Pyrotechnik erfreut sich grosser Beliebtheit in den Fankurven von Fussballstadien in ganz Europa und darüber hinaus. Besonders Bengalos sind fester Bestandteil von Spielen geworden. Aber Gefahren bleiben und Verbote sind nicht ausgeschlossen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Constantin Eckner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Am Montag kam es zum Urteil: Wegen eines Böllerwurfs während eines Bundesligaspiels zwischen dem FC Augsburg und der TSG Hoffenheim am 11. November 2023 ist ein 28 Jahre alter Anhänger von Hoffenheim zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Durch die Zündung des in Deutschland nicht zugelassenen Böllers wurden zwölf Menschen verletzt, darunter mehrere Kinder.

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Die Hoffenheimer Ultras hatten im Anschluss bei der Ermittlung des Täters geholfen, ein Chatverlauf wurde einem szenekundigen Polizisten von einem Ultra gezeigt. Dies habe laut dem Beamten aus Sinsheim zur schnellen Verhaftung des Hauptangeklagten geführt. Es sei kein normaler Pyrotechnikfall gewesen, sondern ein "massiver Sprengstoffvorfall", unterstrich der Vorsitzende Richter Christoph Kern.

Trotzdem wurde das Vergehen des 28-Jährigen direkt im Anschluss von politischen Verantwortlichen, etwa im Freistaat Bayern, aufgegriffen, um einmal mehr den generellen Einsatz von Pyrotechnik in Fussballstadien infrage zu stellen. "Ein solches Verhalten von vermeintlichen Fussballfans ist unverantwortlich und absolut inakzeptabel", sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Pressemitteilung des Ministeriums. Der Einsatz von Böllern und Pyrotechnik im Stadion sei "brandgefährlich", das habe der Vorfall im Augsburger Stadion eindringlich vor Augen geführt.

Wohl ausser Frage steht, dass beispielsweise Böller in Stadien, wo Menschen auf engem Raum zusammenstehen, nichts zu suchen haben. Aber auch das Abbrennen der vielerorts beliebten bengalischen Feuern und Rauchtöpfen wird weiter debattiert. Diese haben sich in Fankurven als Zeichen der Machtposition etabliert.

Zudem können sie beeindruckende Bilder liefern, wie beispielsweise schon vor Jahren einschlägige Derbys in Belgrad oder Athen verdeutlichten. Mittlerweile haben Bengalos auch in Mitteleuropa und sogar in Grossbritannien, wo seit den Gewaltexzessen der Achtzigerjahre die Sicherheitsmassnahmen zusehends verschärft wurden, an Beliebtheit gewonnen.

Grenzwerte werden in Stadien massiv überschritten

Generell ist der Einsatz von Bengalos allerdings in Stadien untersagt. Geldstrafen für die Vereine sind in der Regel die Folge, eine detaillierte Ermittlung der Verantwortlichen ist zumeist nicht möglich, Kollektivstrafen sind wiederum äusserst umstritten. Einer möglichen Legalisierung steht beispielsweise Pyrotechnik-Experte Tom Smith sehr kritisch gegenüber.

"Die Konzentration von einigen dieser Verbrennungsprodukte kann enorm sein. Auch wenn es nur eine kurze Zeit andauert, so übersteigt die Konzentration die eigentlich empfohlenen Grenzwerte [Anm. der Red: von Rauchgasen zum Beispiel] um das Hundertausendfache, denn diese Produkte sind nicht für den Gebrauch in abgeschotteten Umgebungen gedacht", sagt Smith, der seit vielen Jahren Sportorganisationen in puncto Pyrotechnik berät. 2016 hat er im Auftrag des europäischen Fussballverbands UEFA eine Studie zum Thema erstellt.

Die Produkte selbst sind so konzipiert, dass sie selbstbrennend sind und keinen ständigen Zufluss von Sauerstoff brauchen. Damit können sie nicht ohne Weiteres ausgetreten werden. Zudem entstehend bei vielen pyrotechnischen Erzeugnissen Temperaturen von 2.500 Grad Celsius, selbst bei sogenannter "kalter Pyro" sind es immer noch 700 Grad Celsius. Generell besteht immer die Gefahr, dass solche Produkte zu Wurfgeschossen werden.

"Wenn du dich selbst verletzen könntest, ist das deine Sache. Wenn du deinen unmittelbaren Nachbarn, der ebenfalls ein Pyroprodukt hält, verletzt, seid ihr beide ein Risiko eingegangen. Aber wenn es dazu kommt, dass Personen in anderen Teilen des Stadions zu Schaden kommen, dann ist das eine andere Sache", sagt Smith.

Der Experte sieht generelle Verbote nicht als Lösung, weil die Vereine und Verbände damit verbundene Kontrollen wie an Flughäfen einführen müssten. Zudem schaffen es Fangruppen zuweilen, die Produkte bereits vor den Spieltagen in die Stadien zu schmuggeln und dort gewissermassen zu lagern. Smith glaubt vor allem daran, dass Stadionbesucher über die Gefahren noch besser informiert werden müssen, denn anders als Knallkörper, wie jener der im Augsburger Stadion zum Einsatz kam, wirken beispielsweise Bengalos auf den ersten Blick relativ harmlos.

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DFB verschliesst sich Idee von Pyroshows nicht gänzlich

Unterdessen wird im deutschen Fussball weiterhin ein möglicher Alternativweg diskutiert, nämlich vorm Spiel konzipierte und genehmigte Pyroshows. Selbst der Deutsche Fussball-Bund (DFB) verschliesst sich der Idee nicht komplett. 2020 hat es dafür den ersten vom DFB genehmigten Einsatz von kontrollierter Pyrotechnik im deutschen Profifussball gegeben. Vor dem Heimspiel gegen den Karlsruher SC hatten Fans des Zweitligisten Hamburger SV eine Choreografie mit farblich passenden Rauchschwaden garniert.

Allerdings werden auch bei einer Choreografie und vorherigen Abstimmung die Risiken etwa durch die hohe Konzentration von Rauchgasen derart minimiert, dass keine Gefahr mehr für Stadionbesucher bestehen würde.

Der Vorfall in der WWK Arena von Augsburg im vergangenen November und das am Montag erlassene Gerichtsurteil werden es zudem den Fangruppen hierzulande, die unbedingt auf Pyrotechnik setzen möchten, mehr denn je erschweren, Vereine, Verbände und politische Entscheidungsträger von einer Legalisierung zu überzeugen.

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