Wie die Schiri-Kabinen in Deutschland aussehen, dokumentiert Referee Gerd Lamatsch. Die Resonanz ist gross, die Überraschung über die teilweise miserablen Zustände leider auch. Wir haben mit dem 64-Jährigen gesprochen.

Ein Interview

Gerd Lamatsch hat in seiner langen Schiedsrichter-Karriere schon viel gesehen. Vor allem die komplette Bandbreite an Schiri-Kabinen. Vor zwei Jahren hat er angefangen, die Kabinen auf Instagram zu dokumentieren. Inzwischen bekommt er Fotos aus ganz Deutschland zugeschickt, die leider auch verdeutlichen, wie wenig Wertschätzung den Referees teilweise von den Vereinen entgegengebracht wird. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 64-Jährige über die üblichen Probleme, die bis dato schönste Kabine und die Gründe für die teilweise miesen Zustände.

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Herr Lamatsch, wie kam es zu der Idee, die Zustände in den Schiedsrichter-Kabinen zu posten?

Gerd Lamatsch: Das war sehr, sehr spontan. Nachdem andere in den sozialen Medien ab und zu die Kabinen gepostet haben, habe ich mir gedacht: ‚Ach komm, das wäre doch eine witzige Idee.‘ Das war kurz vor Weihnachten vor zwei Jahren, und da habe ich es einfach mal ausprobiert. Ich habe angefangen mit meinen ‚eigenen‘ Kabinen, und der eine oder andere Kollege hat mir dann zugeliefert. So lief das zwei Jahre ganz entspannt, bis dann diese Medienwelle über mich hereinbrach.

Die medialen Reaktionen sind durchaus beeindruckend…

Das hat mich auf dem falschen Fuss erwischt. Ich habe am Anfang gedacht, dass es einen oder zwei Berichte gibt, aber es ist wirklich viel geworden. Die Bild-Zeitung ist im Grunde dafür verantwortlich, dass dieses Thema überhaupt bekannt geworden ist. Die Bild war das erste Medium, das einen Bericht herausgebracht hat. Und an dem Tag hat es mein Handy zerrissen. Das war wie ein Aufschlag beim Tennis mit 150 km/h.

Welche Resonanz erhalten Sie von Kollegen und im Netz?

Ich habe jetzt knapp 2000 Follower und habe vor zwei Wochen eine Umfrage gemacht, weil mich interessiert hat, wer von denen wirklich aktiver Schiedsrichter ist. Es sind 65 Prozent aktive Schiedsrichter. Und generell bekomme ich nur positives Feedback. Der Tenor ist: Endlich mal einer, der was tut, endlich einer, der sich engagiert, der den Finger in die Wunde legt. Wichtig ist aber: Es war von Anfang an nie mein Anliegen, nur Negatives zu zeigen, sondern meine Idee war, die ganze Bandbreite zu zeigen, also von der Abstellkammer bis hin zum Palast mit Sauna und Whirlpool.

Was sind denn die schlimmsten Ausmasse, die Sie angetroffen haben?

Schon vor 15, 20 Jahren gab es Kabinen, die unzumutbar waren. Wenn ich das damals fotografiert hätte, hätte ich schon viel früher einen Bildband machen können. Aber zuletzt gab es eine Kabine, die war katastrophal dreckig, das war eine, in die man eigentlich niemanden guten Gewissens reinlassen kann. Und das habe ich dem Verein auch so gesagt, doch die haben nur verständnislos geguckt. Die ganz schlimmen Fälle habe ich aus ganz Deutschland von Kollegen zugeschickt bekommen.

Hat sie eine Kabine besonders "überrascht"?

Zuletzt war bei einem Bundesliga-Verein die Dusche eine absolute Frechheit. Ich habe das von einem Schiedsrichter bekommen, der dort bei einem Junioren-Bundesligaspiel war. Das sieht eher aus wie ein Mordtatort als eine Dusche für Schiedsrichter. Da muss man sich doch echt fragen, was da abgeht. Ich habe das anonym gepostet und den Verein angeschrieben. Ich bin gespannt, ob er reagiert.

Was sind Probleme, die immer wieder auftauchen?

Gegenfrage: Was erwartet man? Was sollte erfüllt sein? Das sind gar nicht so viele Dinge. Hygiene und Sauberkeit natürlich. Wenn es mich ekelt, in die Dusche zu gehen oder ohne Badeschlappen durch die Kabine zu laufen, dann stimmt schon was nicht. Thema Sicherheit: Man hat mir schon mal aus einer abgeschlossenen Kabine Geld geklaut. Seitdem lasse ich nichts in der Kabine. Dann haben wir das Thema Heizung im Winter, dass du dir nicht in den Hintern abfrierst. Und: Es ist schön, wenn das warme Wasser zeitnah aus der Dusche kommt. Und ich finde, es gehört sich, dass eine Flasche Wasser in der Kabine steht. Aber du musst im Zweifelsfall fragen, ob du eine bekommst. Bei einigen Vereinen ist es immer noch nicht angekommen, den Schiedsrichter zu unterstützen.

Es gibt aber zum Glück auch positive Beispiele….

Ja, einige. Der TSV Arminia Vöhrum aus Niedersachsen hat eine Schiri-Kabine zusammengestellt, die ist gigantisch. Mit so viel Liebe, mit so viel Detail, mit so viel Komfort. Das ist bisher die allerbeste Kabine, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Es gibt also Extrembeispiele in beide Richtungen.

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Dese Kabine hat Gerd Lamatsch auf seinem Instagram-Account gepostet. © Gerd Lamatch/Instagram

"Die Schiedsrichterkabine ist die Visitenkarte des Vereins"

Was sind denn die Gründe für die miesen Zustände?

Bei vielen Vereinen ist es viel besser geworden, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt. Es liegt auch oft an fehlender Verantwortlichkeit im Verein, an mangelnder Organisation, an fehlendem Personal. Wer kümmert sich konkret um diese Themen? Wenn du keine Person hast, die die Verantwortung hat, dann kümmert sich auch keiner darum.

Kann man denn sagen, dass diese Negativbeispiele symbolträchtig sind für den Zustand im Schiedsrichterwesen, für eine mangelnde Wertschätzung?

Ja, absolut. Die Schiedsrichterkabine ist die Visitenkarte des Vereins. Und damit ist es ein sehr passendes Symbol für den Zustand im Schiedsrichterwesen, wie mit den Unparteiischen umgegangen wird, für mangelnde Wertschätzung. Die Schiri-Kabine ist ein Fingerzeig, wie der Verein aufgestellt ist. Und so wird es auch wahrgenommen auf meinem Instagram-Kanal.

Was müsste sich ändern, damit es besser wird? Wo kann man da ansetzen?

Als erstes müsste der Verein erkennen, dass er diese Verantwortung installieren muss. Wenn diese Verantwortung installiert ist, dann wird es auch funktionieren. Ich habe für die Vereine eine Schiri-Fibel entwickelt, die man sich kostenlos downloaden kann. Damit gebe ich den Vereinen Tipps an die Hand. Regional bezogen stehe ich auch für Vereine als Referent zur Verfügung.

Wie problematisch ist mangelnde Wertschätzung für das Schiedsrichterwesen generell? Es werden auch Nachwuchsprobleme beklagt, der Ton auf den Plätzen wird rauer…

Bereits vor Corona hat es einen grossen Rückgang bei den Zahlen gegeben. Da ging es vor allem um das Thema Angriffe. Corona war dann nochmal der Turbo-Booster. Jetzt hat man es geschafft, durch etliche DFB-Massnahmen neue Schiedsrichter zu gewinnen. Aber das Hauptproblem ist, dass diese jungen Menschen in den ersten Spielen begleitet werden müssen. Denn da passiert oft das Negative. Da pfeift einer sein erstes Spiel, hat keinen Coach dabei, und dann wird er im ersten Spiel gleich angekackt. Und darauf haben die Leute keine Lust. Die grosse Herausforderung ist, die Jungs und Mädels, die den Schein gemacht haben, vor Ort zu unterstützen. Denn wenn man mal eine gewisse Zeit überstanden hat, gelernt hat, mit der Kritik umzugehen, sich nicht alles zu Herzen nimmt, dann hat man es in der Regel geschafft.

Welche Möglichkeiten haben die Referees vor Ort, wenn sie solch eine Kabine sehen?

Stufe 1 ist: Ich fahre heim und sage nichts. Stufe 2: Ich sage es dem Verein. Stufe 3: Man macht eine Meldung. Und Stufe 4 wäre die krasseste Form, indem man das Spiel nicht anpfeift. Ich kenne auch Schiedsrichter, die so radikal denken und sofort nach Hause fahren würden, sollten sie so eine Kabine antreffen. So weit bin ich selbst noch nicht gegangen. Die Verbände haben eingeführt, dass die Schiedsrichter, wenn sie unzumutbare Bedingungen vorfinden, im Spielbericht eine offizielle Meldung über die Schiri-Kabine machen sollen. Aber: Manche trauen sich nicht, und andere haben keinen Bock drauf, weil es zusätzlicher Arbeitsaufwand ist. Und dann ändert sich natürlich auch nichts.

Wie reagieren die Vereine auf Kritik?

Ich habe hier in Nürnberg die Erfahrung gemacht, dass mich schon der eine oder andere Verantwortliche angemeckert hat. Ein Verein hat sogar indirekt mit Konsequenzen gedroht. Aber ich stelle immer öfter fest, dass die Vereine verstanden haben, dass es nichts bringt, sich aufzuregen, sondern dass sie sich lieber um ihre Hausaufgaben kümmern sollten. Es gibt sogar Vereine, die sich von sich aus gemeldet haben und wollten, dass ihre Kabine gepostet wird. Und das mache ich dann auch. Es sind nicht nur Schiedsrichter, sondern auch immer mehr Vereine, die mir folgen, weil sie anscheinend aufgewacht sind.

Man sagt das ja immer gerne, früher war alles besser. War früher alles besser? Ist die Entwicklung bedenklich?

Ich mache das jetzt seit 48 Jahren. Und wir haben jetzt die Situation, dass viele Vereine klamme Kassen haben. Ich sehe deutschlandweit das Problem des Renovierungsstaus bei den Vereinen. Und in den Grossstädten ist es viel, viel krasser als auf dem Land. Auf dem Dorf gibt es noch einen anderen Zusammenhalt. Da bauen die gemeinsam mit ihren Handwerkern ein komplett neues Sportheim. Bei den grossen Vereinen in der Stadt und auch bei den städtischen Anlagen ist kein Geld da, da sieht es teilweise aus wie vor 20 Jahren. Und so sehen dann auch die Kabinen aus.

Über den Gesprächspartner

  • Gerd Lamatsch aus Nürnberg ist seit 48 Jahren Schiedsrichter und hat über 1.900 Spiele aktiv begleitet. In den 90er Jahren schaffte er als Assistent in der 2. Bundesliga den Aufstieg in den bezahlten Fussball und leitete im Landesverband Bayern 15 Jahre lang Spiele der obersten Amateurklasse. Heute ist er im Junioren- und Frauen-Bereich aktiv und hat zwei Bücher zur Schiedsrichterwelt veröffentlicht. Infos unter www.kellerschiri.de.
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