• Das Drittligaspiel zwischen Duisburg und Osnabrück wird wegen rassistischer Beleidigungen abgebrochen.
  • Entgegen ersten Berichten sind davon möglicherweise drei Spieler betroffen. Einer von ihnen hat vor fast zwei Jahren bereits eine ähnliche Erfahrung gemacht.
  • Das Sportgericht des DFB kann nun drei verschiedene Urteile fällen.

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Das gab es bisher nur ausserhalb des deutschen Profifussballs: In Duisburg endet die Drittliga-Begegnung zwischen dem gastgebenden MSV und dem VfL Osnabrück bereits nach 35 gespielten Minuten. Schiedsrichter Nicolas Winter unterbrach wegen rassistischer Beleidigungen von den Rängen die Begegnung beim Stande von 0:0 zunächst für eine halbe Stunde, um sie in Absprache mit den beiden Vereinen schliesslich abzubrechen.

Bei allen Beteiligten sass der Schock tief. Im Stadion solidarisierten sich die Fans beider Lager und stimmten wenig später "Nazis raus"-Rufe an. Die Stadionregie spielte den Antifaschismus-Song von der Band Die Ärzte, "Schrei nach Liebe".

Spielabbruch schockt MSV-Präsident: "Bitterer Nachmittag in Duisburg"

"Einige wenige zerstören ein Fussballspiel", bedauerte beim übertragenden Sender MagentaSport der entsetzte MSV-Präsident Ingo Wald. Auf Twitter sprach der Verein von einem "bitteren Nachmittag für den Fussball in Duisburg."

Was war genau passiert? Nach etwas mehr als einer halben Stunde war Osnabrücks Aaron Opoku Richtung Eckfahne gelaufen, um einen Eckstoss auszuführen. Ein Freistoss des gebürtigen Hamburgers war zuvor auf das Tornetz abgewehrt worden.

Da "wurden Affenlaute von der Tribüne gerufen", berichtete Schiedsrichter Winter. Diese bestätigte auf Nachfrage auch sein Assistent.

55-jähriger Beschuldigter hat sich geäussert

Die Duisburger Polizei erstattete wegen der Beleidigung Anzeige gegen einen tatverdächtigen 55-Jährigen. "Der Beschuldigte hat sich geäussert. Darüber hinaus werden Videos gesichtet und weitere Zeugen befragt", sagte eine Polizeisprecherin am Tag nach der Begegnung der Deutschen Presse-Agentur. Eine Beleidigung kann eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe bis zu einem Jahr nach sich ziehen.

Die Beleidigungen richteten sich zunächst gegen Opoku, trafen aber auch Duisburgs Leroy Kwadwo. Der 25-Jährige war Opoku zu Hilfe geeilt. Dies bestätigte ein Fan, der sich unter den 6.500 Zuschauern befand, auf Twitter.

Leroy Kwadwo wird an den 14. Februar 2020 erinnert

Die Szenerie erinnerte an den Abend des 14. Februar 2020. Damals eröffneten Preussen Münster und die Würzburger Kickers den 24. Spieltag der 3. Liga. Auf Seiten der Kickers in der Startelf: Kwadwo.

In der Schlussphase der Begegnung, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls 0:0 stand und so auch regulär endete, hatte ein Mann auf der Tribüne Kwadwo beleidigt und Affenlaute in dessen Richtung gemacht. Nach Vereinsangaben zeigten damals andere Fans auf den Zuschauer, damit dieser von Ordnungskräften ausfindig gemacht werden konnte. Zudem riefen zahlreiche Fans "Nazis raus", wie der Klub anschliessend mitgeteilt hatte. Wie sich die Bilder mit jenen aus Duisburg fast zwei Jahre danach decken ...

Zeugen glauben an Beleidigungen gegen einen Kollegen von Aaron Opoku

Allerdings gab es laut Polizei nach dem Vorfall in Duisburg Zeugenaussagen, die zumindest vorübergehend neue Verwirrung stifteten. Es sei davon die Rede gewesen, es könnte "ein anderer Spieler gemeint gewesen sein", ein anderer als Opoku. Dann sei dessen Osnabrücker Teamkollege Florian Kleinhansl das Ziel der Schmähungen gewesen. Angeblich habe der identifizierte und inzwischen polizeilich vernommene Täter Kleinhansl in der Annahme beleidigt, dieser führe den Eckball aus.

Fest steht: Die Regularien des DFB sehen "bei diskriminierenden Vorfällen jeglicher Form" einen Drei-Stufen-Plan vor. Der Spielabbruch, zu dem sich Unparteiische und Vereine in Duisburg entschlossen, ist Stufe drei.

Das Sportgericht des Deutschen Fussball-Bundes kann nach den aufgenommenen Ermittlungen zu drei verschiedenen Urteilen gelangen.

Das DFB-Sportgericht kann zu drei verschiedenen Urteilen kommen

Abhängig von den genauen Umständen könne die Partie sowohl für Osnabrück als auch für Duisburg gewertet werden. Die dritte mögliche Variante sei eine Neuansetzung, teilte das Sportgericht am Tag nach der Partie auf dpa-Anfrage mit.

Entscheidend für die Bewertung des bisher einmaligen Vorfalls in den drei deutschen Profiligen seien die Aussagen der Beteiligten.

Der oder die Täter müssen umfänglich zur Rechenschaft gezogen werden", forderte DFB-Vizepräsident Rainer Koch. Rassisten hätten in deutschen Fussball-Stadien nichts verloren. "Ich bin froh, dass der Schiedsrichter, die Verantwortlichen beider Vereine und die überragende Mehrheit der Zuschauer im Stadion dies unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben", sagte Koch.

"Es kann nicht sein, dass wir immer nur Parolen formulieren, dass wir Sprüche auf T-Shirts kleben. Wir müssen reagieren, wenn so etwas passiert", sagte Michael Welling, Geschäftsführer des VfL Osnabrück bei MagentaSport. Und weiter: "Wir dürfen das im Fussball und in der Gesellschaft nicht akzeptieren."

DFB-Botschafter Jimmy Hartwig hat kein Verständnis für "verblödete" Menschen

Es sei nun endlich "die Zeit gekommen", um härter durchzugreifen, sagte DFB-Integrationsbotschafter Jimmy Hartwig dem SID: "Ich bin immer für die Leute da, will immer mit den Leuten sprechen. Ich versuche eigentlich alles, immer friedlich zu regeln und höre den Leuten zu. Aber es gibt immer noch Menschen, die wollen nicht zuhören. Die sind für mich total verblödet."

Im NDR fügte der einstige Nationalspieler und HSV-Star Hartwig hinzu: "Ich habe schon viel früher damit gerechnet, dass mal ein Spiel abgebrochen wird. Schauen wir mal, wie lange es dauert, bis ein Bundesliga-Spiel abgebrochen wird."

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Welling ergänzte: "Wir müssen auch dankbar sein, für viele Fans des MSV, die so reagiert haben, wie sie reagiert haben. Der MSV hat durch seine Fans den Täter oder die Täterin identifiziert." Er sei sich mit den "Duisburger Kollegen einig, dass es uns am liebsten wäre, es gibt ein Wiederholungsspiel."

MSV Duisburg und der VfL Osnabrück veröffentlichen gemeinsame Erklärung

"Gestern ist ein deutliches Zeichen gegen Rassismus gesetzt worden", äusserte sic der MSV-Präsident Wald tags darauf in einer gemeinsamen Erklärung beider Klubs. "Gemeinsam mit dem VfL wünschen wir uns allerdings auch, dass der Fussball aus dieser Situation als Gewinner und nicht als Verlierer vom Platz geht. Deshalb halten wir ein Wiederholungsspiel im Sinne des Sports für die einzig richtige Entscheidung."

Und weiter: "Sportrechtlich liegt nun die Verantwortung für das weitere Verfahren zunächst bei den entsprechenden Instanzen des Deutschen Fussball-Bundes. Wir sind aber überzeugt, dass es im Sinne der Arbeit für Toleranz und Mitmenschlichkeit geboten ist, eine sportliche Entscheidung auf dem grünen Rasen herbeizuführen und im Kontext eines möglichen Wiederholungsspiels gemeinsam mit dem DFB, den Klubs und den Fans ein weiteres Zeichen der Solidarität und gegen Rassismus zu setzen."

Osnabrücks Vereins-Präsident Holger Elixmann meinte: "Weder der MSV Duisburg noch der VfL Osnabrück sollten für das Fehlverhalten eines Zuschauers bestraft werden." Der Abbruch des Spiels sei ein Zeichen gegen Rassismus und für Menschlichkeit gewesen "und dieses klare Statement sollte aus unserer Sicht durch die Ansetzung eines Wiederholungsspiels verstärkt werden."

Auf Twitter hatte der VfL bereits zuvor ein Video mit der Pressekonferenz nach dem Spielabbruch veröffentlicht.

Auch aus der Politik wurde das Geschehen kommentiert. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hofft auf "die volle Härte der Justiz" für den Täter. Er lobte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" die Reaktionen auf den Vorfall im Duisburger Stadion als "grossartige und solidarische Reaktion der Zuschauer und der beiden Mannschaften, die gesagt haben, wir spielen nicht weiter". Die Osnabrücker Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) unterstrich: "Auch im Sport dürfen wir keinen Rassismus dulden. Das ist wichtiger als jedes Ergebnis."

Die verbale Beleidigung von Opoku stehe "exemplarisch für viele andere Situationen, die in der Gesellschaft stattfinden", sagte ein Sprecher des auch für Sport zuständigen Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin. "Menschen, die eine andere Hautfarbe haben, werden oft Opfer von Diskriminierung und rassistischen Anfeindungen. Das ist zutiefst zu bedauern."

Das Bundesinnenministerium lobt die Reaktion des Schiedsrichters

Als "vorbildhaft" bezeichnete es der Sprecher, dass der Schiedsrichter das Spiel als Reaktion auf die rassistischen Beleidigungen abgebrochen habe. "Alle Beteiligten haben sich ganz entschieden gegen diese Form von Beleidigungen gestellt", sagte er.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst legte den Finger in eine Wunde. "Probleme wie Ausgrenzung und Diskriminierung im Sport gehören ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Wir haben hier noch reichlich Nachholbedarf", betonte der Vorsitzende der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. "Wenn Menschen in ihrer Würde verletzt werden, kann man nicht einfach wieder anpfeifen. Aaron Opoku hat unsere volle Solidarität", ergänzte er.

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), sprach von einer "konsequent richtige(n) Entscheidung": "Im Fussball gilt wie überall sonst in unserer Gesellschaft: Kein Platz für Rassismus! Klare Verstösse brauchen klare Kante."

Der 1. FC Köln setzt auf Twitter mit Modeste ein Zeichen gegen Rassismus

Der 1. FC Köln dankte vor seinem 1:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart in der Bundesliga zum Abschluss der Hinrunde dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück für den Abbruch. Dazu stellten die Kölner bei Twitter ein Foto ihres Stürmers Anthony Modeste, der applaudiert.

Trailer zu "Schwarze Adler": eine Dokumentation über Rassismus im deutschen Fussball

Der abendfüllende Dokumentarfilm SCHWARZE ADLER lässt Schwarze Spielerinnen und Spieler der deutschen Fussballnationalmannschaft ihre persönlichen Geschichten erzählen. Welchen Weg haben sie hinter sich, bevor sie dort ankamen, wo wir ihnen zujubeln? Welche Hürden mussten sie überwinden? Welchen Vorurteilen und Anfeindungen waren sie ausgesetzt – und wie war das früher, wie ist es heute?

Der Stürmer, der mit seinem Treffer zum 1:0 in der 89. Minute den Heimsieg sicherte, hatte Ende November beleidigende Posts gegen sich aus den sozialen Medien öffentlich gemacht.

Die 3. Liga und ihre 20 Vereine posteten einen Tag später aus Solidarität in den sozialen Netzwerken nur Beiträge unter dem Hashtag "NoToRacism", einige Erst- und Zweitligisten schlossen sich der Aktion an. "Wir gemeinsam gegen Rassismus. Aaron, wir stehen hinter dir", lautete die Botschaft. (dpa/SID/mbo/mt/hau)

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