Psychische Krankheiten seien im Spitzensport auch zehn Jahre nach dem Tod von Robert Enke noch ein Tabu, sagt dessen Psychiater Valentin Markser. Nicht nur von den Vereinen, Sportlern und Trainern ist er enttäuscht, sondern auch von den Fans.
Zehn Jahre nach dem Suizid des Fussball-Nationaltorhüters Robert Enke sieht dessen Psychiater Valentin Markser in der Frage des Umgangs mit Depressionen im Sport kaum Fortschritte.
"Das System ist leider noch auf dem Stand von 2009. Es scheint so, als ob es eine unheilvolle Allianz im Leistungssport gibt, die den dringend nötigen Aufbruch zur besseren Behandlung von seelischen Krankheiten verhindert", sagte Markser im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Enke hatte sich am 10. November 2009 das Leben genommen. In der Folge gab es grosse Diskussionen über Druck und seelische Belastung im Profisport - doch laut Markser sind diese aus mehreren Gründen wieder verklungen.
Psychiater: "Niemand will einen Versager"
"Da sind erstens die Vereine, die um das Image des Produkts fürchten. Zweitens Sportler und Trainer, die sich im modernen Sport nahezu ständig im Wettkampfmodus befinden. Sie wollen nicht über Schwächen reden, obwohl die auch zum Leistungssport gehören", sagte Markser. "Dann haben wir drittens die Zuschauer, die Fans. Sie haben eine Sehnsucht nach Idolen und ein riesiges Bedürfnis nach Identifikation. Niemand will einen Versager." Allen gemeinsam sei, dass sie vom Thema der seelischen Gesundheit im Sport wenig wissen wollten.
Markser: Outing nicht zu empfehlen
Spitzensportlern rät Markser daher davon ab, sich bei Depressionen oder anderen psychischen Krankheiten zu outen. "Die Gesellschaft kann damit derzeit leider noch nicht umgehen. Die Widerstände sind noch zu gross. Leider haben insbesondere die Fans nicht dazugelernt", sagte. "Viele reiten weiterhin gerne darauf herum, dass die hochbezahlten Sportler genug Schmerzensgeld bekämen. Als ob das Leid einer Krankheit mit Geld verrechnet werden kann."
Markser (66), der am Tag nach Enkes Suizid mit dessen Witwe Teresa auf einer Pressekonferenz Fragen beantwortet hatte und im Kuratorium der Robert-Enke-Stiftung sitzt, nannte diese Annahme "zynisch". Viele Athleten kämen "in einem angeschlagenen Zustand zu uns in Behandlung – nachdem sie vorher unzählige Mentaltrainer und Sportpsychologen konsultiert haben", berichtete er.
"Insgesamt gibt es ein grosses Missverständnis: Gesundheit ist nicht das Ziel des Leistungssports – man setzt sie einfach während der gesamten Karriere voraus." Dabei müssten seelische Krisen laut Markser genauso diagnostiziert werden wie Muskelverletzungen. (afp/mcf)
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 08 00/ 11 10 - 111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
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