Ein Heimspiel sieht anders aus: Bayern Münchens Achtelfinalgegner in der Champions League, Schachtjor Donezk, spielt über 1.000 Kilometer fern der Heimat und hat damit so einige Probleme. Auf die Bayern wartet dennoch eine ganz spezielle Partie gegen einen sehr speziellen Gegner.
Gegen Krieg ist sogar er machtlos: Rinat Achmetow, Oligarch, Magnat, reichster Mann der Donbass-Region im Osten der Ukraine. Seine Millionen haben aus Schachtjor Donezk den schillerndsten Verein Osteuropas gemacht und einem Landstrich Geltung und Glanz verliehen, der vor der Jahrtausendwende auf der Fussball-Landkarte ein weisser Fleck war.
Der Siegeszug von Schachtjor Donezk in der vergangenen Dekade durch die ukrainische Liga wurde schnell auf Europa ausgeweitet, 2009 gewann Donezk die Europa League und schaffte kurz danach erstmals den Sprung unter die besten acht Mannschaften der Champions League. Der Aufstieg der orangenen Macht aus dem Donbass schritt unaufhörlich voran. Dann kam der Krieg. Seitdem ist alles anders.
Der Anfang vom Ende
Lange hat sich Schachtjor gegen das Unvermeidliche gestemmt. Noch im Juli hat der Klub darauf bestanden, seine Heimspiele weiter zu Hause in der Donbass Arena austragen zu dürfen. In den Gesprächen wähnte man sich auf einem guten Weg, das Stadion war schliesslich lange verschont geblieben von der Zerstörungswut der Militärs und Paramilitärs. Im August zerfetzten mehrere Granaten dann den Eingangsbereich der Arena. Es war der Anfang vom Ende des Fussballs in der Region.
Schachtjor spielt jetzt in Lwiw, West-Ukraine, 1.200 Kilometer fern der Heimat. Dort wird am Dienstag auch der FC Bayern München erwartet. Dann besteht vielleicht die Möglichkeit, dass das Stadion ausverkauft sein wird. Und dass die Heimmannschaft von den Fans nicht ausgepfiffen und niedergegrölt wird. So läuft das nämlich in den meisten Ligaspielen ab.
Am Anfang hat der Klub für Teile seiner Fans noch Reisen ins ferne Lwiw organisiert. So wie aus der Vergangenheit gewohnt, als eine Ultra-Gruppierung aus dem Boden gestampft, Choreographien satt alimentiert und VIP-Gäste und Sponsoren prächtig umhegt wurden. Jetzt reist kaum noch einer mit in den Westen des Landes, der Klub und seine Basis entfernen sich im wahrsten Sinne des Wortes mit jedem "Heimspiel" ein Stück mehr voneinander.
Kiew als Übergangsheimat
Weilt das Team gerade nicht zufällig für eine Partie in Lwiw, hat Schachtjor in der Hauptstadt Kiew ein Übergangsdomizil aufgeschlagen. Die Mannschaft wohnt und trainiert dort, die Klubzentrale wird ebenfalls von Kiew aus gesteuert. Ins Trainingslager reiste der komplette Tross vor einigen Wochen nach Brasilien. Da war es warm und sicher und die vielen Südamerikaner im Kader konnten ihren Weihnachtsurlaub praktischerweise um ein paar Tage verlängern.
Die Anknüpfungspunkte an die alte Heimat werden immer weniger oder liegen im besten Fall auf Eis. Die Entscheidung, aus der Krisenregion wegzuziehen und sich weit ab von Krieg und Zerstörung so gut es geht auf den Alltag zu konzentrieren, stösst zwar weitgehend auf Verständnis. Goutiert wird der Auszug aus der Stadt aber nicht von jedem.
Schachtjor war ein zentraler Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, erst durch den Fussball erlangte die Stadt der Schwerindustrie und des Kohlebergbaus Aufmerksamkeit und Anerkennung. Mittlerweile ist Donezk weltweit als Zentrum der Kämpfe bekannt. Immerhin kümmert sich Schachtjor weiter um die Menschen in der Region.
Hilfe für Bedürftige
Nicht selten treffen Hilfslieferungen in der Region ein, entsandt aus der Hauptstadt. Die wenigen zurückgeblieben Mitarbeiter Schachtjors sammeln und verteilen Spenden an Verwundete und Bedürftige. Es bleibt der Trotz, sich weiter für die Heimat zu engagieren. Mehr ist im Moment nicht möglich.
Für das Achtelfinale der Königsklasse gegen die grossen Bayern wird einiges mobilisiert. Die Spiele der Premjer-Liha spielen sich fast beiläufig ab, gegen das Kellerkind Howerla Uschhorod fanden sich gerade einmal rund 10.000 Zuschauer im Stadion wieder.
Gegen die Bayern aber gilt: Das ist die Königsklasse, der ganz grosse Fussball, eine Reminiszenz an die alten Tage. Glanz und Gloria. Schachtjor Donezk wird seine Edel-Fans gen Westen karren und ein paar Hundertschaften aus der Fankurve. Der Klub verlangt ein paar Hrywnja mehr als die 20 für ein handelsübliches Liga-Spiel. Umgerechnet ein Euro für einen Champions-League-Abend gegen die Bayern wäre dann doch nicht vertretbar.
FC Bayern München spielt nicht vor Geisterkulisse
Die Bayern werden also nicht vor einer Geisterkulisse auflaufen müssen. Das Stadion wird voll sein, selbst die Lemberger Fans werden wohl in der Mehrzahl ausnahmsweise für Schachtjor Donezk sein. Für den Klub wird es ein spektakulärer Abend werden, völlig egal, wie die Partie endet. Den Verantwortlichen ist aber auch klar, dass es womöglich der letzte auf der grossen Bühne auf unbestimmte Zeit ist.
Schachtjor ist im Klassement in der Liga nur Zweiter, fünf Punkte hinter Dauerrivale Dynamo Kiew. Es droht die erste titelfreie Saison seit sechs Jahren - und das Verpassen der Champions League im kommenden Herbst.
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