Jeden Tag nur Corona-Nachrichten und kein Fussball, das hält kein Mensch aus. Viel schöner ist es da doch, in Erinnerungen zu schwelgen. Genau deshalb erzählen uns verschiedene Persönlichkeiten des Fussballs von ihrem persönlichen "Spiel meines Lebens". Als nächster an der Reihe: BVB-Legende Lars Ricken.
Lars Ricken hat so viele sensationelle Spiele erlebt, dass ihm die Auswahl für das "Spiel meines Lebens" schwerfällt. Eigentlich hätte er ja auch gerne das Saison-Finale 1995 beim HSV genommen, doch da ist ihm sein ehemaliger Trainer Ottmar Hitzfeld schon zuvor gekommen. Macht nichts, den die Stürmerlegende von Borussia Dortmund hat ja nicht nur dieses eine Spiel mit seinem Tor entschieden. Wer nun aber denkt, Ricken muss doch jetzt vom Champions-League-Finale gegen Juventus Turin 1997 erzählen, der ist falsch gewickelt. Denn beim "Spiel meines Lebens" denkt Ricken - neben 1995 - zuerst an das CL-Halbfinal-Rückspiel bei Manchester United. Warum, das soll er selbst erzählen:
"Das Spiel ist besonders für mich, weil es das Halbfinale in der Champions League war und dadurch für mich der Traum, ins Finale zu kommen, Realität wurde. Und dann auch noch gegen so eine tolle Mannschaft in so einem grossartigen Stadion. Wenn man mal schaut, wer da alles gespielt hat: Beckham, Giggs, Scholes, Cantona, im Tor Schmeichel, Trainer Alex Ferguson. Die haben zwei Jahre später auch die Champions League gewonnen. Aber vor allem, wie die Fans von Manchester nach dem Spiel auf uns reagiert haben, das war schon ein einmaliges Erlebnis.
"Sah so aus, als würde ich nicht spielen"
Vor dem Spiel sah es erstmal lange so aus, als würde ich nicht spielen. Wir hatten damals eine Mannschaft gespickt mit Nationalspielern. Und eigentlich hätte Paulo Sousa gespielt. Er war aber leicht angeschlagen, sodass ich beim Abschlusstraining schon darauf geachtet habe, wie er trainiert. Und irgendwann während des Abschlusstrainings war klar, dass er nicht spielen kann. Als mir dann bewusst wurde, dass ich spielen werde, war meine Motivation natürlich extrem gesteigert.
Ricken in jugendlichem Leichtsinn
Wir hatten das Hinspiel zwar mit 1:0 gewonnen, aber auf dem Hinflug waren unsere Verantwortlichen alle ziemlich nervös. Und ich in meiner jugendlichen Unbekümmertheit habe damals gesagt: 'Macht euch mal keine Gedanken, ich schiess' da schon ein Tor.' Ich hatte damals in jungen Jahren schon den Ruf, der Spieler der entscheidenden Tore zu sein. Deshalb hatte ich wohl das Selbstverständnis, denen mit meinen gerade mal 20 Jahren zu sagen, ich mach das Ding schon. Und nach sieben Minuten war der Ball dann tatsächlich drin.
Andreas Möller hatte mir einen schönen Pass reingespielt. - Ich habe ohnehin sehr von Andreas Möller profitiert - insbesondere in diesem Jahr. Später im Finale gegen Turin hat mir auch Möller das Tor vorbereitet. Und dann ging der Ball eben mit links ins lange Eck. Er war noch leicht abgefälscht. Das war für alle eine Riesenerleichterung, Nach dem 1:0-Sieg im Hinspiel war das nach sieben Minuten fast schon wie eine Vorentscheidung. Extrem schön.
Ich glaube, wir hatten keine weitere Torchance in dem ganzen Spiel. Es war eine einzige Abwehrschlacht. Auch wenn ich sage, dass das ‚Mein Spiel des Lebens‘ ist, wissen wahrscheinlich die wenigsten, dass ich das 1:0 geschossen habe. Sondern die meisten erinnern sich wahrscheinlich, dass in diesem Spiel ‚Jürgen Kohler Fussballgott‘ geboren wurde, weil er im Liegen einen Ball von Cantona von der Linie gerettet hat. Wäre der Ball zum 1:1 reingegangen, hätte das noch eng werden können.
Ich war auf jeden Fall Teil der Abwehrschlacht. Nach vorne hatte ich kaum mehr Aktionen, weil uns aufgrund der Klasse von Manchester auch gar nichts anderes übrig blieb, als das Ergebnis über die Ziellinie zu bringen. Dementsprechend haben wir uns einfach nur noch darauf konzentriert, das Tor zu verteidigen.
Nach dem Abpfiff war ich gar nicht euphorisch, sondern eher ungläubig, unfassbar. 'Ey, wir haben Manchester im Halbfinale besiegt und stehen jetzt im Finale der Champions League. Wie geil ist das denn?' Zumal die Saison in der Liga für uns nicht gut lief. Ich war einfach nur glücklich. Es ist schwer zu beschreiben.
"Das erlebt man nicht so oft"
Aber was besonders schön war: Die United-Fans haben natürlich ihre Mannschaft über 90 Minuten nach vorne geschrien, auch nach meinem Tor noch, aber nach dem Spiel, sind wir zu unseren Fans in die Kurve gegangen um uns zu bedanken. Und wir haben gleichzeitig auch Applaus von den Manchester-Fans bekommen. Das war damals extrem bemerkenswert, dass uns die gegnerischen Fans für unsere Leistung gefeiert haben. Das erlebt man nicht so oft in seiner Karriere."
- Im ersten Teil der Serie erzählt Timo Hildebrand von der Partie des VfB Stuttgart beim VfL Bochum 2007.
- Im zweiten Teil berichtet Ottmar Hitzfeld vom Saisonfinale 1995 mit Borussia Dortmund.
- Im dritten Teil erzählt Manni Schwabl von dem Spiel, als er vom FC Bayern entdeckt wurde
- Im vierten Teil schildert Kevin Kuranyi eine eindrückliche Partie des VfB Stuttgart gegen Manchester United
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