Jeden Tag nur Corona-Nachrichten und Fussball ohne Publikum, das hält kein Mensch aus. Viel schöner ist es da doch, in Erinnerungen zu schwelgen, in Zeiten als der Fussball noch kein Hygienekonzept brauchte. Genau deshalb erzählen uns verschiedene Persönlichkeiten des Fussballs von ihrem persönlichen "Spiel meines Lebens". Als nächster an der Reihe: Schalke-Legende Olaf Thon.
Er ist Weltmeister, mehrfacher Deutscher Meister, DFB-Pokal-Sieger, Uefa-Cup-Gewinner, eine Legende des deutschen Fussballs - doch wenn
"Ich hatte einen Tag vor dem Spiel gegen die Bayern, das am 2. Mai stattfand, Geburtstag und am 30. April hatte Rudi Assauer Geburtstag. Wir sprachen schon eine Woche vor unseren Geburtstagen über dieses Spiel und auch darüber, wie wir denn unsere Geburtstage feiern wollten.
Rudi Assauer schenkt aus
Bei mir war es der 18. Geburtstag und damit etwas ganz Besonderes. Assauer hatte dann den Vorschlag gemacht, dass wir in einer Kneipe in Gelsenkirchen-Beckhausen an seinem Geburtstag in meinen Geburtstag reinfeiern. Man muss ich das vorstellen: Ich hatte 80 bis 100 Gäste und Rudi Assauer kam um 19 Uhr an seinem eigenen Geburtstag und hat für meine Gäste in der Kneipe das Bier gezapft. Um 1 Uhr ist er wieder gegangen, ich habe um 2 Uhr noch alles saubergemacht mit der Verwandtschaft. Noch am gleichen Tag war das Abschlusstraining im Trainingslager und am 2. Mai dann das DFB-Pokal-Spiel gegen die Bayern. Heute unvorstellbar, dass der Manager noch mit einem Spieler feiert und dann so ein grosses Spiel dabei herauskommt.
Am Tag des Spiels hatten wir schlechtes Wetter, Regen ohne Ende. Das Stadion war voll. Alle freuten sich drauf. Vor dem Spiel war ich natürlich sehr aufgeregt, aber bei mir war es immer so, wenn ich auf dem Platz den Pfiff des Schiedsrichters hörte, dann habe ich versucht, meinem Instinkt zu folgen.
Zuschauer gingen schon nach Hause
Und dann lagen wir nach zehn Minuten mit 0:2 zurück. Die ersten Zuschauer sind nach 25 Minuten gegangen. Später wurden dann Geschichten erzählt, dass die Zuschauer hin- und herpendelten, weil sie mehrfach dachten, das Spiel wäre erledigt gewesen und im Radio hörten sie dann, dass Schalke wieder herankommt.
Bei meinem ersten Tor habe ich den Ball mit links angenommen, mit rechts in die untere Ecke und Jean-Marie Pfaff hatte keine Chance. Dann gab es noch ein Kopfballtor von mir, was natürlich auch sehr schön ist, nach einer Flanke von Mathias Schipper von der linken Seite. Aber das schönste Tor war das zum 6:6 in der Nachspielzeit der Verlängerung, 125. Minute, mit links volley in den Winkel.
Und am Mittelkreis vor diesem letzten Tor sagte der Schiedsrichter Wiesel zu mir: "Olaf, komm, noch einen Angriff." Als wenn er sagen wollte, den Bayern haut ihr
beim Stand von 5:6 doch noch einen rein und dann gibt es ein Wiederholungsspiel. Und so war’s dann auch. Nach meinem Tor wurde abgepfiffen und 30, 40 Mann waren auf mir drauf und hätten mich fast zerdrückt. Es ist der Traum eines jeden Fussballers mal in so eine Situation zu kommen, dass man ein entscheidendes Tor macht und dann stürzen alle auf einen drauf. Damit ist sozusagen das Fussballerwunschleben erfüllt. Das wird nicht vielen zuteil. In so einem Moment ist so viel Adrenalin in einem drin, dass man das nicht als schmerzhaft oder beängstigend empfindet, wenn da 30 Leute auf einem draufliegen. Sondern man küsst sich und man drückt sich und kommt danach vor Freude nicht in den Schlaf.
"Ja, ich schlafe in Bayern-Bettwäsche"
Danach gab es dann noch das berüchtigte Interview mit Rolf Töpperwien. Töpperwien war seinerzeit sehr akribisch und gut vorbereitet und hat mich dann gefragt, ob ich in Bayern-Bettwäsche schlafen würde. Dass ich darin geschlafen hatte, das stimmte – allerdings im Alter von 10 bis 13 Jahren. Aber er hat mich in diesem Interview überrumpelt und ich outete mich als Bayern-Fan und habe gesagt: "Ja, ich schlafe in Bayern-Bettwäsche."
Das Schönste war dann noch, dass mich die Fans nach diesem Interview gefühlt 45 Minuten auf Händen durch das Stadion getragen haben. Ich habe später mal einen dieser Fans gefragt, wie lange es denn tatsächlich war und er meinte, es waren fünf Minuten.
Eineinhalb Stunden später war ich bei meiner Freundin in Beckhausen, habe sie kurz besucht, ein kleines Küsschen gegeben, ein Bier getrunken – oder noch nicht mal das – und dann ab nach Hause. So habe ich die Nacht des Feierns verschlafen und am nächsten Tag war wieder Training.
In dem Spiel habe ich auf jeden Fall meine ganze Bandbreite und Flexibilität als Stürmer gezeigt. Ich konnte alles, ob rechts und links schiessen oder köpfen. Und ich glaube auch deshalb bin ich damals der zweitjüngste Nationalspieler geworden, nach Uwe Seeler. Inzwischen hat sich da ja noch eine kleine Zecke dazwischen geklemmt: Mario Götze.
Franz Beckenbauer, der damalige Teamchef der deutschen Nationalmannschaft, nahm nach dem Spiel Kontakt zu mir auf und knapp sieben Monate später habe ich dann mein erstes Länderspiel gemacht. Das ist schon eine steile Karriere."
- Im ersten Teil der Serie erzählt Timo Hildebrand von der Partie des VfB Stuttgart beim VfL Bochum 2007.
- Im zweiten Teil berichtet Ottmar Hitzfeld vom Saisonfinale 1995 mit Borussia Dortmund.
- Im dritten Teil erzählt Manni Schwabl von dem Spiel, als er vom FC Bayern entdeckt wurde
- Im vierten Teil schildert Kevin Kuranyi eine eindrückliche Partie des VfB Stuttgart gegen Manchester United
- Im fünften Teil spricht Lars Ricken über das CL-Halbfinale des BVB gegen Manchester United 1997
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.