manchester United auszeichnete. Er passte schlicht nicht zu diesem Koloss von Verein.

Rio Ferdinand fasste es später einmal so zusammen: "David Moyes ging es in erster Linie darum, nicht zu verlieren. Dann erst schaute er, was wir aus dem Spiel holen können. Dieses Mindset war das eines Everton-Trainers. Unter Ferguson hatten wir jedoch die Mentalität gelernt, jedes Spiel zu gewinnen."

Louis van Gaal, Jose Mourinho und ein blaues Manchester

Nach zehn Monaten im Amt musste David Moyes seine Sachen wieder packen, Louis van Gaal betrat die Bühne. Doch weder der Niederländer noch sein Nachfolger Jose Mourinho konnten dem Club ein Stück seiner verlorengegangenen DNA wiederzugeben.

Van Gaal, bekannt als gewinnbringender Autokrat wirkte ausgebrannt, Mourinhos Defensivstil hingegen schien fehl am Platz in einem Verein, dessen Clubhistorie massgeblich von Visionären und Künstlern geprägt war.

Insgesamt verprasste der Verein in vier Jahren unter van Gaal und Mourinho laut transfermarkt.de über 700 Millionen Euro für neue Spieler. Trotz der Klotzerei reichte es letztlich nur zu Platz vier, fünf, sechs und zwei. Am Ende der Saison 2017/18 stand mit der Vizemeisterschaft immerhin die beste Platzierung seit Alex Fergusons Abgang zu Buche. Der Abstand betrug jedoch 19 Punkte auf Meister Manchester City – was einer Demütigung gleichkam. Und wenn es noch eines Beweis bedurft hätte, der untermalte, dass Manchester seit Jahren schon nicht mehr rot war, sondern längst himmelblau: hier war er.

Manchester United: Solskjaer und die Ferguson-DNA

Ole Gunnar Solskjaer übernahm im Dezember 2018 - zunächst als Interimscoach. Mit dem Namen des Norwegers, der seit 1996 im Verein ist, schwang eine gewisse Aufbruchsstimmung mit. Man hoffte, er könne ein Stück der Ferguson-DNA zurückbringen, die er als Spieler unter dem Schotten selbst implementiert bekommen hatte.

"In Manchester spielst du ohne Angst, dafür mit Courage. Hier willst du jedes Spiel gewinnen", sagte der neue Coach der im Stil seines Mentors. Aber auch der anfängliche Hype um seine Person verflüchtigte sich nach mässigen Auftritten wieder. Schon zum Ende der vergangenen Saison kursierte immer wieder der Name Mauricio Pochettino durch Manchester, der zuvor nach durchaus erfolgreichen Jahren bei Tottenham Hotspur rausgeflogen war.

Doch Solskjaer blieb im Amt. Denn mit seiner Person ist der Verein erstmals seit Fergusons Abgang eine Wette eingegangen, die nicht in erster Linie auf schnellen Erfolg ausgerichtet war. Sein Wert ist nicht allein auf Ergebnisse beschränkt, vielmehr soll Ole Gunnar Solskjaer ein Gefühl zurückbringen.

Transfers mit Sinn und Verstand

Seitdem der Norweger da ist, scheint auch hinter der zurecht kritisierten Transferpolitik wieder ein Plan zu stecken. Es wird nicht wahllos Geld ausgegeben wie unter van Gaal und Mourinho.

Mit Harry Maguire, Aaron wan Bissaka und Daniel James sind junge Spieler aus der Premier League gekommen. Komplettiert wurde das Team mit Akademie-Spielern wie Mason Greenwood und Scott McTominay.

Obendrein schafften die Verantwortlichen Anfang 2020 mit Bruno Fernandes, den man für 55 Millionen von Sporting Lissabon loseiste, einen wahren Königstransfer.

Portoguese Magnifico

Fernandes gilt als Quelle des Erfolgs. Er ist der perfekte Spieler für Solskjaers Konterspiel, beherrscht das Umschaltspiel zwischen Defensive und Offensive herausragend und weist die Gewinnermentalität auf, die seit Jahren auf dem Platz vermisst wird. Ferner kam mit ihm eine gewisse Schönheit zurück ins Old Trafford.

Wenn Bruno Fernandes einen guten Tag hat, wirkt das Team wie wachgeküsst, mitunter wie befreit. Vergessen seien die letzten drögen Jahre, mit ihm ist der Punk zurück in Manchester: schnell, unkonventionell, aggressiv. "Portoguese Magnifico", den grossartigen Portugiesen, nennen die Fans ihren Spielmacher, der in 48 Spielen für United 27 Tore selbst geschossen und 17 aufgelegt hat.

Nun ist Bruno Fernandes nicht alleine für den Aufschwung der Red Devils verantwortlich. Auch ein Marcus Rashford spielt stark auf und bekommt immer mehr Konstanz in sein Spiel. Mit Paul Pogba und Nemanja Matic oder Fred und Scott McTominay haben sich zudem zwei Mittelfeldachsen gefunden, die Solskjaer beinahe beliebig austauschen kann. Wobei gerade McTominay eine immer wichtigere Rolle in seinem System einnimmt. Der junge Schotte aus der Jugendakademie des Clubs steht für eine lange nicht gesehene Persönlichkeit. Er erinnert an Spieler wie Michael Carrick, Paul Scholes oder Roy Keane - Spielertypen, die über Jahrzehnte den Verein prägten.

Ist United ein Meisterkandidat?

Und während der FC Liverpool, Manchester City, Arsenal London, Chelsea London und Tottenham Hotspur in den vergangenen Wochen regelmässig patzten, spielte United seinen Stiefel meist unspektakulär herunter, hat aus den vergangenen elf Spielen 29 von 33 möglichen Punkten geholt, viele Spiele knapp gewonnen und Ergebnisse gedreht. Damit hat sich das Team in zehn Wochen von Platz 13 auf die eins geschoben.

Zum Meisterkandidaten macht United das noch nicht zwangsläufig. So war es auch Gary Neville, der nach dem berauschenden 6:2-Sieg über Leeds United kürzlich bei Sky Sports feststellte, so recht erklären könne er sich nicht, weshalb United oben mitspielt. "Du denkst nicht, dass dort ein Team steht, das den Titel holen kann."

Denn es ist keine drei Monate her, da fegte Tottenham Hotspur mit 6:1 durchs Old Trafford. Vor gerade mal fünf Wochen verlor United bei RB Leipzig mit 3:2 und verpasste so das Champions-League-Achtelfinale. Vergangene Woche flogen sie dann im League Cup gegen den Stadtrivalen Manchester City raus.

Und zur Wahrheit gehört ebenso, dass ManUnited in dieser Saison noch kein Spiel gegen ein Top-Six-Team gewonnen hat. Am Wochenende geht es gegen den direkten Verfolger FC Liverpool. Das Spiel ist ein wahrer Gradmesser für das junge Team von Ole Gunnar Solskjaer. Und wenn United dort gewinnt, glaubt vielleicht sogar Gary Neville an den grossen Wurf.

Verwendete Quellen:

  • BT Sport (YouTube): Rio Ferdinand reveals why David Moyes failed at Man Utd | Premier League Tonight
  • Express.co.uk: Man Utd chief Ed Woodward urged to make Solskjaer sack decision with Pochettino free
  • Manutd.com: The Solskjae Philosophie
  • Sky Sports: Gary Neville tells Manchester United to ‘get carried away’ after going top of Premier League
  • Sky Sports: Gary Neville: Manchester United still ‘don’t look like team who can challenge for title’
  • The Mastermindsite: Ole Gunnar Solskjaer – Manchester United – Tactical Analysis
  • Transfermarkt.de: Manchester United – Alle Transfers
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